Aaron Altaras lümmelt sich auf einem Sofa, als er sich mit Kamera zum Gespräch zuschaltet und antwortet mit einer Stimme, die immer irgendwie verkatert klingt. Das passt zu seinem neuen Film, um den es heute geht. „Rave On“ begleitet den gescheiterten Techno-DJ Kosmo durch eine Club-Nacht, die eskaliert. Gedreht wurde dabei ausschließlich zwischen echten Feiernden. Altaras, der mit der Serie „Unorthodox“ bekannt wurde und für seine Rolle in „Die Zweiflers“ den Deutschen Fernsehpreis bekam, ist mit seinem Bruder Lenny selbst als DJ-Duo unterwegs. Als Ur-Berliner ist er mit der Szene aufgewachsen und weiß um ihren Zauber.

WELT: Sie sind in Berlin aufgewachsen. Hatten Sie einen Erweckungsmoment mit Techno?

Aaron Altaras: Wenn man in Berlin aufwächst, wächst man früher oder später auch mit der Clubszene auf. Ich kann mich noch erinnern, dass wir in der Grundschule mal eine Exkursion in den Tiergarten gemacht haben, vom Biokurs, um die Pflanzen anzugucken. Das war am Tag nach der Loveparade und es lagen überall Reste von der Party. Das fand ich damals schon cool.

Mit 15 oder 16 war ich dann beim Closing von der Bar 25, die es nicht mehr gibt. Das war schon ein sehr, sehr großes Erlebnis. Aber es ist ein schleichender Prozess. Ich fand mein Leben lang die Berliner Clubs toll und bin nach wie vor auch Clubgänger. Inzwischen weniger, aber immer noch gerne. Ich finde, es ist ein ganz besonderes Geschenk, dass wir das haben. Es ist ein Raum außerhalb der Gesellschaft und den müssen wir mit aller Macht schützen.

WELT: Was meinen Sie mit Raum außerhalb der Gesellschaft? Was ist im Club möglich, was woanders nicht geht?

Altaras: Du musst halt mit den Leuten in Kontakt kommen, egal, woher die kommen. Im Club wird alles auf null gestellt. Das ist ein Raum, wo sich alle auf Augenhöhe begegnen müssen. Das ist für das Gehirn immer ein sehr, sehr schönes Erlebnis. Es ist ein romantischer Raum, es geht darum, Luftschlösser zu bauen. Und das ist immer gut.

WELT: Interessant, dass Sie es als romantisch beschreiben. Im Film ist der Club ja durchaus ein ambivalenter Raum. Da ist viel Verbundenheit zwischen den Feiernden, gleichzeitig ist die Atmosphäre aber auch destruktiv. Kosmo zum Beispiel kommt mit einer Mission in den Club, für die er nüchtern bleiben will. Er wird aber immer wieder zu Drogen gedrängt, obwohl er anfangs nein sagt, und bald geht es ihm ziemlich schlecht.

Altaras: Es ist ein absurder Wunsch von ihm, in einem Club, der natürlich ein hedonistischer Ort ist, zu erwarten, dass das eben nicht passiert. Natürlich hat er sich nicht im Griff und seine Reflexe sind stärker als er. Das ist aber nicht die Schuld der anderen Feiernden. Das ist genauso, wie wenn sich Anwohner über den Lärm beklagen. Warum ziehst du dann neben einen Club?

WELT: Das heißt, man muss sich dem Raum anpassen?

Altaras: Kosmo ist jemand, der ein tiefes Trauma in sich trägt, das ihm durch das Nachtleben passiert ist. Er hat sich selbst verloren und findet an diesem Abend wie durch eine Schocktherapie wieder zu sich selbst. Er findet Frieden mit sich und seinem Beruf, seinem Leben und dem Tod seines Freundes. Der Club ist die Überhöhung der Gesellschaft und die Überhöhung des Lebens. Im Guten wie im Schlechten. Es ist eine Metapher für das Leben. Du kannst hier die schönsten Höhen, aber eben auch die tiefsten Abgründe erleben.

WELT: Haben Sie dort auch schon beides erlebt?

Altaras: Schon, aber am Ende war für mich meistens alles gut. Das muss jeder mit sich selbst klären. Ich habe einen positiven Bezug zum Club, das ist für mich kein dunkler Ort. Es ist am Ende immer ein Spiegelbild des eigenen Lebens. So wie man in den Wald hineinschreit, kommt es zurück. Natürlich gibt es viele Leute, die sich da irgendwie verlieren mit Drogen und so weiter. Das ist eine Frage der Balance. Man kann auch ein normales Berufsleben haben, am Wochenende den Club genießen und damit ist es schön und gut. Die Ambivalenz des Nachtlebens ist eher die Ambivalenz der Menschen.

WELT: Wenn wir über Berliner Clubs reden, reden wir ja vor allem auch über Techno-Kultur. Was transportiert für Sie gerade Techno, was anderen Genres abgeht?

Altaras: Ich bin jetzt gar nicht per se Techno-Fan. Aber das Schöne am Techno ist natürlich, dass man sich verlieren kann. Das funktioniert sozusagen außerhalb von Raum und Zeit, man kann die Erde damit kurz verlassen.

WELT: Ein Vorurteil über Clubfreundschaften, wie man sie auch im Film sieht, ist, dass sie oberflächlich sind. Was sind da Ihre Erfahrungen?

Altaras: Für mich ist es beides. Ich habe sehr viele Leute im Nachtleben kennengelernt, die sehr gute Freunde von mir sind. Und ich habe viele Nachtbegegnungen, mit denen ich keinen Kontakt pflege. Beides hat seine Berechtigung, man muss nicht mit jedem befreundet sein.

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WELT: Sie haben schon gesagt, mit dem Club betritt man eine hedonistische Welt. Ist es möglich, Teil davon zu sein, ohne Drogen zu nehmen?

Altaras: Es gibt unglaublich viele Leute, die nicht trinken und nüchtern sind. Wir haben ja im Club gedreht, und alle Leute um uns herum haben getrunken oder Drogen genommen und waren völlig geisteskrank. Nur wir nicht, weil wir gearbeitet haben. Das war eine absurde Erfahrung. Aber, ja, es ist möglich. Ich glaube nur nicht, dass es mehr Spaß macht, denn der Club ist ein extremer Ort. Nüchtern ist es dort schon sehr anstrengend. Es ist unglaublich laut und alle sind sehr betrunken. Die Erfahrung ist eine ganz andere. Wenn ich nüchtern bin, wäre es jetzt nicht der erste Ort, wo ich gerne Zeit verbringen möchte.

WELT: Haben Sie während der Dreharbeiten nüchtern interessante Beobachtungen im Club gemacht?

Altaras: Ich habe einfach bemerkt, wie bescheuert alle sind. Also meine zwei Takeaways sind: Ich war schon oft nüchtern feiern und finde es unglaublich anstrengend. Aber es gibt auch Leute, die das besser können. Für mich war es aber eine Herausforderung, diesen unglaublichen Drogenrausch nüchtern zu spielen, während alle anderen auf Drogen sind. Das war eine ziemliche kognitive Dissonanz.

WELT: Sie haben in echten Clubs mit versteckten Kameras gedreht, richtig?

Altaras: Ja, wir hatten so kleine Kameras, eigentlich fast alles Handkameras. Die Leute vom Club wussten aber, dass gedreht wird.

WELT: Das waren auch keine Komparsen, sondern normale Clubgänger?

Altaras: Ja. Das war auch der Anspruch des Films. 90 Prozent der Filme, die in Clubs spielen, sind immer schwer anzusehen, weil das keine echten Partys sind. Dieser Film hat es meiner Meinung nach geschafft, Feiern authentisch darzustellen. Sonst fällt mir nur noch „Berlin Calling“ ein, weil die eben auch im Club gedreht haben.

WELT: Haben Sie in verschiedenen Clubs gedreht?

Altaras: Nur in einem. Die erste und letzte Szene haben wir in Frankfurt gedreht.

WELT: Wie lange haben die Dreharbeiten gedauert?

Altaras: Drei Wochen.

WELT: Brauchten Sie danach einen Wellness-Urlaub?

Altaras: Ja. Wir haben die Nacht durchgedreht und ich bin morgens dann noch nach Italien gefahren. An den Gardasee, wo meine Familie herkommt. Da habe ich mich erstmal eine Woche nur hingesetzt. Die ganze Zeit im Club zu sein, war einfach unglaublich anstrengend. Arbeiten und drehen ist eh schon anstrengend, beides zusammen ist heftig. Danach hat man der Welt erstmal nicht mehr viel zu geben. Ich bin dann auch krank geworden.

WELT: Wahrscheinlich haben Sie in der Zeit auch nicht viel Sonnenlicht gesehen.

Altaras: Das sieht man nicht viel und man schläft komisch. Irgendwann läuft man wie über ein Notstromaggregat.

WELT: Sie werden dieses Jahr im November 30. Wie wollen Sie das feiern?

Altaras: Ich werde wahrscheinlich in der Zeit drehen. Aber ich werde auf einen Freitag 30, also werde ich wohl am Donnerstag reinfeiern und dann das Wochenende mit Freunden von mir irgendwo hinfahren.

WELT: Also nicht im Club?

Altaras: Ich denke, eher nicht. Geburtstage sind auf eine Art und Weise was Intimes. Die Zeit möchte ich mit Freunden und Familie verbringen, nicht mit Fremden.

WELT: Wie sieht Ihr perfekter Katertag aus?

Altaras: Ich liege bei mir im Wohnzimmer und gucke unglaublich viele Filme. Es gibt City Chicken und ich trinke Eistee Zitrone.

„Rave On“ ist ab dem 31. Juli im Kino zu sehen.

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