In ihrem Podcast „News Core: Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. Das folgende Transkript bietet die Essenz der Podcastfolge „Hyrox-Trend und hexen auf Etsy“.
Imke: Vor ein paar Tagen ist ein Video viral gegangen, in dem es um Datenmissbrauch von einer Hexe geht.
Julian: TikTok und Insta-Hexen sind ja schon länger ein Thema. Das sind junge Frauen, aber auch Männer, die auf Social Media ihre Tarot-Karten des Tages in die Kamera halten und so Kristall-Sammlungen präsentieren, richtig?
Imke: Ja, Hexerei hat es relativ schnell und nahtlos ins digitale Zeitalter geschafft.
Julian: Auf Social Media ist das inzwischen total positiv konnotiert. Verglichen mit früher ist es gesellschaftsfähiger und weniger schambehaftet geworden. Als ich klein war, galten Frauen, die sich mit sowas beschäftigt haben, noch als durchgeknallt.
Imke: Es ist auf jeden Fall mehr ins Alltägliche gerückt, weil es auf Social Media so sichtbar ist und sich in der jüngeren Generation so normalisiert. Aber was für ein großes Geschäftsmodell das ist, habe ich erst durch diesen Skandal auf TikTok mitbekommen.
Julian: Erzähl.
Imke: Dazu muss man wissen, dass es nicht nur die TikTok- und Instagram-Hexen gibt, sondern es gibt auch die Etsy-Hexen, die auf dem Online-Marktplatz Etsy Flüche und Zaubersprüche anbieten und verkaufen.
Julian: Sind das also professionelle Hexen?
Imke: Das könnte man so sagen. Wenn man auf Etsy danach sucht, eröffnet sich eine ganz neue Welt. Es gibt Zauber für alles, was du dir wünschen kannst. Die kosten zwischen 2000 und 5000 Euro. Es gibt Liebeszauber, Heilungszauber, Zauber um seinem Boss zu imponieren und Zauber, um Pärchen auseinanderzubringen. Es gibt einen Bindungszauber, der zum Hochzeitsantrag führen soll. Den bekommt man zum Beispiel für 45 Euro, wer Interesse hat.
Dann gibt’s noch einen Verkäufer, der bietet eine dunkle Verbindung an. Den gibt’s auch für etwa 44 Euro. Da muss man den Namen, das Alter und das Geschlecht von der Person, auf die man es abgesehen hat, einreichen. Man muss die Beziehung zu der Person erklären und kann dann noch ein Foto hinzufügen, das soll den Zauber verstärken. Der ist übrigens in zwei Intensitäten erhältlich.
Julian: Auf Etsy bieten ja Privatpersonen ihre Sachen an, so wie bei eBay, oder? Heißt das, dass die Leute, die da so einen Zauber kaufen, ihre Hexe gar nicht kennenlernen?
Imke: Genau, es ist eigentlich komplett anonym. Deshalb sind übrigens die Hexen von Insta und TikTok auch sehr kritisch gegenüber den Etsy-Hexen eingestellt. Damit sind wir auch schon bei dem Skandalfall. Da hat eine junge Frau eine Etsy-Hexe dafür bezahlt, einen Liebeszauber auszuführen. Anstatt den Auftrag auszuführen, hat die Hexe den Mann, von dem sie alle möglichen Daten hatte, online kontaktiert und ihm Screenshots von der Unterhaltung mit der Kundin geschickt. Die Frau kommt sich jetzt natürlich komplett entblößt vor und hat ihre Geschichte auf TikTok geteilt.
Julian: Unangenehm. Andererseits hat sie sensible Daten wie die Adresse und den vollen Namen von dem Typen weitergegeben. An eine fremde Person im Internet. Ein bisschen selbst Schuld ist sie auch, finde ich.
Imke: Im Internet wird aber vor allem gegen die Etsy-Hexe gehetzt. Leute, die kommentieren, flehen die TikTokerin an, dass sie den Namen der Hexe verraten soll. Sie hätte gegen den Hexenehrenkodex verstoßen. Anscheinend gibt es Regeln und Leitsätze für Hexen und auch Online-Kurse, wie man Hexe werden kann.
Julian: Anscheinend sind viele Menschen bereit, für solche Zauber Geld auszugeben.
Imke: Die Hexerei wurde komplett durchkapitalisiert. Laut Studien in den USA nehmen etwa drei von zehn Amerikanern mindestens einmal im Jahr eine Dienstleistung von Astrologen, Tarotkartenlegern oder auch Wahrsagerinnen in Anspruch. Deshalb finde ich das Beispiel auch ganz spannend, um das Phänomen dieser jungen Hexen zu erklären. Du hast ja schon angesprochen, dass die Hexen auf Social Media einen Imagewandel durchgemacht haben und mittlerweile von vielen sehr positiv wahrgenommen werden. Nach dem Motto: Ein bisschen Glaube und Spiritualität in dieser komplexen Zeit spendet Trost und schadet ja niemandem.
Julian: Ja, man sehnt sich nach etwas Metaphysischem, um dieser trostlosen Welt zu entkommen. Es ist eine einfache Lösung, um vermeintlich Kontrolle über sein Leben zu gewinnen.
Imke: Genau, das wird irgendwie kollektiv so akzeptiert. Hinzu kommt, dass Hexerei innerhalb der riesigen Community als feministisch betrachtet wird, da Hexen ja früher verfolgt wurden.
Julian: Man kann jetzt einfach sagen, ich bin Hexe und das gilt dann als weibliche Selbstermächtigung.
Imke: Obwohl ich da einhaken muss. Wenn wir heute Hexen hören, dann denken wir fast automatisch an eine Frau. Dabei waren Hexen nicht immer Frauen. Während der großen Hexenverfolgungen in Europa waren zwar rund 80 Prozent der Angeklagten tatsächlich Frauen. Aber es gab auch männliche Hexer, besonders in Ländern wie Island oder Schottland, die man als Hexer sah, als Zauberer, oder Magier. Allerdings sind in vielen Kulturen, Männer, die eigentlich Zauberer wären, eher als Weise oder Gelehrte angesehen. Während die Frauen dämonisiert wurden.
Julian: Deswegen habe ich vorhin in Bezug auf Frauen, die sich für Hexen halten, auch „durchgeknallt“ gesagt. Den Frauen schreibt man etwas Unberechenbares zu.
Imke: Ja, das baut alles auf einem patriarchalen Grundgedanken auf. Genau deshalb ist es heute ein Symbol für Selbstermächtigung von jungen Frauen.
Julian: Aber es gibt inzwischen auch viele männliche und nicht-binäre Hexer, die versuchen, das Bild der Hexe neu zu definieren.
Imke: Ja, das stimmt. Aber ich möchte auf einen anderen Punkt zurückkommen. Denn die Frage ist ja wichtig, warum so viele Menschen kein Problem damit haben, anonymisiert im Internet Zauber bei einer Hexe zu buchen, die sie gar nicht kennen.
In einem typischen Video auf TikTok erzählt etwa eine Kundin:
„Ich habe einen Zauber von einer Etsy-Hexe gekauft und es hat funktioniert. Es war ein ‚Break-No-Contact-Spell‘. Wenn du den Zauber kaufst, sollen sich ehemalige Partner selbst nach langer Funkstille wieder melden. Ich hatte seinen Geburtstag nicht, aber ich habe der Hexe ein Foto von ihm gesendet. Dann dauerte es etwa vier Wochen, bis der Zauber gewirkt hat. Danach sind drei meiner ehemaligen Liebhaber wieder in meinem Leben aufgetaucht.“
Imke: Ich finde, das klingt so banal und alltäglich, als wäre Magie eine Art Alltagsbooster, der uns hilft, komplexe zwischenmenschliche Situation zu lösen, ohne dass wir dafür groß etwas tun müssen. Deswegen ist die Bindung zu der spezifischen Hexe auch nicht mehr wichtig, weil es nichts Persönliches mehr hat, sondern einfach Produktshopping ist. Als würde ich mir ein Facial kaufen, um meine Haut zu verbessern. Das ist so ein Quick Fix und ich finde das ein bisschen faul. Es ist okay, zu manifestieren und Trost oder eine Form von Geleit in seinen Horoskopen zu finden. Aber diese Durchkapitalisierung ist bedenklich und kann, da es keine Regeln gibt, zu Missbrauch führen, wie jetzt dieser Fall gezeigt hat. Vor allem, dass man Daten an Leute im Internet weitergibt, ist extrem problematisch. Das sollten wir mitdenken, wenn wir jetzt anfangen, Hexen zu normalisieren.
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