Von wegen typisch weiblich! Hier gibt es keine sanft stillenden Mütter wie bei der amerikanischen Impressionistin Mary Cassatt. Lichtdurchflutete Interieurs, in denen liebliche Früchte auf kostbaren Tellern mit viel Sinn fürs Dekorative arrangiert werden, wie sie Dora Hitz gemalt hat, wird man bei ihr gleichfalls vergeblich suchen. Und auch vom Leuchten glücklicher junger Frauen, das die Französin Elisabeth Vigée-Lebrun Damen der Gesellschaft des Ancien Régime ins Antlitz zauberte, kann keine Rede sein.
Nein, Artemisia Gentileschi, die jetzt in einer wahrhaft umwerfenden Ausstellung im Pariser Museum Jacquemart-André gefeiert wird, war keine verführerische „Venus pittrice“, wie man die Vigée-Lebrun genannt hat. Auch keine malende Pallas Athene, weise und abgeklärt. So sah sich der größte deutsche Malerinnenstar des 18. Jahrhunderts, Angelika Kauffmann. Die Römerin Artemisia Gentileschi (1593 bis 1654), die es in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu großem Ruhm und hohem Ansehen brachte, entsprach eher dem Typus der rasenden Mänade.
Ihre Themen waren Gewalt und Leidenschaft. Autoerotik und Frauenpower. Gefällig geht anders. Noch heute empfindet man den Anblick einiger ihrer Meisterwerke, nicht nur als männlicher Betrachter, als geradezu verstörend. In jedem Fall zeugen sie von einem stupenden Selbstbewusstsein. In keinem ihrer in vierzig Schaffensjahren vollendeten Gemälde kann ein Zweifel darüber aufkommen, wer in Artemisias Augen das stärkere Geschlecht war: das eigene!
Man hat ihre realistischen Darstellungen vom Kampf der Frauen gegen die Männer auf den Einfluss Caravaggios zurückgeführt. Es hält sich sogar hartnäckig das Gerücht, der dark star der römischen Barockmalerei sei ihr Lehrer gewesen, sie seine einzige Schülerin. Beweisen lässt sich das nicht. Die sehr spärlichen Quellen, die wir von Artemisias Kindheit und Jugend besitzen, verraten lediglich, dass Caravaggio im Haus Gentileschi verkehrte.
Mit Artemisias Vater Orazio verband ihn damals (später überwarfen sie sich) eine kollegiale Freundschaft. Doch Orazio entwickelte einen weitaus konventionelleren Malstil als Caravaggio oder später seine Tochter. Im Gegensatz zu Artemisia übernahm er nicht die raffinierten Hell-Dunkel-Kontraste. Auch nicht jene realistische Körperlichkeit, die Artemisia im Gefolge Caravaggios ihren biblischen oder antiken weiblichen Figuren angedeihen ließ, sodass ihre Judiths, Bathsebas, Susannas und Kleopatras hin und wieder wie Marktfrauen wirken.
Der Soldat muss im Bett sterben
Nehmen wir nur ihr vielleicht bekanntestes Gemälde: „Judith enthauptet Holofernes“ aus den Uffizien in Florenz: Wie dort eine zornige Judith, unterstützt von ihrer nicht weniger enragierten Magd, das Schwert führt, um Holofernes zu enthaupten, das könnte auch eine Bäuerin beim routinierten Kälberschlachten zeigen. Blut spritzt auf die aufgekrempelten Ärmel aus allerdings edel knisternder Seide (soviel Weiblichkeit darf sein) ebenso wie auf Judiths wogenden Busen (soviel Weiblichkeit muss sein). Dem armen Holofernes, der, demütigend für einen soldatischen Mann, im Bett getötet wird, wo er auch noch auf extraweichen Matratzen ruht, stehen hingegen Angst und Schreckens ins Gesicht geschrieben.
Immerhin kommt er hier noch als Halbfigur vor. Auf anderen Versionen des Motivs, das Artemisia häufig (und offenbar gern) gemalt hat, ist nur der abgetrennte Kopf des Holofernes zu sehen. Mal, wiederum sarkastisch oder ironisch, brav in ein adrettes Körbchen gebettet, mal in ein faltenreiches Tuch gewickelt. In einem anderen Fall, wo Artemisia eine biblische Heldin zeigt, die einen Feldherrn tötet („Yael und Sisera“, heute in Budapest), schläft der gute Mann hingegen selig und süß wie ein Baby auf dem Fußboden, während Yael ihm in großer Gelassenheit, geradezu heiter, den Nagel an die Schläfe setzt und mit großer Geste zum finalen Hammerschlag ausholt.
Überhaupt Artemisias Männer: Je größer sie ihrer historischen Rolle nach sind, desto kleiner werden sie von ihr gemacht. Beispielhaft in dieser Hinsicht: die berühmte Darstellung der „Esther vor Ahasver“ aus dem Metropolitan Museum: Zwar wird hier zur Abwechslung auch mal Esther schwach gezeigt. Sie fällt vor Aufregung, dass sie vor dem mächtigen Ahasver für ihr Volk um Gnade flehen soll, in Ohnmacht. Dabei wird sie allerdings von zwei Begleiterinnen gestützt, verschmilzt mit ihnen zu einem massiven weiblichen Block.
Ahasver sitzt ihr gegenüber auf einem wuchtigen Thronsessel. Aber er streckt so geziert sein klitzekleines Füßchen aus und guckt mit so naivem Gesichtsausdruck auf das Geschehen, dass man ihn sich kaum als einen König vorstellen kann. Eher als dessen jungen momentanen Favoriten, der mal spielerisch auf dem Thron Platz nehmen darf.
Wie mag das zu erklären sein? Woher nahm Artemisia die Chuzpe, Männer malerisch zu degradieren, während sie die Frauen zu Heroinen emporstilisierte? Dieses Verfahren fiel bereits den zeitgenössischen Kollegen auf, die sie in ihrer zweiten römischen Zeit (sie arbeitete auch in Florenz, Venedig, Neapel und London) als einzige Frau in ihre Malerclique aufnahmen, zu der damals auch Claude Lorrain gehörte. Ein anderer Franzose, Simon Vouet, der die Freunde auf seinen Porträtzeichnungen mit einem typischen Attribut versah, wählte als Emblem für Artemisia nicht von ungefähr einen Schnauzbart, den er ihr anheftete.
Die Artemisia-Forschung ist zu dem Schluss gekommen, dass männliches Auftreten und Selbstbewusstsein der Künstlerin, die in ihren Glanzzeiten sogar besser bezahlt wurde als ihre Kollegen, mit einem Trauma ihrer Jugend zusammenhängt, gewissermaßen nach dem Motto: Was uns nicht umbringt, macht uns hart. Artemisia war nämlich als 16-Jährige von einem Freund ihres Vaters vergewaltigt und entführt worden.
Als jener Agostino Tossi, ebenfalls ein Maler, keine Anstalten machte, seine Tochter nun wenigstens zu heiraten, strengte Orazio Gentileschi einen Prozess gegen den Übeltäter an. Während der Gerichtsverhandlung wurden bei Artemisia Daumenschrauben angesetzt, um sie zu einer wahrhaftigen Aussage zu bringen. Zur sexuellen Gewalt, die sie erdulden musste, gesellte sich auch noch die juristische Folter! Sowie die soziale Stigmatisierung. Denn solche Prozesse fanden damals öffentlich statt.
Gentileschi hat selbst Gewalt erfahren
Zwar wurde der Aggressor Tossi schuldig gesprochen. Aber die geschändete Artemisia musste nun, um nicht vollends der Ächtung zu verfallen, schnell einen anderen Mann heiraten, den wiederum der Vater ihr zuführte. Mit diesem Pierantino Stiattesi verließ sie, wie man sich denken kann, ihre Vaterstadt Rom und begann in Florenz ein neues Leben. Wer das durchgemacht hat, was Artemisia damals als noch ganz junge Frau zu erdulden hatte, der gibt sich wohl entweder auf oder gestaltet fortan sein Leben im Gegenteil so selbstbestimmt, dass er sich vor keiner Konvention mehr beugen mag.
Diesen Weg scheint Artemisia gewählt zu haben. Ihr Gatte verschwand irgendwann aus ihrem Leben. Sie führte daraufhin einen Vierpersonenhaushalt, als alleinerziehende Mutter einer Tochter mit zwei Dienerinnen. Sie musste unablässig arbeiten, um sich durchzubringen, denn sie ging begreiflicherweise nun auch zu ihrem Vater auf Distanz. Sie wusste offenbar genau, was sie tat.
Die Malerin verließ sich in späteren Jahren nicht nur auf ihre Resilienz, wie wir heute sagen würden. Sie stellte sie sogar heraus. Sie feierte sie, indem sie sich so oft in wechselnden Rollen selbst porträtierte, dass dies zu ihrem Markenzeichen wurde. In gewissen höfischen Kreisen Italiens sammelte man Selbstbildnisse der Artemisia Genteleschi. Sie füllen denn auch einen ganzen Raum im Jacquemart-André.
Die Masken, die Artemisia in ihren Selbstporträts anlegte, konnten ganz unterschiedlicher Natur sein. Da kam sie mal als vergeistigte Lautenspielerin einher, ein anderes Mal als todtraurige Magdalena, den Kopf so schief, dass sie wie eine geknickte Blume wirkt. Immer jedoch auf das sorgfältigste gekleidet. Die Stofflichkeit ihrer Roben ist auch malerisch von exquisiter Qualität. Als Zweites fällt die Körperfülle auf. Artemisia hat zwar noch nicht die Ausmaße der Rubensfrauen. Aber sie malt sich auch keineswegs schlank. Und ihre Haut weist immer eine ungemein appetitliche, sinnliche Textur auf.
Sinnlich ist auch der Gesichtsausdruck. Regelrecht aufreizend fällt er aus, wenn sich Artemisia als Kleopatra malt. Die ägyptische Königin beging bekanntlich Selbstmord, indem sie sich von einer giftigen Schlange in die Brust beißen ließ. Wie die Kleopatras von Artemisia die Schlange an den Busen führen, wie sie in seliger Verzückung die Augen verdrehen, das sieht ganz nach einer Ekstase aus, die durchaus noch von dieser Welt ist, obwohl man natürlich prüderen Gemütern jederzeit entgegenhalten kann, hier werde die selige Agonie einer Sterbenden gezeigt, die schon das ewige Leben kommen spürt. Doch man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man vermutet, hier spüre eine Frau etwas ganz anderes kommen.
Es handelt sich also um ein Fest der Sinne, welches das Jacquemart-André, zweifellos eines der schönsten Museen von Paris, mit seiner Schau feiert. Viele der ca. 40 hier gezeigten Werke, von denen auch einige von Orazio Gentileschi und sogar von Caravaggio stammen, hängen üblicherweise in privaten Sammlungen, entlegenen Kirchen oder dem schwer zugänglichen Sovrano Militare Ordine di Malta. Einen so umfassenden Eindruck vom Schaffen dieser absolut ungewöhnlichen, mutigen und geheimnisvollen Künstlerin wird man also so bald nicht wieder gewinnen können.
„Artemisia. Héroïne de l’art“, bis 3. August 2025, Musée Jacquemart-André, Paris
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