Sie heißen Wanda, Ming, Esther und Aylins Mama und wohnen alle im gleichen Hochhaus. Sie haben Kinder, deren Väter sich selten blicken lassen. Doch Wanda gibt ihren Traum von einer Schauspielkarriere nicht auf.

Wanda hat irgendwie alles falsch gemacht - keinen Abschluss, dafür ein Kind. So wird das nichts mit der Schauspielkarriere. Die Wohnung im Plattenbau im Osten Berlins, die eigentlich die ihres Onkels ist, fühlt sich an wie eine Falle, aus der es kein Entrinnen mehr geben wird.

Aber Wanda ist noch nicht bereit, aufzugeben. Das Leben muss doch für sie und die fünfjährige Karlie mehr parat haben als den Alltag im 18. Stock mit Sperrmüll, Schimmel, Essensgerüchen und Geldsorgen. Und tatsächlich meldet sich plötzlich ihr Agent und sie bekommt die Chance auf eine Filmrolle. Alles könnte sich ändern, sie würde die schimmlige Wohnung hinter sich lassen und die anderen Frauen, denen es auch nicht besser ergeht als ihr, nur, dass sie längst aufgehört haben zu träumen.

Leider stimmt ihr Timing auch dieses Mal wieder nicht. Karlie ist krank. Die Nachbarin schlägt Alarm, gerade als Wanda den Deal mit dem Produzenten in edlem Ambiente perfekt machen kann. Ohrenentzündung. Wanda hastet nach Hause, getrieben vom schlechten Gewissen aller Alleinerziehenden, die einen Moment lang die Kontrolle abgegeben haben.

Alles steht auf der Kippe

Schon bald scheint die teure Bar mit dem exquisiten Essen nur noch ein Fiebertraum, denen gleich, die Karlie auf der schäbigen Couch im achtzehnten Stock durchlebt. Statt auf Filmdrehs und Premieren verbringt Wanda ihre Zeit wieder im Hof der Platte, gemeinsam mit anderen alleinerziehenden Müttern, die sich gegenseitig unterstützen, obwohl sie ansonsten wenig verbindet.

Was zunächst nach einem der unzähligen Infekte aussieht, die Kinder nun mal haben, entwickelt sich zu einer lebensbedrohlichen Hirnhautentzündung. Die Gedanken an eine mögliche Filmkarriere werden auf der Intensivstation von der Sorge um Karlie aufgefressen, ebenso wie die kleine Hoffnung, der berühmte Adam Ezra könnte sich wirklich für sie interessieren. Nach Wochen im Krankenhaus ist die Rolle verloren, nicht aber der Kontakt zu Adam.

Eine neue Chance auf eine Rolle kommt und diesmal greift Wanda zu, krallt sich an dieser Möglichkeit fest, bis ihre Fingerknöchel weiß sind und sie beinahe den Verstand verliert. Ob Karlie und Wanda die Platte verlassen und ein besseres Leben finden werden, wird hier natürlich nicht gespoilert. Nur so viel: Sara Gmuer schenkt in ihrem zweiten Roman ihren Leserinnen und Lesern nichts, und ihren Figuren auch nicht.

Rau und wirklich gut

Die gebürtige Schweizerin rappte schon als Kind und kam übers Songschreiben zur Literatur. Ihr Debüt "Karizma", erschienen 2012, ist ein Roman über eine junge Frau, die sich nach dem Verlust einer großen Liebe und dem Ende ihrer Modelkarriere in der Musik neu erfindet. Schon darin war die Protagonistin rotzig und rau und in Berlin. Seitdem entwickelte sich auch Gmuer - von Model und Rapperin zu Mutter und Schauspielerin. Wohl auch deshalb liest sich "Achtzehnter Stock" an vielen Stellen wie das Script zu einer vielversprechenden Netflix-Serie. Das ist definitiv ein Kompliment. Präzise Beschreibungen wechseln sich mit gut gebauten Dialogen ab, Wandas Gedanken mit der leicht nach Pisse riechenden Wirklichkeit Berlins und Einblicken in die Filmbranche.

Zwischen Paris-Bar und Dreharbeiten in gentrifizierten Gegenden tun sich Abgründe auf, in denen Reichtum und Macht auf geradezu obszöne Weise zelebriert werden. Nur wenige S-Bahn-Stationen entfernt gewinnt die Hochhausfrauenclique, zu der neben Wanda auch noch Ming, Esther und Aylins Mama gehören, dem Leben ein wenig Glück und Glitzer ab. Kein Geld, keine Unterstützung der Väter ihrer Kinder und die ständige Herausforderung, im prekären Milieu über die Runden zu kommen, verlangen den Frauen alles ab. Damit das gelingt, ist jede auf die Solidarität der anderen angewiesen und muss trotzdem maximal egoistisch sein. Notgemeinschaften funktionieren nur so.

Gmuer erzählt das aus radikal weiblicher Perspektive, authentisch und liebevoll. Deshalb verzeiht man ihr auch, wenn sie manchmal ins Klischee abdriftet. "Tellerwäschergeschichten funktionieren erst in der Retrospektive, davor hält man besser seinen Mund und tut so, als hätte man alles im Griff", sagt Wanda zu Beginn und das gilt für alle im achtzehnten Stock.

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