Wenn ein Pfarrer im Seelsorgegespräch die Not seines Gegenübers ausnutzt, um sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen. Oder wenn eine kirchliche Angestellte ihre Macht gegenüber einer Freiwilligen benutzt, um Gefälligkeiten zu erhalten. Dann ist das Missbrauch im kirchlichen Umfeld.

Für diese Thematik sollen die reformierten Kirchgemeinden in der ganzen Schweiz sensibilisiert werden. Die evangelisch-reformierte Kirche Schweiz EKS hat daher nun ein Schutzkonzept erarbeitet.

Es braucht mutige und ehrliche Analysen und den Willen, sich zu verändern.
Autor: Evelyn Borer Kirchenparlamentarierin

Gemeinsam mit einer Meldestelle, die Missbrauchsfälle sammelt und jährlich die neusten Zahlen publiziert, stand dieses Schutzkonzept heute auf der Traktandenliste des Kirchenparlament EKS. Die Debatte machte schnell klar: Es geht auch um ein Zeichen.

Parlamentarierinnen fordern Kulturwandel

«Jede Organisation muss sich ihrer Geschichte stellen», sagte etwa Evelyn Borer von der reformierten Landeskirche des Kantons Solothurn. «Es braucht mutige und ehrliche Analysen und den Willen, sich zu verändern.» Von einem Kulturwandel war die Rede, gleich mehrfach.

Auch EKS-Ratspräsidentin Rita Famos sprach diesen Kulturwandel an und betonte: «Betroffene haben die Kraft gefunden, über das erlebte Unrecht zu sprechen. Deshalb müssen auch wir als Kirche sprach- und auskunftsfähig werden über das, was bei uns passiert ist.» Gemeldete Fälle zu sammeln und zu veröffentlichen, sei deshalb zentral.

Damit waren praktisch alle einverstanden. Gerade mal eine Gegenstimme gab es bei der Abstimmung.

Kommt nun doch eine Studie?

Meldestelle und Schutzkonzept ersetzen zwar keine Studie über die Vergangenheit. Das war heute allen klar. Aber sie zeigt: Die reformierte Kirche ist bereit für die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Genau daran gab es in der Öffentlichkeit Zweifel, nachdem das Kirchenparlament letztes Jahr eine Studie zur Aufarbeitung abgelehnt hatte. Weil es nicht einverstanden war mit dem Studiendesign.

Nun hat der Rat nachgebessert und versprochen, im November im Parlament erneut eine Studie zu beantragen. Eine nationale Anlaufstelle für Betroffene sei ebenso in Arbeit wie Leitlinien für die Anerkennung des Leids der Betroffenen.

«Ich will die Aufarbeitung noch erleben»

Das klare Ja zu den neuen Massnahmen ist eine Genugtuung für Hanna Götte. Sie hat in den 1970er-Jahren sexualisierte Gewalt durch einen Pfarrer erlebt und kämpft seither für Veränderungen und Aufarbeitung in der reformierten Kirche.

«Das Resultat ist sehr befriedigend. Denn es zeigt: Der Hürdenlauf, den ich hinter mir habe, war nicht vergebens.» Hanna Götte und mit ihr die Betroffenenorganisationen IG-Miku und Sapec fordern aber weitere Schritte. So soll in jeder Kirchgemeinde eine Broschüre aufliegen – mit genauen Handlungsanweisungen.

Und: Hanna Götte verlangt, dass die evangelisch-reformierte Kirche jetzt vorwärts machen soll bei der Aufarbeitung. «Es müsste schneller gehen. Ich bin nun 72 und ich will die Aufarbeitung noch erleben.»

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