Willkommen zur neuen Kolumne „Wir bitten um Missverständnis“! Sie steht jede Woche in WELT AM SONNTAG, an der Stelle, an der bislang Sascha Lehnartz darin brillierte, der Vernunft einen Weg durch den Urwald aus Absurditäten zu bahnen, den wir mangels Alternative die Wirklichkeit nennen. Der geschätzte Kollege widmet sich künftig bedeutenderen Dingen. Waidmannsheil! Wir verneigen uns – und klauen den Pluralis Majestatis, ein bisschen aus Gründen der Kontinuität, hauptsächlich aber, weil er so schön klingt.

Eigentlich neigen wir nicht zum Aberglauben. Es schien uns dennoch ein Zeichen des Himmels, dass just in dieser Woche, während wir überlegten, wie wir die Welt fortan in den Blick nehmen könnten, die größte Digitalkamera aller Zeiten in Betrieb ging. Sie steht auf einem chilenischen Andengipfel, 2647 Meter über dem Meer. Auf dem Cerro Pachón ist die Luft schön klar, und es gibt kaum Lichtverschmutzung – eines unserer Lieblingswörter. Bloß Elon Musks Starlink-Satelliten nerven, wenn sie erdnah im Pulk vorüberziehen wie eine Truppe angeschickerter Hooligans.

Den Blicken des Vera C. Rubin Observatory öffnen sich 20 Milliarden Galaxien und 17 Milliarden Sterne, was ganz schön viele sind. Die Auflösung der kleinwagengroßen Kamera beträgt 3200 Megapixel. In zehn Jahren soll sie über den achteinhalb Meter großen Hauptspiegel den südlichen Himmel 800 Mal vermessen, sodass sich die Bilder zu einer Art universalem Daumenkino fügen. Los ging es mit Aufnahmen des Virgo-Galaxienhaufens sowie des Trifid- und des Lagunennebels. Poetisch gestimmte Naturen lassen sich die Namen auf der Zunge zergehen. Wenn es klingt, als ob wir ins Schwärmen geraten, dann bloß aus Erleichterung darüber, dass die Wissenschaft nicht überall so unterbelichtet ist wie auf den seit einiger Zeit rege frequentierten Pro-Hamas-Demos.

Die Gesetze der Physik haben diese Woche auch die Politik eingeholt. Trumps iranischer Bombenteppich mag aus menschlicher Perspektive eine große Sache sein, aus kosmologischer Sicht ist er kaum nachweisbar. Für die kleinsten Dinge im Universum ist die Quantentheorie zuständig – mitunter so verwirrend, dass selbst Einstein nicht mehr mitkam. Ihr berühmtestes Paradox heißt Schrödingers Katze. Es besagt, dass eine Katze, die in einer Kiste radioaktiv vergiftet wird, solange gleichzeitig tot und lebendig ist, bis jemand nachschaut. Wir fühlten uns daran erinnert, als Trump von der „vollständigen Vernichtung“ der Urananreicherungsanlagen tief im Gestein von Fordo sprach, Medien wie die „New York Times“ aber kaum glaubten, dass auch nur eine Zentrifuge aus dem Takt geraten sei. „FALSCHMELDUNGS-REPORTER VON CNN & NEW YORK TIMES SOLLTEN SOFORT GEFEUERT WERDEN!!! SCHLECHTE MENSCHEN MIT BÖSEN ABSICHTEN!!!“, schrieb Trump auf Truth Social in gewohnter Zurückhaltung. Das Ereignis oder Nicht-Ereignis könnte als Schrödingers Zentrifuge in die Annalen der Physik eingehen.

In Venedig sorgte derweil keine Katze, sondern ein Krokodil für Aufregung, das heißt, eine ganze Armada. Amazon-Chef und Hobby-Astronaut Jeff Bezos (61) feiert dort Hochzeit mit Lauren Sánchez (55). Als echter Romantiker hat er die halbe Lagunenstadt gemietet. Die größte Party sollte in der Scuola Grande della Misericordia steigen, auf Deutsch etwa Zunft der Barmherzigkeit. Einige Aktivisten, die Bezos nachsagen, mit seinem Geschäftssinn und Steuervermeidungstalent zum miserablen Weltklima (Wetter und Stimmung) beigetragen zu haben, drohten, die Kanäle mit aufblasbaren Gummikrokodilen zu verstopfen, um den Gästen den Weg zu versperren. Dem Vernehmen nach zieht sich die Hochzeitsgesellschaft nun ins Arsenale zurück, eine mächtige, schwer ummauerte Feste, die schon ganz anderen Widrigkeiten standgehalten hat. Da bleibt wohl nur, dem schönen Paar viel Glück zu wünschen.

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