Ein lauer Sommerabend in Basel. 30 Grad. Elf junge Frauen trainieren auf dem riesigen Fussballareal St. Jakob, wie sonst auch, jeweils dreimal die Woche. Sie sind engagiert – was ihr Spiel und meine Fragen angeht.
«Wer möchte, kann zurückbleiben und mit der Journalistin über Frauenfussball reden», sagt der Trainer nach dem Training. Viele bleiben. Diese jungen Frauen setzen sich mit dem Thema auseinander. Die 18-jährige Julie etwa schreibt ihre Maturaarbeit darüber.

Und Hana Lisa berichtet: «Wenn jemand vom letzten Champions-League-Spielt erzählt, hake ich immer nach: Meinst du bei den Männern oder Frauen?» Absicht sei das. Sie wolle klarmachen, dass Frauenfussball genauso existiere, genauso attraktiv sei.
Nase voll vom Nebenplatz
Die jungen Frauen sind Mitglieder bei einem der wenigen reinen Frauenvereine der Schweiz. Vor vier Jahren hat Seline Röthlisberger den Frauenfussballverein FFV Basel mitgegründet, heute ist die 33-jährige Aargauerin Präsidentin des Vereins.
Als Frau steht man hinten an. Da kann mir jeder Verein sagen, was er will.
«Mein Telefon klingelt momentan nonstop», sagt Röthlisberger lachend. Kurz vor der Fussball-EM der Frauen, die am 2. Juli startet, ist sie eine gefragte Frau. Sie ist, stellvertretend für ihren Verein, Botschafterin der Host City Basel. Als klar wurde, dass die EM in die Schweiz kommt, nahm sich Röthlisberger vor, sich einzusetzen und eine Rolle zu spielen.
Röthlisberger selbst spielt seit 20 Jahren Fussball. «Ich habe viele negative Erfahrungen gemacht in Männervereinen.» Bei der Vergabe der Trainingsplätze, unattraktive Matchzeiten, ungleiche Behandlung bei der Ausrüstung. «Da kann mir jeder Verein sagen, was er will: als Frau steht man hinten an», betont Röthlisberger.

Sie habe sich geschworen, es anders zu machen. «Gleichstellung und Feminismus ist mir eine Herzensangelegenheit», sagt die Primarlehrerin. Das war die Hauptmotivation für den FFV, «meinem Baby».
Parat fürs Fussballfieber
Seither hat sich der FFV zur Erfolgsgeschichte entwickelt. Für die neue Saison werden drei neue Juniorinnen-Teams geschaffen. Der Verein rechnet mit viel Zuwachs – auch dank der Heim-EM.
Das Engagement entspricht dem hochgesteckten Ziel des Schweizerischen Fussballverbandes SFV. Der Verband will, dass sich die Zahl der lizenzierten Fussballerinnen verdoppelt. Derzeit sind das laut SFV knapp über 41’000.
Raus aus dem medialen Schattendasein
Als Teenagerin angefangen zu kicken hat auch Seraina Degen. Die Baselbieterin ist Nati-Reporterin bei SRF, berichtet seit 15 Jahren über Frauenfussball.
Wenn ich meine Anfänge mit heute vergleiche, zeigt sich, wie diametral anders die Berichterstattung ist.
Degen erreicht man in den letzten Wochen nur im Zug oder im Auto. Sie ist ständig auf Achse. Von einem Vorbereitungscamp zum nächsten.
«Wenn ich meine Anfänge mit heute vergleiche, zeigt sich, wie diametral anders die Berichterstattung ist», resümiert Degen. Damals kannte die breite Öffentlichkeit vielleicht Lara Dickenmann. Vielleicht Ramona Bachmann. «Andere Spielerinnen führten medial ein Schattendasein.»

Der Wendepunkt? Als sich das Schweizer Nationalteam 2015 erstmals für eine WM qualifizierte. «Vorher waren vielleicht maximal eine Handvoll Journalisten an einer Pressekonferenz. Plötzlich hat sich alles verändert», erinnert sich die Sportjournalistin. «Die Terrasse am Medientag in Magglingen war rappelvoll mit Medienschaffenden aus der ganzen Schweiz. Ich glaube, die Spielerinnen waren selber überrumpelt.»
Für ein gutes TV-Produkt
Dass in den letzten Jahren mehr Frauenfussball im TV gezeigt wird, erzeugt mehr Sichtbarkeit für den Sport. «Ich freue mich, dass ich meine langjährige Erfahrung nun so stark einbringen kann», so Degen.
«Die Berichterstattung von SRF Sport über die Nationalteams von Frauen und Männern ist praktisch identisch», erklärt die Journalistin. Damit das Produkt Frauenfussball attraktiver werde, wäre es wünschenswert, wenn die Teams der Women's Super League sooft als möglich in den grossen Stadien spielen könnten. «Auf Plätzen ohne geeignete Infrastruktur und ohne richtige Tribüne sieht das gezeigte Bild im TV – mit Verlaub – schrecklich aus. Gute Kamerapositionen sind kaum möglich», so Degen.
Genauso interessant wie die Ronaldos
Trotz allem fehle es dem Frauenfussball noch immer massiv an Präsenz in der öffentlichen Debatte. «Frau Müller» will das ändern. Keine echte Person, aber ein neues Magazin für Frauenfussball.

Lanciert hat es ein fünfköpfiges Team aus Zürich. Mit dabei Sabina Sturzenegger. «Frauenfussball ist noch kein grosses Geschäft, es lässt sich nicht so vermarkten wie Männerfussball», so die Journalistin.
Das hat das Team auch gemerkt, als es dieses Frühjahr Inserenten fürs Magazin suchte. Und kaum welche fand. Die Macherinnen starteten ein Crowdfunding. Innerhalb von einem Monat kamen 80'000 Franken zusammen. «Die Community im Frauenfussball ist stark und sehr solidarisch», so Sturzenegger.
Unsere Arbeit hat einen feministischen Aspekt. Wir wollen etwas verändern.
«Viele der weiblichen Stars sind genauso interessant wie die Ronaldos und die Messis», betont Sturzenegger. Ihr Magazin kommt frisch und hip daher. Es will hintergründige Berichterstattung machen, die bisher fehlte. Es gehe nicht um Trainertransfers oder Resultate. «Wir wollen verschiedene Facetten des Sports zeigen. Auch über Lifestyle, Mode und die Fankultur berichten.» Letztere sei im Frauenfussball viel diverser und offener.
Männer sind mitgemeint
In den sozialen Medien wurde kritisiert, dass sie als reine Frauenredaktion die männliche Perspektive negierten. «Männer sind mitgemeint», so der pfiffige Konter. Sturzenegger sagt deutlich: «Ja, unsere Arbeit hat einen feministischen Aspekt. Wir wollen auch etwas verändern.»
Auffallend ist, dass die Erzählung über Frauenfussball oft nicht nur eine rein sportliche ist. Häufig ist sie aufgeladen. Es wird diskutiert über die fehlende Gleichberechtigung, den Sexismus, die Diskriminierung.
Warum? Weil der Frauenfussball noch immer nicht gänzlich von seiner historischen Altlast befreit sei: den Geschlechterklischees. Darüber forscht Historikerin Marianne Meier am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern. Mit ihrer Co-Autorin Monika Hofmann legt sie pünktlich zur EM ein neues Standardwerk zur Geschichte des Schweizer Frauenfussballs vor.

Gutes Beispiel: Das hiesige Turnier heisst offiziell «Women’s Euro», also Frauen-EM. «Jedoch käme niemand auf die Idee, von einer Männer-EM zu reden», meint Meier.
Es hält sich hartnäckig, dass der vermeintlich «echte» Fussball von Männern gespielt wird. Fussball ist hart, dreckig. Es geht um Zweikämpfe, Ellenbogen landen im Gesicht. Frauenfussball ist höchstens der billige Abklatsch.
Von Männern klein gehalten
Historisch gesehen war es bis in die 1960er-Jahre normal, dass sportliche Aktivität von Frauen als unästhetisch und unsittlich bezeichnet wurde. Vor allem in der Männerdomäne Fussball. Es gab in der Schweiz viele begeisterte Fussballerinnen. An offiziellen Spielen durften sie aber nicht teilnehmen.
Fussball gehört niemandem und hat kein Geschlecht.
Nichtsdestotrotz bildeten sich überall auf der Welt Frauenteams – entgegen der Verbote der Verbände. In den 1970er-Jahren fanden «wilde» Weltmeisterschaften in Italien und Mexiko statt – in rappelvollen Stadien.
«Die Uefa und die Fifa fürchteten die Konkurrenz», so Meier. Sie empfahlen anfangs der 70er-Jahre den Landesverbänden, die Frauenfussballteams aufzunehmen. «Nicht, weil sie den Frauenfussball so toll fanden, sondern, weil sie ihn kontrollieren wollten.» Dennoch wurde er weiterhin klein gehalten. Zwar wurde etwa in der Schweiz die Damen-Fussball-Liga SDFL dem SFV angegliedert, aber in Sachen Förderung und Struktur sei nichts passiert – bis 1993. Erst dann wurde der Frauenfussball gänzlich in die Strukturen des SFV integriert.
Heute ist der Frauenfussball offiziell integriert in den Schweizerischen Fussballverband SFV, seit 2015 hat sich die Nati für beinahe alle Grossanlässe qualifiziert.
In Bezug auf Vorurteile hat sich viel getan. Einige Eigenarten bestünden – vor allem im Sprachgebrauch. «Viele reden noch immer von Frauenfussballerinnen. Was schräg ist, denn Lara Gut-Behrami ist auch keine Frauenskifahrerin und Belinda Bencic keine Frauentennisspielerin», sagt Marianne Meier.
Meiers Buch heisst «Das Recht zu kicken», weil sie schon als kleines Mädchen nie verstand, warum sie im Fussball eingeschränkt wurde, nur weil sie ein Mädchen ist. «Fussball gehört niemandem und hat kein Geschlecht.»

Auch die jungen Frauen des FFV haben erlebt, im Fussball nicht willkommen zu sein. «In der Primarschule kickte ich immer mit den Jungs auf dem Pausenplatz. Aber angespielt? Wurde ich vielleicht einmal im Monat», erinnert sich Lotta. Auch Diana erzählt, dass vor ein paar Jahren noch viele die Nasen rümpften, wenn sie erzählte, dass sie Fussball spiele. In Spanien, wo sie mit Hallenfussball aufgewachsen ist, sei das anders gewesen.
Aber: Alle sind sich einig, dass sich die Situation seit ein paar Jahren stark verändert hat. «Wenn ich heute sage, dass ich Fussball spiele, sagen die Leute: ‹Ah, sehr cool!› – auch viele Jungs», sagen Alina und Lotta. Die nächste Generation soll inspiriert werden – und ihre Vorbilder im TV, in Magazinen und in den sozialen Medien sehen.
Zu wem die jungen Spielerinnen des FFVs aufschauen? Lia Wälti. Amélie Csillag. Sydney Schertenleib. Elif schmunzelt und sagt: «Ja, und schon auch Ronaldo.»
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