Die Experten rätseln noch, wie effektiv der Luftschlag der USA gegen die iranische Atomanlage Fordo wirklich war. Aber eins ist doch schon klar: Der Angriff wird keinen Dritten Weltkrieg entfesseln, wie es eine ähnliche Attacke auf eine russische Anlage getan hätte – erst recht zu den Zeiten, als die UdSSR noch in der Blüte stand. Die Angst vor einer solchen atomaren Apokalypse war sehr real, als die Ramones 1977 ihr Album „Rocket to Russia“ veröffentlichten – einen der größten Klassiker nicht nur des frühen Punk, sondern der Rockmusik im Allgemeinen.

Die amerikanische Vorstellung, man könne schwelende Konflikte in der ganzen Welt mit einer kurzen, harten Intervention löschen, ist selten so lustig und wunderbar geschmacklos karikiert worden wie auf der Rückseite der Plattenhülle von „Rocket to Russia“. Der Grafiker John Holmstrom lässt da einen „Pinhead“ mit einem durch Mikrozephalie verformten, spitzen Kopf auf einer Rakete reiten – so wie in Stanley Kubricks Film „Dr. Seltsam“ Major „King“ Kong auf der Bombe ritt.

Unterhalb der ballistischen Kurve, die die von Cape Kennedy gestartete Rakete beschreibt, sieht man auf der Erdoberfläche verschiedene Völkerstereotypen: Russland wird repräsentiert durch einen Kosaken mit Peitsche und Pelzmütze, Afrika durch einen Kamelreiter und einen schwarzen Speerträger vor einer strohgedeckten Hütte, Indien durch einen Fakir auf dem Nagelbrett. Oben auf dem amerikanischen Kontinent „musht“ (so das wunderschöne, unübersetzbare englische Verb dafür) ein Eskimo seine Schlittenhunde, unten wehen die Konföderiertenflagge, und Fidel Castro schaut in den Himmel und wundert sich, warum die Rakete nicht auf Kuba zielt.

Europa wird auf dieser Zeichnung nur bevölkert von einem die Vampirzähne fletschenden Graf Dracula und einem axtschwingenden Wikinger. In Arabien steht eine einsame Benzin-Zapfsäule. Auf den Karibikinseln kifft ein Rastaman, und ein Typ mit Sombrero hält Siesta. In einer Denkblase über seinem Kopf sieht man eine Säge an einem Baumstamm sägen – die Bildsprache zitiert nicht nur die Klischees in den Köpfen der einfachen Amerikaner (wie die coolen New Yorker Ramones sie sich vorstellten), sondern auch klassische Comic-Elemente.

Die Grafik ist das Einzige, das den Titel der Platte rechtfertigt. Die Lieder darauf handeln nicht vom Krieg, sondern von dysfunktionalen Familien, von der Heilung einer Pubertätsneurose durch Gehirnamputation („Gonna get my Ph.D, I’m a teenage lobotomy“), aber auch von Liebe und Sommer: „Sheena Is a Punk Rocker“ und „Rockaway Beach“ gehören zu den größten Hits der Band. So etwas Martialisches wie den Song „Commando“ von ihrem zweiten Album „Leave Home“ gibt es auf „Rocket to Russia“ nicht.

Das krachende Selbstbewusstsein, von dem „Commando“ trotz aller Ironie kündete, wurde 1980 dann ausgerechnet durch den Iran infrage gestellt: Eine US-Unternehmung zur Befreiung der in Teheran seit Ende 1979 als Geiseln gehaltenen Botschaftsangehörigen scheiterte kläglich. Das ließ die Vision von der Lösung aller Weltprobleme („from Old Hanoi to East Berlin“) durch solche Einsätze noch unrealistischer wirken, als sie ohnehin schon gemeint war.

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