Am 13. Juli 1985 spielte Phil Collins im Wembley-Stadion in London seine grössten Hits. Danach stieg er in eine Concorde, um am selben Tag auch noch für die gleiche Benefizveranstaltung in Philadelphia aufzutreten. Im selben Flugzeug sass Pop-Ikone Cher, die Collins kurzerhand zu Live Aid mitschleppte.

Die Anekdote verdeutlicht, welch gigantisches Unterfangen die Benefizveranstaltung Live Aid war. Motivation war die damals herrschende Hungersnot in Äthiopien. Dieser wollten die Initiatoren Bob Geldof und Midge Ure entgegenwirken. Darum kam 1985 alles mit Rang und Namen aus der damaligen Popwelt in London und Philadelphia zusammen. Der Auftritt von Queen gilt bis heute als legendär.

Geschätzte 1.9 Milliarden Menschen verfolgten das Spektakel weltweit am Fernsehen und spendeten rund 100 Millionen US-Dollar. Doch hinter den gigantischen Shows verbarg sich eine komplexe Realität, und so blieb das Mammutprojekt nicht frei von Kritik.

Wenn Musikschaffende bei Benefizveranstaltungen auftreten, bewegen sie sich in einem Spannungsfeld. Einerseits können sie wichtige Anliegen ins Rampenlicht rücken, andererseits dieses Rampenlicht auch zur Imagepflege oder für eigene Anliegen nützen. So wie Bob Dylan: Sein Auftritt bei Live Aid löste eine Kontroverse aus, weil er vorschlug, einen Teil der Spendengelder für amerikanische Bauern abzuzwacken.

Verzerrter Blick auf Afrika

Kritiker warfen Live Aid zudem vor, ein stereotypes Bild von Afrika zu vermitteln. Statt einer differenzierten Darstellung gab es TV-Bilder mit dramatischen Hungerszenen, die den gesamten Kontinent als hilflos erscheinen liessen. Ein Paradebeispiel für den sogenannten White Saviorism.

Hinzu kommt, dass die auftretenden Stars fast ausschliesslich weisse Künstler waren. Afrikanische oder weibliche Stimmen gab es kaum zu hören.

Abstrakte Kritik?

Initiator Bob Geldof bezeichnete die Vorwürfe 2024 in einem Interview mit der Sunday Times als abstraktes Wohlstands-Argument. Für ihn stünden die geretteten Menschenleben im Vordergrund.

Klar: Live Aid hat kurzzeitig dringend benötigtes Geld nach Äthiopien gebracht. Doch wirtschaftlich nachhaltig dürfte die Aktion kaum gewesen sein. Ausserdem hinterlässt Geldofs fehlender Wille zur kritischen Selbstreflexion einen schalen Nachgeschmack.

Vermeintlicher Spendenskandal

Im Anschluss an Live Aid berichteten Medien, ein Teil der Spendengelder sei über Umwege in die Hände bewaffneter Rebellen gelangt. Weil für diese Theorie aber keine handfesten Beweise erbracht werden konnten, musste sich die BBC 2010 öffentlich bei Geldof entschuldigen.

Dieser nahm die Entschuldigung an, betonte aber, dass der Schaden für Benefiz-Organisationen erheblich sei.

Meilenstein und Lehrstück

Der Benefiz-Gigantismus fand 1985 mit Live Aid seinen Höhepunkt und flachte dann ab. Ein Anlass in dieser Form wäre heute nicht mehr denkbar, denn der gesellschaftliche Diskurs hat das Bewusstsein geschärft für die ethische Dimension von Benefizveranstaltungen. Ausserdem sind die Erwartungen an Transparenz und nachhaltiger Wirkung gestiegen.

Live Aid ist bis heute ein Meilenstein der Popgeschichte, aber auch ein Lehrstück darüber, wie gute Absichten und kulturelle Sensibilität miteinander in Konflikt geraten können.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.