Nach Jahren des Wartens haben die italienischen Galeristen endlich bekommen, was sie von der Politik forderten – eine Steuersenkung. Am 1. Juli konnten sie jubeln: Die Mehrwertsteuer auf Kunst in Italien wurde auf fünf Prozent reduziert. Es ist der niedrigste Wert in Europa, noch unter Frankreich mit 5,5 Prozent und Deutschland, wo ein Steuersatz von sieben Prozent gilt.
Die Gelegenheit für diese Reform ergab sich, nachdem die Europäische Union mit der Richtlinie 2022/542 die Möglichkeit geschaffen hatte, den Steuersatz für Kunst zu senken. Die Richtlinie wurde im April 2022 von den Mitgliedstaaten gebilligt und sollte bis zum 1. Januar 2025 in nationales Recht umgesetzt werden. Frankreich nutzte die Chance sofort und nahm die Änderung in den Finanzhaushalt 2024 auf.
Der französische Kunsthandel war nämlich in Fahrt gekommen, nachdem der britische Markt und London durch den Brexit geschwächt worden war: Paris entwickelt sich wieder zur Hauptstadt der zeitgenössischen Kunst in Europa. Dutzende internationale Galerien haben sich locken lassen, in der französischen Metropole Niederlassungen zu eröffnen; die Art Basel betreibt eine Messe im Grand Palais. Deutschland folgte dem französischen Beispiel und senkte zu Beginn dieses Jahres die Mehrwertsteuer für Kunstwerke. Die deutschen Galeristenverbände feierten den Erfolg nach Jahren politischer Lobbyarbeit.
Geschätztes Umsatzplus von 1,5 Milliarden Euro
Italien hingegen setzte die Richtlinie zunächst nicht um. Zur großen Enttäuschung der Galeristen, die auf der Kunstmesse Arte Fiera in Bologna im Februar 2025 protestierten. Der Nachteil für die Händler und ihre Kunden war offensichtlich: Warum sollte ein Sammler ein Werk auf dem italienischen Kunstmarkt mit 22 Prozent Mehrwertsteuer kaufen, wenn er es in anderen europäischen Ländern zu einem Viertel dieses Satzes erwerben konnte?
Der ermäßigte Steuersatz von zehn Prozent galt bisher nur in Sonderfällen, etwa wenn die Verkäufe direkt durch die Künstler oder deren Erben erfolgten. Doch nun hat sich die Lage geändert. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf fünf Prozent könnte in drei Jahren zu einem geschätzten Umsatzplus von 1,5 Milliarden Euro führen, schätzen Marktbeobachter. Profitieren werden davon auch die italienischen Kunstmessen, neben der Arte Fiera etwa die Artissima in Turin und die Miart in Mailand.
Damit kann Italien wieder mit Nachbarländern wie Frankreich, Deutschland und der Schweiz (8,5 Prozent) konkurrieren. Ohne diese Reform hätte ein Umsatzrückgang von 28 bis 50 Prozent gedroht, so legte es Sirio Ortolani, Vizepräsident der Associazione Gruppo Apollo (einer Interessenvertretung führender Auktionshäuser, Kunsthändler, Sammler und Logistikunternehmen) in einem Artikel der Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“ dar.
Für den fiskalischen Schritt gab es freilich auch Kritik, denn die Mehrwertsteuer auf Kunst liegt jetzt unter der für Hygieneartikel wie Windeln, Binden und Tampons. Die wurde nämlich unter der Regierung von Mario Monti auf zehn Prozent gesenkt, von der aktuellen Regierung Giorgia Melonis jedoch wieder auf die Regelbesteuerung von 22 Prozent angehoben. Man sollte Wirtschaftsgüter nicht gegeneinander ausspielen. Aber klar ist: Kunst stellt für Italien eine wertvolle Ressource dar.
Die Hoffnung: Italien könnte zum Eingangstor für den europäischen Kunstimport aus Drittländern werden und ausländische Investitionen anziehen. Bereits in jüngster Zeit haben internationale Galerien wie Gregor Staiger (Zürich), Ciaccia Levi (Paris), Thomas Dane (London), Gisela Capitain (Köln), Wentrup (Berlin), Tim Van Laere (Antwerpen) und M+B (Los Angeles) neue Standorte in Mailand, Venedig, Rom oder Neapel eröffnet, angezogen vom reichen künstlerischen Erbe und der lebendigen privaten Sammlerkultur.
Nun kommt auch der Galerist Thaddaeus Ropac aus Salzburg. Im September eröffnet er seine Dependance in Mailand mit einer Ausstellung von Georg Baselitz und Lucio Fontana. Dass seine Entscheidung auf die Mehrwertsteuersenkung zurückgeht, ist allerdings unwahrscheinlich – Ropac betreibt bereits zwei Galerien unter 5,5-Prozent-Bedingungen in Paris. (In einigen Fällen dürfte Kunstsammler auch die „Flat Tax“ gereizt haben, die neu nach Italien gezogenen Millionären einen Pauschalsteuersatz von 200.000 Euro bietet.)
Was ändert sich konkret? Die gesenkte italienische Mehrwertsteuer gilt für alle Verkäufe und Importe von Kunstwerken. Wer den ermäßigten Satz nutzt, verzichtet jedoch auf die Möglichkeit, bei einem Weiterverkauf die Margenbesteuerung (22 Prozent) anzuwenden. Sie lohnt sich vor allem dann, wenn die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis gering ist, etwa bei Werken aufstrebender Künstler. Auktionshäuser profitieren nicht direkt von der Reform, da sie Provisionen auf Vermittlungsgeschäfte erheben und nicht als Käufer oder Verkäufer auftreten.
„Insgesamt erwarten wir sinkende Endpreise, besonders bei Kunstwerken mittlerer und hoher Wertstufen“, sagt Franco Broccardi von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Studio Lombard DCA. „Die Steuersenkung ermöglicht es den Akteuren, angefangen bei den Künstlern selbst, auf Augenhöhe zu agieren. Wir sind jetzt wettbewerbsfähiger, auch wenn die Reform spät kommt.“
Frankreich habe die Chancen der unsicheren Situation in Großbritannien genutzt, während Italien gezögert habe. Allerdings reiche die Steuerminderung allein nicht aus: „Der italienische Kunstmarkt muss nun an Transparenz und Reife gewinnen, etwa durch die Bekämpfung des Schwarzmarkts.“ Auch die Finanzbranche könnte von der niedrigeren Steuer profitieren, so Broccardi, wie etwa das in Italien noch kaum verbreitete „Art Lending“ (eine Art von Kreditfinanzierung, bei der Kunstwerke als Sicherheit hinterlegt werden).
Die Politik bereitet derweil schon die nächsten Schritte vor: Federico Mollicone, Melonis Parteifreund von den „Fratelli d’Italia“ und Vorsitzender des Kulturausschusses der Abgeordnetenkammer in Rom, kündigte für diesen Monat den Gesetzentwurf „Italia in scena“ an. Er soll digitale Innovationen, die Aufwertung des Kulturerbes und vereinfachte Verfahren für Exporte und „Notifizierungen“ fördern.
Derzeit behindern strenge Vorschriften, lange Wartezeiten und weitere bürokratische Hürden den internationalen Kunsthandel in Italien – besonders bei Werken, die vor über 70 Jahren von heute verstorbenen Künstlern geschaffen wurden und einen Wert von mehr als 13.500 Euro haben. Die Gefahr einer „Notifica“ (Einstufung als nationales Kulturgut, was den Export blockiert und den Wert mindert) lastet auf Sammlungen und fördert den Schwarzhandel. Nun hofft die Branche auf den nächsten Kurswechsel.
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