Das DIW hat mit dem Vorschlag für einen "Boomer-Soli" eine Debatte über zu geringe Renten angestoßen. Doch wie viele Menschen sind tatsächlich von Altersarmut betroffen? Und was für Lösungsansätze gibt es?
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat mit seinem Vorschlag für einen "Boomer-Soli" das Thema Altersarmut wieder auf die Tagesordnung gebracht. Die Idee: Rentnerinnen und Rentner mit hohen Einkommen sollten eine zusätzliche Abgabe zahlen. Dieses Geld soll wiederum die Renten von Menschen mit niedrigeren Altersbezügen aufstocken - und so vor allem gegen Altersarmut helfen.
Auf den Vorschlag kam rasch Kritik, aber auch Zuspruch. Vor allem ist die Rentendebatte nun wieder voll im Gange. Wie dramatisch ist die Entwicklung? Und welche Konzepte gibt es bereits? Ein Überblick.
Wie verbreitet ist Altersarmut in Deutschland?
Laut den aktuellen EU-SILC-Daten galt im vergangenen Jahr hierzulande fast jede fünfte Person über 65 Jahre als armutsgefährdet (19,4 Prozent). Die Zahl ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. So galten im Jahr 2013 nur 14,9 Prozent hierzulande als armutsgefährdet. Auch im EU-Vergleich ist die deutsche Quote überdurchschnittlich hoch.
Die Erhebung EU-SILC ist eine EU-weit vergleichbare Statistik über Einkommen, Armut und Lebensbedingungen in Europa. Laut Statistischem Bundesamt dient sie auch in Deutschland als amtliche Hauptdatenquelle für Messungen zu diesen Themen. Als armutsgefährdet gilt dem Bundesamt zufolge eine Person, wenn ihr Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens beträgt.
Der Verteilungsexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Maximilian Stockhausen, weist allerdings darauf hin, dass die Daten zur Armutsgefährdung mit etwas Vorsicht zu betrachten seien. In der EU-SILC-Erfassung habe es etwa methodische Veränderungen gegeben, erklärt der Experte auf Anfrage von tagesschau.de: "Zudem sind nicht alle Befragten in der Pandemie gut zu erreichen gewesen. Das kann Verzerrungen in den Daten auslösen", so Stockhausen.
Und: Für die jüngsten Jahre zeigten die Indikatoren der Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung je nach Datenquelle unterschiedliche Entwicklungen der Armutsgefährdung im Alter, erklärt der Experte.
Was sind Gründe für den Anstieg der Altersarmut?
Martin Brussig, Arbeitsmarktexperte am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen erklärt auf Anfrage von tagesschau.de: "Ein Grund ist, dass in den vergangenen zehn Jahren sehr viele Menschen in Rente gegangen sind, die nicht kontinuierlich in die Rentenkasse eingezahlt haben. Ihr Erwerbsleben fiel in den 80er-, 90er- und Nuller-Jahren mit Zeiten der Massenarbeitslosigkeit zusammen."
Zudem hätten sich generell durch die größere Polarisierung bei Einkommen auch die Unterschiede im Alter vergrößert. "Ganz generell sehen wir, dass die Armutsgefährdung in den vergangenen Jahren über diverse Gruppen hinweg gestiegen ist."
IW-Experte Stockhausen gibt zudem zu bedenken: "Durch den Krieg in der Ukraine haben wir auch Senioren aufgenommen, die wenig Einkommen haben und Grundsicherung im Alter beziehen." Auf den Effekt habe auch das Statistische Bundesamt hingewiesen. Und er weist auf ein weiteres Problemfeld hin. "Anders als Menschen im erwerbsfähigen Alter sind die Möglichkeiten von Senioren beschränkt, ihre Einkommenssituation zu verbessern." Derzeit sind etwa 13 Prozent der Rentnerinnen und Rentner noch erwerbstätig. Dabei stehen aber nicht immer nur finanzielle Gründe im Vordergrund.
Welche Rolle spielen Vermögen?
Der IW-Verteilungsexperte betont, dass sich die üblichen Armutsstatistiken vor allem auf Einkommen beziehen - auf die Vermögen werde hingegen meist nicht geschaut. "Betrachtet man auch die Vermögen sieht das Bild etwas anders aus."
Er verweist auf eine von ihm durchgeführte Studie, wonach gerade einige Menschen über 65 Jahren über große Rücklagen verfügten. Demnach konnte im Jahr 2023 die Hälfte dieser Haushalte auf Rücklagen in Höhe von mindestens 172.000 Euro zurückgreifen.
Allerdings: Nicht jeder besitzt gleichermaßen Vermögen. Richtet sich der Blick an das andere Ende der Verteilung, zu den Menschen die zu den 30 Prozent mit den geringsten Vermögen gehören, so besitzen diese gerade mal bis zu 1.900 Euro und weniger.
Was hilft gegen Altersarmut?
Neben dem Vorschlag des DIW zum "Boomer-Soli" gibt es zahlreiche andere Ideen, wie man altersarmen Rentnerinnen und Rentnern helfen könnte. So schlägt etwa der Paritätische Wohlfahrsverband eine armutsvermeidende Mindestrente für langjährige Versicherte vor. Sie soll aus Steuern finanziert werden. Indem alle Erwerbstätigen in die Rente einbezogen werden, will der Wohlfahrtsverband die gesetzliche Rente wieder stärken.
Auch IAQ-Experte Brussig betont: "Mittel- und langfristig ist es wichtig, die gesetzliche Rente wieder zu stabilisieren". Die Kalkulation dahinter: Gerade für Menschen mit kleinen Einkommen ist die gesetzliche Rente die wichtigste Säule im Alter. Sie können oft wenig zurücklegen. Außerdem seien gute Löhne, sozialversicherte Jobs und die Vermeidung von Erwerbslosigkeit zentral, sagt Brussig.
Für den IW-Experten Stockhausen steht im Fokus zu verhindern, dass die Sozialbeiträge weiter steigen. "Neue Leistungen etwa der Kranken- und Pflegekassen sollte es nur geben, wenn dafür Geld vorhanden ist." Denn höhere Beiträge würden gerade Menschen mit kleinen Einkommen und Renten überproportional stark belasten.
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