Deutschland ist vielfältig - nicht nur in den Regionen, sondern auch wirtschaftlich. Experten glauben, dass das Land gute Chancen hat, gestärkt aus den aktuellen Veränderungsprozessen hervorzugehen.

Was Deutschland so besonders macht? Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, muss nicht lange überlegen. "Deutschland ist vielfältig", sagt er und verweist auf die großen, weltweit agierenden Konzerne, die hier in Deutschland ihren Firmensitz haben.

Fast noch wichtiger sind für ihn die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen. Krämer spricht vom Rückgrat der deutschen Wirtschaft. "Die sind flexibel und haben in der Vergangenheit sehr viele Jobs geschaffen. Sie zahlen auch gute Löhne." Häufig sind es innovative Unternehmen, die in ihren Nischenbereichen Weltmarktführer sind.

Die Basis bricht weg

Jahrzehntelang konnten diese Betriebe von der Globalisierung, also von der weltweiten Arbeitsteilung, profitieren. Produzieren "just in time" hieß das Motto. Dabei haben es viele - ob Weltkonzern oder mittelständisches Unternehmen - zur Perfektion gebracht.

Problematisch ist nur, dass jetzt die Basis dafür, also die weltweite Arbeitsteilung, nicht mehr reibungslos funktioniert. Energie ist teurer geworden, globale Lieferketten wurden unterbrochen. Neue Konkurrenten drängen auf den Markt, die mit dem, was sie tun und wie sie es tun, andere Maßstäbe setzen.

"Wir sehen fast täglich, wie sich die Rolle der Supermächte ändert", so der Ökonom Martin Lück. "Und das hat natürlich Relevanz für viele Länder, die besonders stark im Welthandel engagiert sind." Deutschland gehört dazu. Von daher wundert es wenig, wenn jetzt deutsche Industriebetriebe ins Schlingern geraten.

Viele negative Prognosen

Viele Organisationen und Forschungsinstitute sind pessimistisch geworden. Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, rechnet damit, dass Deutschland 2025 so langsam wachsen wird wie keine andere Industrienation.

Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hält zumindest noch ein Mini-Wachstum in diesem Jahr für möglich. "Für die deutsche Wirtschaft zeichnet sich ein Ende der langen Durststrecke ab." Aber die Lage bleibe herausfordernd.

Krisen gehören dazu

Dabei ist das, was momentan passiert, gar nicht so ungewöhnlich. "Umbrüche und wirtschaftliche Rivalitäten hat es immer gegeben", schreibt der Frankfurter Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe. Da muss man gar nicht so weit zurückschauen: 2008/ 2009 gab es die weltweite Finanzkrise. 2012 kam der Euro ins Schlingern. Später haben die Auswirkungen der Corona-Pandemie unzählige Unternehmen in den Ruin getrieben. Jetzt werden die sich verschärfenden Handelskonflikte zum Problem.

"Nach der Krise ist immer vor der Krise, aber auf einem anderen technologischen Niveau, auf einem anderen strukturellen Niveau", so Plumpe. "Bedenken sollte man erst bekommen, wenn das Neue aufhört; wenn die Menschheit weder die kognitiven, noch die technologischen Voraussetzungen hat, um Neues hervorzubringen." Krisen gehören dazu.

Ohne Schrammen und Blessuren geht es nicht

Unternehmen reagieren auf die sich verändernden Rahmenbedingungen. Geschäftsmodelle werden auf den Prüfstand gestellt, Abteilungen verkleinert, manchmal sogar ganze Standorte geschlossen oder Tochtergesellschaften verkauft. Solche tiefgreifenden Veränderungsprozesse vollziehen sich nicht ohne Schrammen und Blessuren.

Für viele Beschäftigte ist es eine bittere Erfahrung, wenn sie merken, dass die eigene Arbeitskraft und das Know-how im Betrieb nicht mehr gefragt sind. Langjährige Mitarbeitende müssen zusehen, wie neue Kolleginnen und Kollegen eingestellt und hofiert werden, weil sie andere Qualifikationen mitbringen. Unter strategischen Gesichtspunkten mögen das für Unternehmen sinnvolle Entscheidungen sein.

"Geld ausgeben reicht nicht aus, es muss Reformen geben"

Bei solchen tiefgreifenden Veränderungsprozessen könne man von anderen Staaten lernen, sagen Ökonomen. Dazu gehört etwa der Mut, Neues auszuprobieren. "Wichtig ist auch Technologieoffenheit", so Chris-Oliver Schickentanz vom Vermögensverwalter Capitell AG.

"In Deutschland wird immer sehr, sehr schnell über die Risiken neuer Technologien gesprochen, anstatt dass wir uns erst einmal Gedanken machen, welche Möglichkeiten neue Technologien wie zum Beispiel Künstliche Intelligenz bieten. Es muss Reformen geben", fordert Holger Schmieding von der Berenberg-Bank. "Wir können lernen, mehr in die Infrastruktur zu investieren. Wir können lernen, beispielsweise bei Regulierung nicht ganz so detailgenau zu sein."

Andere Länder sind schlichtweg schneller, wenn es darum geht, für Unternehmen bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Commerzbank-Ökonom Krämer denkt dabei etwa an die baltischen Staaten, "die es geschafft haben, in relativ kurzer Zeit eine Vorreiterfunktion zu entwickeln in Sachen Digitalisierung".

Deutschlands Potenziale

Die Welt wird komplexer und fragmentierter, Rivalitäten treten stärker zu Tage. Deutschland hat dennoch gute Chancen, aus diesen Veränderungsprozessen gestärkt hervorzugehen. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es eine Basis gibt, auf die man aufbauen kann. Dazu gehören das Bildungssystem, ebenso wie gut ausgebildete Fachkräfte im Land und nach wie vor eine gute Grundlagenforschung an den Universitäten.

Mit dem Fiskalpaket der Bundesregierung und mit der Reform der Schuldenbremse dürften Unternehmen wieder Anreize bekommen zu investieren. "Das wird zumindest einen Konjunkturimpuls geben", glaubt der Ökonom Martin Lück. Und was die Zollstreitigkeiten betrifft: "Wenn die Amerikaner nicht mehr attraktiv sind zum Investieren, wer soll es dann noch sein? Da kommt Europa ins Spiel - und ganz speziell Deutschland. Daher der vorsichtige Optimismus."

Was Deutschland so besonders macht, ist die Fähigkeit, unter großem Druck und unter schwierigen Rahmenbedingungen wandlungsfähig zu sein und sich damit an externe Herausforderungen anzupassen.

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