Was macht eigentlich so ein Kanzleramtsminister? „Im Grunde genommen alles Mögliche“, antwortet Thorsten Frei (CDU), als WELT-Chefredakteur Jan Philipp Burgard ihn beim „Politikergrillen“ genau danach fragt. Frei ist am Montagabend zu Gast im Axel-Springer-Neubau in Berlin. Und natürlich reicht „alles Mögliche“ als Antwort nicht.

„Also, ich habe eine eigene Zuständigkeit, wenn es um den Bundesnachrichtendienst und die Koordinierung der Nachrichtendienste in Deutschland geht“, erklärt er. Und außerdem sei er der, der die Ministerien koordiniert, Gesetzesvorlagen mit allen Beteiligten abstimmt und für die Mehrheiten sorgt, damit „am Ende die richtigen Gesetze dabei rauskommen“.

Worauf Burgard trocken nachfragt: „Was hätten Sie denn besser machen können in diesen ersten Tagen?“ Und Frei trocken antwortet: „Da gibt es jede Menge.“

Etwa die Stromsteuer-Senkung. „Das ist uns nicht wirklich gut gelungen und auch mir persönlich nicht.“ Das würden wohl auch die Kritiker so sehen. „Wortbruch“, schimpfte der Chef des Steuerzahlerbundes, „fatales Signal“ der Handelsverband, und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, ein Parteikollege Freis, erinnerte daran, dass im Koalitionsvertrag die Senkung der Stromsteuer für alle vereinbart sei. „Dann gilt es eben, die richtigen Lehren für die Zukunft daraus zu ziehen“, sagt Frei jetzt am Grill bei WELT, wo neben Würsten und Steaks auch Knöpfle garen, eine Variante der Spätzle, weil Frei ja aus Baden-Württemberg kommt.

Welche Lehren? „Ja, wir müssen noch mehr abstimmen untereinander. Das machen wir zwar ohnehin schon, aber im Zweifel muss man eben noch mal fünf Telefonate extra führen.“ Alle müssten beteiligt werden. „Denn Politik lebt am Ende von Akzeptanz.“ Das ging diesmal schief. „Aber ehrlicherweise muss man sagen, wir haben auch selber Schuld.“

Thema abgehakt. Durchatmen und sich dem Essen widmen? Noch nicht. Burgard fragt: „Es hat ja nicht nur bei der Stromsteuer geknallt in der Koalition, sondern auch bei der Nominierung der Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, die dann am Ende nicht zur Wahl gestellt worden ist im Deutschen Bundestag. Wenn es die Wahl gegeben hätte, hätten Sie für sie gestimmt?“

Frei weicht aus. „Also, das ist ja eine geheime Wahl, und das bringt jetzt nichts, sozusagen Konjunktivfragen zu beantworten.“ Und übt erneut Selbstkritik: „In der Sache, muss man sagen, ist das natürlich nicht gut gelaufen. Und es ist bedauerlich, dass wir da eine Situation bekommen haben, die den Eindruck vermittelt hat, dass wir in der Koalition nicht in der Lage sind, diese Personalfragen zu klären.“ Das müsse korrigiert werden, ohne Zeitdruck.

Aber wie? „Die SPD beharrt auf Frauke Brosius-Gersdorf“, sagt Burgard mit Bezug auf den SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler Lars Klingbeil, „und die CDU macht ja auch keine Anstalten, sozusagen zurückzuziehen“.

„Welche Optionen gibt es?“, fragt Burgard und wendet sich dem Grill zu. „Ich gebe Ihnen etwas Zeit zum Nachdenken.“ Kurzes Fachsimpeln über Gas- oder Kohlegrill und die Brandschutzvorschriften im Gebäude und die Unterschiede zwischen Spätzle und Knöpfle. Die seien „in der Form ein bisschen anders“, sagt Frei.

Nachdenkpause vorbei. „Am Ende des Tages braucht man für eine Richterwahl ja eine Zwei-Drittel-Mehrheit“, sagt Frei. Die Kandidaten müssten „für eine breite Mitte“ des Parlaments wählbar sein. Das gehe nicht „per ordre de mufti“. Und wenn es nicht klappe, dann könne der Bundesrat die Richterposten besetzen. Das sei aber nicht das, was er sich wünsche. Glasklar wird er bei der Frage, wie er zu dem Vorschlag der Linkspartei steht: Zustimmung zu den Koalitions-Kandidaten –dafür im Gegenzug künftig das Vorschlagsrecht für eigene Kandidaten. „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Frei eindeutig und kategorisch.

Nächste politische Baustelle: die ausufernden Kosten der Sozialsysteme. „Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir das Bürgergeld, so wie wir es haben, abschaffen werden“, kündigt Frei an. Stattdessen soll es eine „Grundsicherung“ geben. „Wir möchten dafür sorgen, dass Menschen in Arbeit kommen.“ Die „Zumutbarkeitsregeln“ will die Koalition verschärfen. „Und das wird dazu führen, dass nicht mehr 5,6 oder 5,7 Millionen Menschen im Bürgergeld-Bezug sind, sondern dass wir mit deutlich weniger auskommen“, gibt sich Frei zuversichtlich.

Weiter geht es mit der Rentenpolitik. „Stimmen Sie die Bürger jetzt schon darauf ein, dass es am Ende nicht ohne Leistungskürzungen gehen wird?“, fragt Burgard. Frei beschreibt das Problem im Grundsatz. Die Bevölkerung werde immer älter. In einem „Kapitalumlagesystem“ zahlten die heutigen Arbeitnehmer für die heutigen Rentner ein, und zwar wegen der Altersentwicklung „immer weniger Einzahler für immer mehr Versorgungsempfänger“. Frei sagt auch, dass das schon seit 40, 50 Jahren absehbar gewesen sei. Gleichzeitig seien aber die „Rentenbezugszeiten verdoppelt“ worden. „Und deswegen zu glauben, dass wir mit dem bisherigen System einfach nur so weitermachen könnten, das wird nicht funktionieren.“

Was dann? Frei sagt, die „tatsächliche“ Lebensarbeitszeit solle länger werden. Die ersten 2000 Euro Zuverdienst zur Rente pro Monat sollten komplett steuerfrei bleiben.

Burgard zitiert Kritiker, etwa die Deutsche Industrie- und Handelskammer und die Vorsitzende des Verbandes der Familienunternehmer. „Da heißt es, dass sich der Kanzler weiterhin mehr ums Verteilen kümmern würde und weniger ums Erwirtschaften.“ Etwa bei der von der CSU forcierten Mütterrente. Die Politik schaue auf die, die von den Sozialkassen lebten – nicht aber auf die, die die Beiträge erarbeiteten und bezahlten. „Hat sie recht?“

„Also erstensmal finde ich das extrem verkürzt“, verteidigt sich Frei. Denn auch die Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen hätten, hätten ja etwas geleistet, und ohne Kinder und damit künftige Beitragszahler funktioniere das System nicht.

„Das stellt ja keiner in Abrede“, hakt Burgard nach, „aber trotzdem wird eben zu viel ausgegeben und zu wenig eingenommen.“ Er zitiert Helmut Kohl (CDU). Der „hat einmal gesagt: Bei einer Staatsquote von 50 Prozent beginnt der Sozialismus. Wir erreichen dieses Jahr eine Staatsquote von über 50 Prozent. Das heißt, es wird mehr als die Hälfte ausgegeben vom Staat, als das Bruttoinlandsprodukt groß ist. Wie wollen Sie denn den Staat wieder aus dem Sozialismus nach der kohlschen Definition herausführen?“

Frei sagt, „natürlich“ müsse die Regierung „alles tun“, damit das Land wettbewerbsfähiger werde und die Staatsquote nach unten gehe. Aber das geschehe ja auch schon. „Wir haben es mit einer Situation zu tun, wo man in einer Koalition gemeinsam gute Lösungen braucht. Und das bedeutet, wir müssen schauen, dass wir einen Großteil der Gesellschaft auf diesem Weg auch mitnehmen.“ Kritik sei zwar „in Ordnung“, aber die dürfe darum „nicht so harsch sein“.

Nebenbei ist das Fleisch fertig gegrillt. Frei bevorzugt sein Steak medium. Dazu gibt es Bier aus dem Schwarzwald, alkoholfrei.

Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die Politik in Bayern.

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