Die Hoffnung von Millionen Venezolanern starb in der Nacht vom 28. auf den 29. Juli des vergangenen Jahres. Damals erklärte sich der linksextreme Machthaber Nicolas Maduro erneut zum Wahlsieger, obwohl internationale Beobachter zu einem anderen Ergebnis gekommen waren. Die Chance auf einen demokratischen und friedlichen Machtwechsel war zerstört. Und damit auch die Zukunftsaussichten eines ganzen Volkes. Eine der brutalsten Diktaturen des laufenden Jahrhunderts bleibt einfach an der Macht.
Schon jetzt ist bereits ein Viertel der einst 32 Millionen Einwohner aus dem Land geflohen. Den kommunistischen Ein-Parteien-Staat Kuba verließ ein Zehntel der Bevölkerung nach der Niederschlagung der historischen Sozialproteste 2021 und in den Folgejahren. Auch aus Nicaragua fliehen immer mehr Menschen vor dem links-sandinistischen Familienclan unter Diktator Daniel Ortega und seiner Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo.
Bislang war das Ziel der Völkerwanderung raus aus dem Sozialismus eindeutig: Neben den lateinamerikanischen Nachbarländern wurden vor allem die USA zur neuen Heimat von Hunderttausenden Migranten aus Kuba, Venezuela und Nicaragua. Viele zog es nach Florida. Doch seit Donald Trump im Amt ist, hat der US-Präsident mit einer knallharten, bisweilen gegen humanitäre Grundrechte verstoßenden Migrationspolitik die Südgrenze der USA abgeriegelt.
Den Traum von einem besseren Leben aufzugeben und in ihrer Heimat zu bleiben, ist für viele Menschen keine Option. Die Lage in Venezuela, Kuba und Nicaragua ist nach wie vor hoffnungslos, eine demokratische Öffnung oder gar freie Wahlen sind undenkbar. Es herrschen staatliche Gewalt, Hyperinflation und Versorgungsengpässe ausgelöst durch Korruption, sozialistische Planwirtschaft und verschärft durch internationale Sanktionen.
Wohin nun, wenn der Weg gen Norden aussichtslos scheint? Antworten liefern unter anderem eine vor wenigen Wochen veröffentlichte Umfrage des venezolanischen Meinungsforschungsinstituts Poder & Estrategia sowie aktuelle Zahlen der Migrationsbehörden.
Spanien ist neuer Spitzenreiter unter Venezolanern
Demnach erklärte ein Viertel der Venezolaner, die erwägen, das Land zu verlassen, dass sie gerne nach Spanien auswandern würden – ein Zuwachs von fast zehn Prozent innerhalb von fünf Monaten. Im gleichen Zeitraum sank das Interesse an den USA von 27 auf 11 Prozent.
Spanien ist damit neuer Spitzenreiter unter den Wunschzielen für Venezolaner. Das liegt nicht nur an der Sprache, sondern auch daran, dass Madrid immer noch eine vergleichsweise offene Migrationspolitik verfolgt.
„Etwa 18 Prozent der Venezolaner beabsichtigen, auszuwandern, bei den unter 30-Jährigen sind es sogar 40 Prozent. Das zeigt, wie hoffnungslos viele angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Krise ihres Landes sind“, sagt Ricardo Ríos, Präsident des Befragungsinstituts Poder & Estrategia. In absoluten Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass weitere vier Millionen Venezolaner das Land bis 2026 verlassen wollen.
Nicht alle zieht es nach Europa, doch schon jetzt lassen sich die Vorboten dieser Entwicklung messen. Mit einem Zuwachs von 25 Prozent kamen die meisten Schutzsuchenden in der EU im ersten Halbjahr 2025 bereits aus Venezuela (48.413), das damit Afghanistan und Syrien an der Spitze der Asylanträge ablöst.
Während die Anträge aus Venezuela in Europa steigen, lässt sich in den USA die entgegengesetzte Entwicklung verfolgen. Laut offiziellen Angaben der zuständigen Grenzschutzbehörde U.S. Customs and Border Protection (CBP) ist die Zahl der illegalen Grenzübertritte im Juni mit 25.228 auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Statistik gesunken.
Zu den bislang bekannten Migrationsländern Kuba, Venezuela und Nicaragua ist überraschenderweise noch ein weiteres südamerikanisches Land hinzugekommen. Eines, das nach einem historischen Politikwechsel eigentlich als Hoffnungsträger galt. Nach dem Wahlsieg von Gustavo Petro in Kolumbien, dem ersten Linkspolitiker im Präsidentenamt, waren vor allem die Hoffnungen der jungen Generation groß.
Doch nach drei Jahren und einem weitgehend gescheiterten Friedensprozess, der in noch mehr Gewalt durch links- und rechtsextreme Banden sowie eine steigende Kokain-Produktion mündete, ändert sich auch das Auswanderungsverhalten der Kolumbianer. Daten der dortigen Migrationsbehörde zeigen, dass Spanien im Jahr 2024 mit 107.000 Menschen bereits das Hauptziel für Kolumbianer war und auch 2025 wieder an der Spitze liegen wird. Im ersten Halbjahr des laufenden Jahres wurden bereits 64.000 Migranten gezählt – Tendenz steigend.
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
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