Ein Mann läuft mit Kippa durch Berlin-Neukölln und wird von zwei anderen Männern festgehalten und antisemitisch beleidigt. Als das Opfer sein Mobiltelefon zückt, um möglicherweise Hilfe zu rufen oder die Täter zu filmen, ergreifen diese die Flucht. Der Vorfall aus dem Jahr 2022 sorgte bundesweit für Schlagzeilen.

Im Frühjahr 2024 schlägt der Angriff auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira an der Freien Universität Berlin hohe Wellen. Der junge Mann wird von einem propalästinensischen Kommilitonen auf dem Campus gezielt angesprochen, beschimpft und anschließend brutal zusammengeschlagen. Mehrere Faustschläge und Tritte gegen Kopf und Oberkörper führen zu Gesichtsfrakturen und einer mehrtägigen stationären Behandlung im Krankenhaus.

Laut Bundeskriminalamt stieg die Zahl der antisemitischen Straftaten im vergangenen Jahr um 20,8 Prozent und erreichte mit 6236 Fällen einen neuen Höchststand. Auch in Berlin wurde laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) im vergangenen Jahr ein neuer Höchststand verzeichnet. Im Jahr 2024 erfasste die Stelle 2521 antisemitische Vorfälle. Im Jahr zuvor waren es 1270 Fälle. RIAS erfasst im Gegensatz zum BKA auch Vorfälle jenseits strafrechtlicher Relevanz.

Die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) bezeichnete diese Entwicklung als „höchst besorgniserregend“ und mahnte, Jüdinnen und Juden müssten sich in der Stadt wieder sicher fühlen können.

Als Reaktion auf die wachsende Bedrohungslage hat die Jüdische Gemeinde zu Berlin gemeinsam mit Kantorin Avitall Gerstetter nun ein Schutz-Projekt ins Leben gerufen. Die Initiative mit dem Namen „Welcome Places“ lädt bundesweit Hotels, Restaurants, Geschäfte und Institutionen dazu ein, sich dem Netzwerk anzuschließen und ihre Gebäude als Zufluchtsorte für Menschen in Bedrängnis bereitzustellen.

Ziel des Projekts ist es, allen Menschen, insbesondere aber Jüdinnen und Juden, im Notfall schnell einen sicheren Anlaufpunkt zu bieten. Ein gut sichtbares Schild am Eingang mit der Aufschrift „Hier bist du sicher“ kennzeichnet diese Schutzorte. „Es braucht heutzutage leider nicht viel, um Ziel von Hass zu werden“, sagt Mitinitiatorin Avitall Gerstetter.

Über einen „Welcome Button“ auf einer Online-Plattform können Hilfesuchende zudem den Weg zum nächstgelegenen Schutzort finden. Unterstützt wird die Initiative nach eigener Aussage bereits von prominenten Persönlichkeiten. So haben unter anderem Norbert Palz, der Präsident der Universität der Künste Berlin (UdK), und Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, ihre Unterstützung zugesagt.

Die Initiatoren erhoffen sich, dass möglichst viele Einrichtungen mitmachen und dadurch ein deutliches Zeichen gegen Judenfeindlichkeit und für Solidarität gesetzt wird.

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