Ein Großteil der Kommunen in Deutschland befindet sich inzwischen in einer historischen finanziellen Schieflage. Der stellvertretende Vorsitzende des NRW-Städtetags, Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), sieht in der aktuellen Situation eine Gefahr für die Demokratie. „Wenn wir unsere Aufgaben nicht erfüllen können, dann höhlen wir Stück für Stück die Demokratie aus“, sagte der Politiker dem Sender WDR5. Es brauche eine Struktur, um die Kommunen auf bessere finanzielle Füße zu stellen.
Das, was Bürgerinnen und Bürger als Erstes spürten, sei, ob es in den Kommunen funktioniere, sagte Kufen. „Und wir müssen damit einlösen, dass dieser Staat funktioniert.“ Wenn etwa ein Spielgerät schnell abgebaut werde, es aber teilweise Jahre dauere, ein neues aufzubauen, weil man es finanziell nicht anders stemmen könne, dann reiße der Geduldsfaden in der Bevölkerung, sagte Kufen. „Das muss einfach schneller gehen.“
In einem neuen Kommunalen Finanzreport der Bertelsmann Stiftung war zuvor festgestellt worden, dass nur 16 von 430 NRW-Kommunen 2024 einen ausgeglichenen Haushalt haben. Ein ungebremstes Ausgabenwachstum hat die Kommunen im vergangenen Jahr in ein Rekorddefizit getrieben. Mit fast 25 Milliarden Euro (24,8) verbuchten diese laut der Analyse das größte Defizit seit Gründung der Bundesrepublik. Auch den Ausblick bewertet die Stiftung als negativ.
Als Hauptursachen der Misere benennt die Stiftung in ihrem Kommunalen Finanzreport 2025 die hohe Inflation sowie die schwache Konjunktur. Bei wichtigen Ausgabenposten wie Personal, Sachaufwand oder Soziales hätten die Kosten deutlich zugenommen. Insgesamt gab es laut der Analyse allein 2024 einen Ausgabenanstieg um zehn Prozent.
Personalkosten binnen zehn Jahren verdoppelt
Die Personalausgaben hätten sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Sachausgaben für Dienstleistungen, Büroausstattung und Bewirtschaftung von Gebäuden seien innerhalb von zwei Jahren um rund 25 Prozent gestiegen. In gleicher Größenordnung stiegen demnach die Sozialausgaben, während die Steuereinnahmen stagnierten.
„Das Defizit des Jahres 2024 markiert eine Zeitenwende, welche die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen nachhaltig infrage stellt“, erklärte dazu Stiftungs-Vorständin Brigitte Mohn. „Kommunen schultern über 50 Prozent der öffentlichen Investitionen und sind wichtig für den sozialen Zusammenhalt“, gab sie zu bedenken.
Mohn forderte „eine Staatsreform, weil die Kommunen diese wichtigen Aufgaben sonst nicht mehr wahrnehmen können“. Die Verantwortung sieht sie eindeutig beim Bund, da dort zu aufwendige Aufgaben für die Kommunen beschlossen worden seien. Neben dem Bund müssten sich aber auch die Länder "für eine dauerhafte Verbesserung der kommunalen Situation engagieren".
Laut dem Finanzreport erzielten die Kommunen in den Jahren 2015 bis 2022 noch Überschüsse, 2023 sei die Lage dann gekippt. Allerdings sei die positive Gesamtbilanz bereits seit 2020 nur noch aufgrund von Sondereffekten wie Hilfsprogrammen von Bund und Ländern erreicht worden.
2024 habe sich dann das Defizit im Vergleich zum Vorjahresstand von minus 6,8 Milliarden Euro mehr als verdreifacht. Besonders steil bergab sei es in eigentlich wirtschaftsstarken Bundesländern wie Bayern und Hessen gegangen.
Steuereinnahmen in Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen brechen ein
Bei den Steuereinnahmen stehen laut dem Report trotz deutlicher Einbrüche Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen an der Spitze. Schlusslichter seien die fünf ostdeutschen Bundesländer. Dort lägen auch 17 der 20 bundesweit finanzschwächsten Kommunen.
Die schlechte Finanzlage habe auch Auswirkungen auf dringende kommunale Investitionen. Zwar erreichten diese mit 52 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ein Rekordniveau, dennoch habe auch der Investitionsrückstand weiter zugenommen und ein Volumen von etwa 215 Milliarden Euro erreicht.
Es seien „umfangreiche Investitionen in die Klimaanpassung der kommunalen Infrastruktur notwendig, um einen substanziellen Beitrag zur Minderung der Treibhausgase zu leisten“, betonte die Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung, Kirsten Witte. „Angesichts der aktuellen Finanzlage werden die Kommunen die dafür notwendigen Mittel nicht allein aufbringen können“, warnte sie. Auch das neue Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität könne diese Bedarfe nur teilweise decken.
„Deswegen sind weitere langfristige Ansätze zur Finanzierung notwendig“, forderte Witte. Denkbar wären ein zusätzliches, gemeinsames Bund-Länder-Sondervermögen oder ein privat-öffentlicher Zukunfts- und Transformationsfonds. Entscheidend sei dabei, dass auch „die dauerhafte Unterfinanzierung der Kommunen durch langfristige Strukturreformen behoben wird“.
Der Kommunale Finanzreport der Bertelsmann-Stiftung erscheint seit 2008 alle zwei Jahre. Er untersucht gestützt auf amtliche Finanzstatistiken die kommunale Finanzlage in den Flächenländern. Die Stiftung arbeitet dabei mit der Technischen Hochschule Wildau und dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) zusammen.
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