Katherina Reiche ist auf Sommerreise durch Deutschland. Sie will Unternehmen kennenlernen, bietet aber auch Einblicke. Was die neue Wirtschaftsministerin antreibt und wie sie die Wirtschaft wieder auf Kurs bringen will.

Bei der Firma Kirchhoff in Iserlohn geht Katherina Reiche mit dem Inhaber Arndt Kirchhoff durch die Werkshallen. Es ist warm und laut. Die Männer, die hier arbeiten, gucken nur kurz auf, als die Ministerin und ihr Chef vorbeigehen. Viel Betrieb in dem Unternehmen, das Metallkomponenten für große deutsche Autohersteller produziert.

Vorsichtig beim Thema Rente

Etwas später wird Reiche gefragt, ob sie glaubt, dass die Leute, die hier arbeiten, ihre Pläne von einem späteren Renteneintritt unterstützen. Sie zögert kurz, gibt die Frage dann an den Firmenchef weiter und sagt auf Nachfrage nur, dass sie zu diesem Thema ja schon genug gesagt habe. Es ist offensichtlich: Katherina Reiche sieht in dem Thema Renteneintritt mittlerweile ein Minenfeld. Die Kritik der letzten Tage, auch aus den eigenen Reihen, scheint Folgen zu haben.

Da hilft es auch nichts, dass der Unternehmer, der auch Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall in NRW ist, ihre Ideen zu einer längeren Lebensarbeitszeit ausdrücklich unterstützt. "Das ist richtig, was sie sagt! Fragen Sie mal ihre Kinder, wo die Rente herkommen soll", ruft Arndt Kirchhoff den anwesenden Journalistinnen und Journalisten entgegen. Reiche selbst entlockt diese Unterstützung noch nicht mal ein Lächeln.

Bundesregierung will die Stimmung drehen

Katherina Reiche ist an diesem Tag zu Besuch bei verschiedenen Industriebetrieben in Nordrhein-Westfalen. Vor dem Autozulieferer Kirchhoff war sie schon beim Chemieriesen Covestro in Leverkusen, der abgetrennten Kunststoffsparte von Bayer, und beim Mittelständler Agathon in Essen. Dieser stellt Passformen für die Schokoladenindustrie her und liefert nach eigenen Angaben in 52 Länder weltweit.

Reiche nennt die Firma einen "Hidden Champion". "Das ist ein typisch deutsches Wort. Wir haben es mit Champions offensichtlich nicht so gerne. Wir verbergen sie lieber." Das klingt nach Glaubenssatz, nach einer Grundüberzeugung, dass in Deutschland so einiges in die falsche Richtung gelaufen ist. So wie ein weiterer Satz an diesem Tag: "Ich wünschte, wir könnten in sieben oder 14 Tagen all das reparieren, was in den letzten Jahrzehnten auf der Strecke geblieben ist."

Reiche und die schwarz-rote Bundesregierung sind erklärtermaßen angetreten, die Stimmung in Deutschland zu drehen nach zwei Jahren Rezession. Bundeskanzler Friedrich Merz hat gerade erst gut 60 Chefs großer deutscher Unternehmen zu einem Investitionsgipfel ins Kanzleramt geladen. Reiche war eine von zwei Frauen auf dem Gruppenfoto, das für ein Aufbruchsignal stehen sollte.

Das Thema Energie ist Reiche wichtig

Aber die aktuellen Zahlen sind eher ernüchternd. Im zweiten Quartal ist die Wirtschaft um 0,1 Prozent geschrumpft - nach einem Anstieg im ersten Quartal. Die großen Autohersteller melden einbrechende Gewinne, die Arbeitslosenzahlen steigen langsam, aber stetig.

"Diese Regierung ist noch keine 100 Tage im Amt", betont Reiche. Aber es seien schon einige wichtige Weichen gestellt worden. Die Ministerin verweist auf den sogenannten Wachstumsbooster, der Investionen von Unternehmen durch Steuererleichterungen ankurbeln soll. Außerdem auf die geplante Senkung der Energiepreise durch die niedrigere Stromsteuer für produzierende Betriebe und durch die geplante Senkung der Netzentgelte.

Beim Thema Energie will Reiche besonders schnell vorankommen, die Klimawende auf ihre Kosteneffizienz abklopfen. Ein von ihr in Auftrag gegebener Monitoringbericht soll Ende August aufzeigen, wie die Kosten-Nutzen-Rechnung der Energiewende verbessert werden kann.

Kritik von Opposition und Klimaverbänden

Klimaschutzverbände und die Grünen werfen ihr deshalb vor, die Energiewende auszubremsen. Und mit Blick auf ihre langjährige Tätigkeit bei einer Tochter des Energieriesens E.ON nennen sie Reiche eine Verfechterin der fossilen Industrie. Besonders in der Kritik sind ihre Pläne, den Bau neuer Gaskraftwerke zügig voranzubringen. Die CDU-Politikerin betont dagegen deren Notwendigkeit für eine stabile Stromversorgung angesichts von immer mehr Wind- und Solarkraftwerken, die stark wetterabhängig Strom produzieren.

Keine 100 Tage im Amt zeichnet sich ab: Opposition und Klimaverbände beginnen sich auf die CDU-Ministerin einzuschießen, sehen Reiches Erfahrung in der Energiewirtschaft als ideale Angriffsfläche für Vorwürfe etwaiger Lobby-Politik, die bislang allerdings ziemlich pauschal ausfallen.    

Reiche hat bisher nur wenige Pressetermine absolviert. Die Sommerbesuche mit großer Medienbegleitung zeigen eine extrem kontrollierte, fast angespannt wirkende Ministerin. Reiches Vorgänger Robert Habeck wollte die Presse umarmen, die Neue im Wirtschaftsministerium beäugt den Medientross eher misstrauisch, vermeidet jedes Gespräch.

Kontrolliert und distanziert

Katherina Reiche ist eine erfahrene Politikerin und erfolgreiche Managerin; schwer vorstellbar, dass sie nicht damit gerechnet hat, dass ihr beim Thema Rente so viel öffentlicher Gegenwind entgegenschlägt. Dennoch vermeidet sie auf dieser Reise klare Aussagen zu diesem Thema, verweist auf die in der Koalition vereinbarten Kommission für Reformen in den Sozialversicherungen, die ab Herbst grundlegende Vorschläge entwickeln sollen.

Unternehmer Arndt Kirchhoff aus Iserlohn ist sich jedenfalls sicher, dass in seinem Unternehmen "locker zehn Prozent der Belegschaft länger arbeiten wollen". Er fordert von der Politik einen Anreiz für die, die das wollen und können. Dann würden sich auch noch mal deutlich mehr Menschen für längeres Arbeiten entscheiden, sagt er.

Und die Ministerin? Die betont nur noch mal, dass bekannt sei, dass der demografische Kipppunkt bei der Rente erreicht sei und dass alle Maßnahmen, die die sozialen Sicherungssysteme weiter belasten, "tatsächlich eine Herausforderung für unser System sind". Und dann kündigt sie noch an, dass sie sich zum Thema Rente "konstruktiv in diesem Herbst einbringen wolle". Das klingt so kontrolliert und distanziert, wie Katherina Reiche an diesem Tag auf ihrer Sommertour auftritt.

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