Frauke Brosius-Gersdorf zieht sich als Richterkandidatin für das Bundesverfassungsgericht zurück. Darauf reagieren SPD, Grüne und Linke mit Bedauern – und mit Vorwürfen an die Union.

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch zweifelt in einem internen Brief an die SPD-Fraktion an der Verlässlichkeit der Union. Die Unionsspitze habe zunächst wiederholt ihre Zustimmung zu Brosius-Gersdorf signalisiert. „Dass sich zentrale Teile der CDU/CSU-Fraktion am Ende davon distanziert haben, erschüttert nicht nur Vertrauen, sondern stellt das Fundament infrage, auf dem demokratische Zusammenarbeit überhaupt möglich ist.“

Er sei sich sicher: „Wer auf diese Art agiert, bekommt vielleicht kurzfristig seinen Willen, langfristig lähmt er damit aber das Parlament und verspielt Vertrauen in die Demokratie.“ Dennoch geht er weiterhin von einer tragfähigen Basis mit dem Koalitionspartner aus: „Ich bin überzeugt, dass wir diese Haltung, trotz aller Reibung, in der Substanz weiterhin mit unserem Koalitionspartner teilen“, schrieb Miersch in seinem Brief.

Brosius-Gersdorf hatte am Donnerstag bekannt gegeben, sie stehe „für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung“. Die Ablehnung aus der Unions-Bundestagsfraktion habe ihre Wahl unmöglich gemacht. Der SPD-Fraktion dankte sie dafür, dass sie „bis zuletzt“ an ihr festgehalten habe.

Die Besetzung von drei Richterstellen am Bundesverfassungsgericht war am 11. Juli im Bundestag gescheitert, weil die Unionsfraktion die zuvor in der Koalition vereinbarte Zustimmung zur Wahl der von der SPD aufgestellten Kandidatin Brosius-Gersdorf verweigerte. Die Abstimmungen wurden daraufhin abgesetzt. Der Vorgang belastete in der Folge die Stimmung in der Koalition aus Union und SPD.

SPD wettert gegen „Kampagne“

Der SPD-Linke Ralf Stegner bezeichnete Brosius-Gersdorfs Rückzug als Niederlage demokratischer Parteien. „Der Tag wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem der rechte Mob erstmals einen Triumph gefeiert hat“, sagte Stegner dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. „Die demokratischen Parteien haben sich demgegenüber als wehrlos erwiesen. Der politische Skalp hängt am Gürtel von Björn Höcke. Das lässt schon Gedanken an Weimar aufkommen. Es ist zu hoffen, dass dies als Warnschuss begriffen wird.“

Nach dem Rückzug findet Juso-Chef Philipp Türmer, ebenfalls deutliche Worte. Türmer fordert, dass die CDU Konsequenzen zieht – und einen „Wechsel an der Fraktionsspitze“ vornimmt. Weiter sagte Türmer auf Instagram: „Jens Spahn muss Verantwortung übernehmen und gehen!“

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig fordert ebenfalls Konsequenzen: „Mir ist wichtig: Wir brauchen mehr Sorgfalt und Objektivität in unseren Debatten“, sagte die SPD-Politikerin. „Kampagnen“ dürften nicht dazu führen, dass man talentierte und qualifizierte Bewerber – und vor allem Bewerberinnen – verliere. „Das ist eine Entwicklung, die wir uns schlichtweg nicht leisten dürfen und die weder im Interesse unseres Rechtsstaats noch des Bundesverfassungsgerichts ist“, sagte Hubig. „Wir müssen daraus lernen – alle gemeinsam. Es geht um eine bessere Diskussionskultur und darum, solchen Angriffen auf die Demokratie künftig besser standzuhalten.“

SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas bedauerte bei WELT TV den Schritt der Juristin. Sie sprach von einer „Hetzkampagne, die uns Sorgen machen muss“. Was Brosius-Gersdorf durch „rechte Netzwerke“ habe erdulden müssen, sei „beispiellos“. Die SPD werde nun ihr Vorschlagsrecht in Anspruch nehmen und einen anderen Kandidaten vorschlagen. „Ich finde, das darf sich nicht wiederholen, weil das ein Schaden für die Demokratie ist“, sagte sie über die gescheiterte Richterwahl.

Die SPD-Chefin sieht auch das Vertrauen in die Union beschädigt. „Natürlich hat das Spuren hinterlassen, das will ich gar nicht verhehlen“, so Bas. „Es muss jetzt innerhalb der Union geklärt werden, wie sie denn in Zukunft erstens damit verfahren will, dass sich so ein Vorgang nicht wiederholt – und es muss auch der SPD-Fraktion gegenüber wieder ein Vertrauen geschaffen werden, dass nicht das Gleiche passiert bei nächsten Kandidaten.“

Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer, fordert nach eine bessere Zusammenarbeit in der Koalition. „Diese Bundesregierung ist zum Gelingen verdammt“, sagte Schweitzer dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. „Ich kann nur hoffen, dass dies alle vor Augen haben, allen voran Bundeskanzler Friedrich Merz.“ Über den Konflikt der Richterwahl zeigte sich Schweitzer irritiert. Für ihn sei es nicht nachvollziehbar, „dass man bei einer Richterwahl so vor die Wand läuft“, so der SPD-Politiker. Er warf der Unionsfraktion vor, ihre Zusage nicht eingehalten zu haben. Brosius-Gersdorf habe nun als Opfer einer Kampagne mit untadeliger juristischer Reputation durch ihren Rückzug „ein Problem gelöst, das sie nicht selbst verursacht hat“.

Spahn zeigt sich selbstkritisch

Unionsfraktionschef Jens Spahn sagte der Nachrichtenagentur dpa, der Entscheidung Brosius-Gersdorfs gelte größter Respekt. „Für ihre juristische Expertise und persönliche Integrität genießt sie zurecht hohe Anerkennung. Jenseits der sachlichen Auseinandersetzung gab es herabsetzende und beleidigende Kritik, die Frau Prof. Brosius-Gersdorf in den letzten Wochen erdulden musste. Diese verurteilen wir ausdrücklich.“ Spahn zeigte sich auch selbstkritisch, er bedauere, „dass diese Lage auch durch die zu späte Ansprache unserer inhaltlichen Bedenken entstehen konnte“. „Nun werden wir mit der nötigen Ruhe und Sorgfalt eine gemeinsame Lösung mit unserem Koalitionspartner finden.“

Grüne haben Fragen an SPD

Die Grünen-Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann zweifelten derweil die Handlungsfähigkeit der schwarz-roten Koalition an. Brosius-Gersdorf sei eine „exzellente, hoch qualifizierte Juristin“, betonten sie.

„Es bleibt ein ungeheuerlicher Vorgang, den es so noch nicht gegeben hat“, erklärten die beiden Politikerinnen. Das Gesamtpaket mit drei Richtern sei ein Vorschlag der Koalition gewesen. „Es ist absolut inakzeptabel, dass die CDU-Fraktion ihre Unterstützung zurückgezogen hat und eine Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf jetzt kategorisch ablehnt.“

Die Verantwortung dafür trage Unionsfraktionschef Jens Spahn, der sein Wort gegeben habe und nicht mehr halten könne. „Ein Fraktionsvorsitzender einer Regierungsfraktion, dessen Wort nicht mehr zählt, weder gegenüber dem Koalitionspartner noch anderen demokratischen Fraktionen, ist ungeeignet für eine solch verantwortungsvolle Aufgabe.“

Auch der SPD machten Dröge und Haßelmann Vorwürfe. „Wir fragen uns, wieso die SPD offenbar bereit war, ein Nein der CDU zu akzeptieren. Dieses Verhalten ist schwach.“

Es zeige sich, dass Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Vizekanzler Klingbeil sich aktuell nicht auf eine stabile Mehrheit im Bundestag für ihre Koalition verlassen könnten. „Diese Regierung startet damit höchst instabil in die Sitzungszeit nach dem Sommer. Friedrich Merz wird zeigen müssen, ob er noch Kanzler einer Koalition ist, die handlungsfähig und verlässlich ist. Unsicherheit und Instabilität sind Gift für dieses Land in unsicheren Zeiten.“

Die beiden Grünen-Politikerinnen bedankten sich bei Brosius-Gersdorf. „Es ist absolut inakzeptabel und ungeheuerlich, dass eine so angesehene Juristin von CDU und SPD für das Bundesverfassungsgericht während dieses Verfahrens von Lügen, Desinformationen und einer hetzerischen Kampagne derart getroffen wurde.“

Durch das „chaotische und unzuverlässige Vorgehen der Koalition, insbesondere der CDU/CSU und auch der SPD“ sei ein Schaden für das Wahlverfahren für Richter am Bundesverfassungsgericht entstanden. „Wir halten jetzt Gespräche zwischen den demokratischen Fraktionen im Bundestag für notwendig.“

Linke fordert Mitsprache

Linken-Chefin Ines Schwerdtner sagte dem Portal „T-online“, die Vorgänge um Brosius-Gersdorf seien ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Unionsfraktionschef Jens Spahn habe seine Fraktion nicht im Griff, und die Sozialdemokraten hätten „die Durchsetzungskraft eines schlafenden Kaninchens“. So werde eine Regierung keine vier Jahre durchhalten können. Bei künftigen Richterwahlen im Bundestag fordert Schwerdtner ein Vorschlagsrecht und einen Platz am Tisch für ihre Partei.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.