Herr Prof. Streeck, immer mehr Schulen verbieten Handys. Auch die UNESCO warnt vor schlechteren Leistungen und empfiehlt, Smartphones aus dem Unterricht fernzuhalten. Wie schätzen Sie als Bundesdrogenbeauftragter die Gefahr ein?

Digitale Medien sind ja nicht per se gut oder böse, allerdings ist es etwas, womit der Umgang gelernt sein muss. Wir sehen, dass jedes vierte Kind mittlerweile ein riskantes Medienverhalten hat. Da geht es zum einen um die Inhalte, wie zum Beispiel Gewalt und ungesunde Körperbilder. Zum anderen enthalten digitale Anwendungen Belohnungsmuster, die unterschiedliche ausgeprägte Suchtrisiken beinhalten.

Diese Belohnungsmuster können zu Spielsucht, zu Kaufsucht, aber auch zu Pornosucht und anderen Abhängigkeiten führen. Neben der Sucht kann die exzessive Benutzung von digitalen Medien sich zudem in Konzentrationsproblemen, schlechten Schulleistungen und sozialer Isolation niederschlagen. Trotz dieser Probleme glaube ich, dass pauschale Antworten nicht weiterhelfen. Es gilt der alte Satz des Paracelsus: "Die Dosis macht das Gift."

Warum spitzt sich das Thema gerade jetzt zu? Hat man das Risiko vorher unterschätzt oder hat sich etwas verändert?

Wir haben zwei unterschiedliche Mechanismen, die das ins Rollen gebracht haben. Auf der einen Seite gab es in der Corona-Zeit einen sehr starken Anstieg des Mediengebrauchs bei Kindern und Jugendlichen. Es wurde ihnen gesagt: Geht auf soziale Distanz. Dadurch wurde vieles ins Internet verlagert, auch der soziale Kontakt.

Auf der anderen Seite gibt es eine Verbesserung der Anwendungen und der dahinterstehenden Algorithmen, einer künstlichen Intelligenz. Die ganzen Belohnungs- und Benachrichtigungssysteme führen zu einer erhöhten Dopamin-Ausschüttung und dann im Endeffekt dazu, dass wir mehr Medien konsumieren. 

Ihre CDU-Parteikollegin, Bundesbildungsministerin Karin Prien, fordert sogar ein privates Handyverbot an allen Grundschulen. Bisher können das z.B. in Sachsen die Schulen selbst entscheiden. Halten Sie derartige Verbote für zielführend?

Ich bin dankbar, dass Frau Prien dieses Thema aufgemacht hat. Im Koalitionsvertrag haben wir festgehalten, dass wir uns diesbezüglich von der Wissenschaft beraten lassen wollen. Grundsätzlich denke ich aber, dass ein Verbot allein nicht immer der richtige Weg ist. Wichtiger ist es, Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz zu vermitteln, damit sie auch verstehen, warum da auch eine Suchtgefahr dahintersteht.

Gleichzeitig müssen die Plattformen verpflichtet werden, dass die gesetzlichen Altersvorgaben eingehalten werden. Bei TikTok darf zum Beispiel laut Datenschutzgrundverordnung erst ab 16 Jahren ein Konto erstellt werden. In der Realität sehen wir jedoch, dass rund 50 Prozent der Zehn- bis Elfjährigen bereits TikTok benutzen. Diese Altersgrenze darf kein zahnloser Tiger sein. Da sind auch die Eltern in der Pflicht, ebenfalls ein Auge drauf zu haben.

Auf welcher Ebene rangiert Handysucht im Vergleich mit anderen Drogen, wie zum Beispiel Alkohol oder Nikotin?

Bei einer Mediensucht handelt sich um eine Verhaltenssucht. Das ist so ähnlich wie bei einer Pornosucht, einer Kaufsucht oder einer Glücksspielsucht. Das kann man damit gut vergleichen, weil das Gehirn auf die Likes und Benachrichtigungen in sozialen Netzwerken reagiert. Es werden chemische Substanzen im Gehirn freigesetzt, die glücklich machen. Dabei kommt es nicht zu solchen physischen Schäden wie bei Alkohol oder Nikotin. Jedoch sind Konzentrationsstörungen, Stress und auch Depressionen möglich. Die Auswirkungen zeigen sich somit eher auf der psychosozialen Ebene, sind aber nicht minder gefährlich.

Besteht nicht das Risiko, dass die schöne, neue digitale Welt am Ende zu einer Art Massenverdummung führt? Die internationale Hattie-Studie spricht von massiven Lernrückständen bei Schülern.

Bei einer dauerhaften Beschäftigung mit dem Handy und sozialen Medien kann es sicherlich zu Lernrückständen kommen. Denn ständige Ablenkung kann stören und Stress erhöhen. Dennoch glaube ich, dass es zentral ist, die Medien und die sozialen Medien auch als etwas Positives zu sehen. Sie können ja nicht nur isolieren, sondern auch verbinden.

Elementar ist es, dass wir Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz vermitteln. Dazu gehört auch, dass wir ihnen Mittel an die Hand geben, um vom Handy Abstand zu nehmen und ins echte Leben quasi zurückzukehren. Es muss ins Bewusstsein, dass es für die individuelle Gesundheit, aber auch für die Gesundheit der Demokratie gut ist, das Handy immer mal wieder beiseite zu legen.

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  • 27. August 2024Handy weg: Sollen Smartphones in der Schule verboten werden?mit Audio

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