Wenn sich in der Abenddämmerung die schweren Türen des „Encore Melaka“-Theaters schließen, beginnt ein Spektakel, das die Geschichte der malaysischen Küstenstadt in atemraubenden Bildern erzählt – und zugleich ein Lehrstück chinesischer Kulturpolitik ist. Auf der Bühne bebt der Boden, Rauchschwaden ziehen über die rot leuchtende Szenerie, während Schauspieler auf tosenden Wellen rote Fahnen schwenken.

Admiral Cheng Ho (auch bekannt als Zheng He), der legendäre Ming-Seefahrer, erreicht Melaka „in peace“. Es ist ein Heldenepos, das seine friedlichen Missionen als Kontrast zu den späteren europäischen Okkupationen durch Portugiesen, Niederländer und Briten darstellt. Die Show, inszeniert von der renommierten chinesischen Regisseurin Wang Chaoge, bettet Cheng Ho in ein Panorama der lokalen Kultur ein, alles ist aufwendig choreografiert und wird auf drei Sprachen erzählt – Malay, Englisch, Chinesisch.

Das Theaterstück in Malaysia zeigt exemplarisch, wie China im 21. Jahrhundert Einfluss nimmt: nicht mehr nur durch Investitionen in Häfen und Autobahnen, sondern mit Symbolen, Geschichten und Bildungseinrichtungen. Leise, aber systematisch versucht Peking, eine neue Erklärung von Vergangenheit und Gegenwart zu etablieren, sich als wohlwollende Großmacht zu zeigen – ganz im Gegensatz zu den gewaltsamen Bildern westlicher Kolonialmächte.

Das fällt in einem Land besonders auf, in dem rund 30 Prozent der Bevölkerung ethnisch chinesisch sind – viele von ihnen mit engen familiären und kulturellen Bindungen an China. Doch was in Malaysia geschieht, ist kein Einzelfall: Auch in anderen Ländern Südostasiens, Afrikas oder des Nahen Ostens setzt China immer mehr auf kulturellen Einfluss statt auf Beton.

Neue Erinnerungskultur

Melaka ist ein Prototyp für diese neue Einflussstrategie Chinas. Nicht nur das Theater, auch das Stadtbild und die Museen der Stadt tragen mittlerweile die Handschrift einer neuen, chinesisch geprägten Erinnerungskultur. Nur wenige Minuten vom Theater entfernt steht das Cheng-Ho-Museum – eine weitere Bühne für Pekings Symbolpolitik.

Auf mehreren Etagen widmet es sich dem legendären Admiral, der Prinzessin Hang Li Po, die als „kulturelles Geschenk“ des Kaisers nach Melaka gekommen sein soll, und der Meeresgöttin Mazu. Die größten Informationstafeln sind auf Chinesisch verfasst, die malaysische und englische Übersetzung daneben wirkt wie eine nachträgliche Zugabe. Finanziert wurde das Museum von chinesisch-malaysischen Gesellschaften mit engen Verbindungen nach Peking.

Auch außerhalb der Museen ist das Bild präsent: An Hauswänden prangen Murals von Fan Bingbing, Chinas Tourismusbotschafterin. Die Statue Zheng Hes blickt über Touristenboote, die sich durch den Melaka River schieben. Auf der Jonker Street reiht sich chinesische Symbolik an koloniale Architektur – ein visuelles Mosaik aus Vergangenheit und politischer Gegenwart.

Hundert Kilometer nördlich von Melaka, in einem Vorort der Hauptstadt Kuala Lumpur, liegt die Xiamen University Malaysia: ein hermetisch abgeriegelter Campus mit goldenen Zäunen und Gebäuden, die chinesische Dächer mit westlichem Backstein kombinieren. Die Hochschule ist der erste und bislang einzige Übersee-Campus einer chinesischen Universität – gegründet und finanziert von der Xiamen University in Fujian mit ausdrücklicher Billigung Pekings.

Es herrscht Ruhe, die Flurwände sind kahl, politische Aushänge gibt es nicht. Auf dem Campus begegnen einem überwiegend chinesische oder chinesisch-malaysische Studenten. In der Bibliothek wacht ein Sicherheitsmann über die Studierenden, in den Regalen fehlen kritische Bücher über China oder Nordkorea. Dafür gibt es eine Dauerausstellung über den Opiumkrieg und die koloniale Demütigung Chinas.

Diskussionen über Politik gelten hier als Tabu. „Xiamen University Malaysia ist kein Ort für politische Debatten“, sagt Surendev Singh, Dozent für Marketing. Der 40-Jährige, selbst ethnisch indisch, unterrichtet Werbekampagnen und Kreativstrategien – über politische Kampagnen darf er aber nicht sprechen. „Wir wurden gebeten, bei allem, was wir unterrichten, sensibel zu sein“, sagt er.

China kontrolliert Inhalte

Auch die Abschlussarbeiten seiner Studenten müssen vor Veröffentlichung zur Genehmigung nach China geschickt werden. Ansonsten, betont Singh, sei das Klima an der Universität ausgesprochen locker: westliche Lehrpläne, flexible Arbeitszeiten, keine rigide Hierarchie. „Viele denken, Xiamen sei wie eine Universität in China – streng, kontrolliert, starr. Aber das stimmt nicht. Es ist eher eine malaysische Universität mit chinesischem Anstrich.“

Dennoch: Die subtilen Schranken, die China über Inhalte legt, sind spürbar. Mit dem sanften Bild, das die chinesischen Initiativen vermitteln sollen, kommt auch Kontrolle – über Inhalte, über Geschichte, über Sprache. Was wie kultureller Austausch wirkt, ist oft auch politische Kommunikation.

Nach der Theatershow in Melaka flanieren die Besucher ans Wasser, wo in großen Lettern „Straits of Melaka – Maritime Silk Road“ auf einem Schild leuchtet. Die „Maritime Seidenstraße“ ist ein zentraler Begriff in Chinas geopolitischem Konzept der „Belt and Road Initiative“ – die Vision einer neuen Handels- und Einflusssphäre, die den Pazifik mit Afrika und Europa verbindet. Hier am Ufer wirkt das, als gehöre es schon immer zur Stadt. Niemand scheint zu hinterfragen, dass es eine chinesische Erzählung ist, die Melaka so selbstverständlich vereinnahmt.

Christina zur Nedden ist China- und Asienkorrespondentin. Seit 2020 berichtet sie im Auftrag von WELT aus Ost- und Südostasien.

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