Ein Foto aus einem Wohnzimmer, auf der Couch liegen Dutzende in Plastik verpackte englische Fahnen mit dem markanten roten Georgskreuz. Dazu schreibt der Administrator der Facebook-Gruppe „Operation Raise the Colours“: „60 von 120 Exemplaren sind gerade angekommen. Wird ein langer Tag heute.“ Angespielt wird offenbar auf eine Aktion, zu der die Betreiber des Accounts offen aufrufen und die in den britischen Medien bereits Schlagzeilen macht. In etlichen Städten und Kommunen – die „Daily Mail“ etwa verweist auf Bradford, Birmingham, Newcastle, Norwich und die Isle of Wight – tauchen britische und englische Nationalfahnen auf, die vermutlich von Privatleuten gehisst werden, in Gärten, vor Häusern oder an Laternenpfählen.
Bei Facebook, aber auch bei X werden die Fotos und Videoclips von den flatternden Fahnen dann gepostet. Anderswo im Land wurden die Farben der Nationalflagge sogar in Nacht- und Nebelaktionen auf Straßen, Bürgersteige, Zebrastreifen oder über die Symbole für den Kreisverkehr gemalt.
Die Mitstreiter suchen derweil nach neuen Unterstützern und Helfern, die ihnen beispielsweise Leitern zur Verfügung stellen, um die Fahnen aufzuhängen, wie unter anderem die „Daily Mail“ und der „Daily Telegraph“ berichten. Ein ganz besonders motivierter Trupp organisierte sich in Birmingham sogar einen LKW mit Arbeitsbühne, um die Fahnen besonders hoch an die Laternenmasten zu bekommen (hier im Video).
Ebendort ist aber auch zu lesen, dass es an einigen Orten bereits Widerstand gegen die Aktion gibt. Gemeindeangestellte in Tower Hamlets (ein Stadtteil von London, d. Red.) etwa rissen die England- und Union-Jack-Flaggen von Straßenlaternen umgehend wieder ab. Teils wurden die städtischen Mitarbeiter dafür beschimpft, in den sozialen Medien wurden Fotos und Videos von diesen Streitigkeiten verbreitet.
In einem offiziellen Statement des Stadtrats von Tower Hamlets, aus dem die Zeitung „The Guardian“ zitierte, hieß es: „Wir erkennen an, dass Menschen ihre Meinung äußern möchten. Gleichzeitig tragen wir aber die Verantwortung dafür, die Infrastruktur des Stadtrats zu überwachen und zu erhalten. Wenn Flaggen ohne Genehmigung an gemeindeeigener Infrastruktur angebracht werden, können sie im Rahmen routinemäßiger Wartungsarbeiten entfernt werden.“
In Birmingham griff der Stadtrat schnell durch
Auch der Stadtrat von Birmingham löste Diskussionen aus, als der dort regierende Labour-Bürgermeister in der vergangenen Woche ankündigte, Hunderte ähnlicher Flaggen aus „Sicherheitsgründen“ von den Straßen der Stadt entfernen zu lassen. „Kritiker wiesen darauf hin, dass in Teilen von Birmingham und im Osten Londons – beide mit einem hohen muslimischen Bevölkerungsanteil – monatelang palästinensische Flaggen wehten, ohne dass die Behörden etwas dagegen unternommen hätten“, kommentierten daraufhin die Zeitungen „Daily Mail“, aber auch der „Daily Telegraph“ in einem ähnlichen Beitrag.
Ob es sich bei der „Operation Raise the Colours“ womöglich um anti-muslimisches Ressentiment oder eine konzertierte Aktion von Rechtspopulisten handelt, ist aktuell noch nicht klar. Die Macher der Facebook-Gruppe bleiben anonym.
Auffällig ist aber, dass beispielsweise auf X viele Sympathisanten und Follower des verurteilten Rechtsextremisten Tommy Robinson (bürgerlich: Stephen Yaxley-Lennon) die Fotos sowie die Aktion teilen und loben. Unterstützung kommt auch aus dem Umfeld der „Reform“-Partei von Nigel Farage. In Kommunen, in denen bereits Vertreter der Partei amtieren, blieben die Fahnen meist hängen, zudem wurden Fotos der Aktionen in den sozialen Medien von der Bewegung nahestehenden Aktivisten verbreitet und gelobt.
Der „Guardian“ verweist derweil darauf, dass Anti-Rassismus-Aktivisten die Aktion mit Sorge sehen. „Wir sind besorgt, dass die Diskussion um die englische Flagge und Patriotismus dem Rassismus der extremen Rechten und – beschämenderweise – auch von Politikern aller Couleur Vorschub leistet“, wird etwa Lewis Nielsen von „Stand Up to Racism“ zitiert. „Wir halten die Bewegung für sehr gefährlich, und sie kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die extreme Rechte versucht, sich zu etablieren.“
Premierminister Starmer bezeichnet sich als „Patriot“
Das hier ist „NICHT rassistisch“ und „wird es auch nie sein“, heißt es derweil auf einer Fundraising-Seite einer lokalen Gruppe namens „Wythall Flaggers“, auf der Unterstützer Geld für den Ankauf weiterer Flaggen spenden können. Als Motiv wird dort genannt: „(...) Dies ist unsere Heimat und wir sollten patriotisch und stolz sein … Wir brauchen Hilfe, um jede Straße in Wythall (Grafschaft Worcestershire, d. Red.) mit unserem wunderschönen Georgskreuz zu schmücken.“ Zusammengekommen sind dort bisher allerdings nur rund 2200 Pfund, und auch der Zuspruch zu „Operation Raise the Colours“ hält sich in Grenzen – aktuell sind nur knapp 1400 Teilnehmer in der Facebook-Gruppe aktiv.
Mittlerweile hat sich auch der britische Premierminister zu der Aktion geäußert, wenn auch nur indirekt. Auf die Frage hin, ob Keir Starmer das Hissen englischer Flaggen unterstütze, sagte sein Sprecher laut britischen Medienberichten: „Absolut. (...) Wir haben rund um die Downing Street englische Flaggen gehisst, jedes Mal, wenn die englische Fußballmannschaft – Frauen und Männer – antritt und versucht, Spiele für uns zu gewinnen.“ Jüngst gewann das britische Frauen-Fußballnationalteam die Europameisterschaft, auch damals waren in vielen Städten die Nationalflaggen zu sehen – ebenso aber auch bei den zuletzt häufiger werdenden Anti-Migrations-Protesten.
Auf Einzelfälle und auch die Streitigkeiten in Birmingham und Tower Hamlets ging Starmers Sprecher dann nicht ein, fügte aber noch hinzu: „Der Premierminister hat immer erklärt, dass er stolz ist, ein Brite und ein Patriot zu sein … Auch der Patriotismus wird ihm immer wichtig sein.“
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