Die jüngste Entscheidung der Jerusalemer Stadtverwaltung, sämtliche Bankkonten des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats einzufrieren, hat international für Empörung gesorgt und einen neuen Tiefpunkt in den angespannten Beziehungen zwischen der Stadt und ihren christlichen Gemeinden markiert. Das Patriarchat, Träger zahlreicher Kirchen, Pilgerstätten, Schulen, Hospize und sozialer Einrichtungen, wurde nach eigenen Angaben von einem Tag auf den anderen handlungsunfähig.
Selbst elementare Ausgaben wie Gehaltszahlungen an Mitarbeiter und Geistliche konnten nicht mehr geleistet werden. Darüber berichtete zuerst die Katholische Nachrichtenagentur. Ursache für das scharfe Vorgehen ist ein seit Jahren schwelender Streit um die sogenannte Arona-Immobiliensteuer. In Jerusalem war diese übliche Abgabe auf Grundbesitz bislang für religiöse und karitative Einrichtungen ausdrücklich ausgesetzt. Das israelische Recht gestattet Kommunen, Konten bei Zahlungsrückständen ohne Gerichtsbeschluss und ohne Einbindung nationaler Behörden zu sperren.
Das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat gehört zu den größten Grundbesitzern im Heiligen Land. Wie die anderen christlichen Kirchen beansprucht es eine Befreiung von kommunalen Steuern, weil die Immobilien gemeinnützigen Zwecken dienen. Auch jüdische Einrichtungen sind von der Steuer ausgenommen. Die Stadtverwaltung wiederum besteht seit dem Jahr 2018 darauf, dass Steuervergünstigungen nur solchen kirchlichen Einrichtungen zustehen, die reinen religiösen Zwecken dienen. Gewinnorientierte Objekte, wie Pilgerhotels, sind von dieser Befreiung ausgenommen.
Das Patriarchat wirft der Stadtverwaltung vor, bereits am 6. August entgegen anders lautender Zusagen die Konten eingefroren und damit ein seit dem 19. Jahrhundert geltendes, informelles Abkommen zu den Rechten religiöser Institutionen verletzt zu haben. Die Blockade bedrohe unmittelbar auch die Vermögenswerte aller anderen christlichen Kirchen in Jerusalem.
Bislang gibt es keine Fortschritte in der Sache, wie Vertreter des Patriarchats zuletzt bestätigten. „Als religiöse Einrichtungen erfüllen die Kirchen eine wichtige Aufgabe, indem sie Bildungs-, Sozial- und Wohltätigkeitseinrichtungen unterhalten, die der lokalen Bevölkerung dienen, unabhängig davon, ob diese christlich ist oder nicht“, heißt es in der Erklärung der Gruppe von Theophilos, „Protecting Holy Land Christians“.
Sogar Israels Parlament Knesset steht auf Grundstücken, die dem Griechisch-Orthodoxen Patriarchat gehören und für 99 Jahre an Israel beziehungsweise den Jüdischen Nationalfonds verpachtet sind. Politisch hat sich in der Jerusalemer Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren viel verändert. Orthodoxe Juden und Siedlerparteien kontrollieren inzwischen das Stadtparlament und verfolgen einen härteren Kurs gegenüber den christlichen Kirchen. Das zeigt sich aktuell am Einfrieren der Konten des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats und wächst zunehmend zu einem allgemeinen Druck auf weitere christliche Institutionen an. Angesichts dieser Entwicklungen haben die vielen in Jerusalem ansässigen christlichen Kirchen meist unter der Führung des Lateinischen Patriarchen, dem römisch-katholischen Kardinal Pierbattista Pizzaballa, einen Schulterschluss gebildet. Pizzaballa kann allerdings im Gegensatz zu seinen orthodoxen Amtsbrüdern auf die diplomatischen und staatlichen Strukturen des Vatikans zurückgreifen.
Die römisch-katholische Kirche war im Konflikt um Steuern und Kirchenrechte bereits Anfang der 2000er-Jahre einen Schritt weiter: Zwischen dem Vatikan und dem Staat Israel wurde ein Grundlagenvertrag verhandelt, der auch die Steuerfrage regeln sollte. Prinzipiell scheint man in der Kirche bereit zu sein, Steuern zu zahlen, wenn im Gegenzug die eigene Gemeinnützigkeit anerkannt würde. Allerdings hat die Knesset diese bisher ausgehandelten Vereinbarungen nicht ratifiziert. Diese Verzögerung hängt vor allem mit Israels Unmut über die vatikanische Anerkennung eines Palästinenserstaates zusammen.
Neben dem Griechisch-Orthodoxen Patriarchat stehen weitere Kirchen unter Druck: Das Armenische Patriarchat sieht sich mit Forderungen für Immobilien in Höhe von über 150 Millionen Euro konfrontiert. Auch die Franziskaner, Hüter der katholischen Pilgerstätten seit dem 14. Jahrhundert, sehen sich wachsendem Druck ausgesetzt.
Für den neuen Custos, Frater Francesco, der erst seit Juli dieses Jahres im Amt ist, ist dies eine erhebliche Herausforderung. Auch das nahe dem Rathaus gelegene französische Saint-Louis-Krankenhaus, betrieben von den Schwestern St. Joseph, stellt mit seiner palliativen Versorgung für Alte und Kranke eine essenzielle humanitäre Einrichtung dar, steht nun auf der Liste der Forderungen der Stadtverwaltung Jerusalems.
Frankreich nimmt im Heiligen Land eine besondere Rolle ein. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts besitzt es extraterritoriale Rechte über vier bedeutende Kirchen in Jerusalem. 1996 verhinderte Präsident Jacques Chirac den Zutritt israelischer Soldaten zu der französisch kontrollierten Kirche St. Anna und forderte deren Rückzug. Diese Haltung wiederholte Emmanuel Macron im Jahr 2020, als er die israelische Polizei aufforderte, das Gelände zu räumen – ein klares Signal des französischen Engagements zur Bewahrung der christlichen Präsenz in Jerusalem und Ausdruck der internationalen Dimension des Konflikts.
Als die Kirchenführungen im vergangenen Jahr den Dialog suchten und Gespräche mit Jerusalems Bürgermeister Moshe Leon führten, sah es zunächst so aus, dass die Stadtverwaltung keine einseitigen Schritte unternehmen würde. Diese Zusage wurden nun aufgekündigt. Diese Entwicklung fügt sich in die besorgniserregende Gesamtlage der Christen in Jerusalem und im Heiligen Land ein. Vor rund hundert Jahren hatten Christen in Jerusalem noch einen Bevölkerungsanteil von knapp 20 Prozent; heute sind es weniger als zwei Prozent, mit weiter sinkender Tendenz. Die Zahl der Angriffe auf Christen und christliche Einrichtungen, durch orthodoxe Extremisten nimmt zu, ebenso wie Übergriffe durch militante jüdische Siedler. Diese eskalieren nicht selten in verbalen und physischen Attacken – vom Anspucken geistlicher Würdenträger bis hin zu Drohungen und Gewalt gegen Kirchen und Klöster. Während Israel als einzige Demokratie in der Region Religionsfreiheit garantiert, sieht die Realität für die christliche Minderheit anders aus: Diskriminierung und Marginalisierung sind alltäglich.
Der Rückzug der Christen aus dem Heiligen Land ist ein schleichender Exodus. Viele junge Christen wandern ab, sei es aus wirtschaftlichen Gründen oder wegen zunehmender Anfeindungen. Die demographische Schrumpfung gefährdet langfristig den Bestand der christlichen Gemeinden und mit ihnen ein bedeutendes Stück multireligiöser Tradition Jerusalems und Israels.
Die Kirchen versuchen, diesem Trend durch ökumenische Zusammenarbeit und verstärkte politische Lobbyarbeit entgegenzuwirken. Das gemeinsame Feiern von Ostern nach den Kalendern der verschiedenen Konfessionen symbolisierte in diesem Frühjahr die Hoffnung und den Willen, die christliche Präsenz in der Heiligen Stadt zu bewahren. Dennoch bleibt die Situation fragil und von hoher politischer und gesellschaftlicher Spannung geprägt.
Die jüngsten Steuerstreitigkeiten mit der Stadtverwaltung Jerusalem sind somit nur ein weiterer, wenn auch dramatischer Ausdruck einer existenziellen Herausforderung, die die gesamte christliche Gemeinschaft in Israel betrifft. Die kommenden Monate werden zeigen, ob es gelingt, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen staatlichen Interessen und dem Schutz einer jahrtausendealten religiösen Präsenz aufrechtzuerhalten.
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