Als die 38 Migranten Anfang August den Strand von Boca do Rio an der Algarve erreichten, hatten sie kaum Zeit aufzuatmen. Zwar überlebten sie die Überfahrt in einem Holzboot aus Marokko, anders als vier Mitreisende. Doch auf Anordnung eines Richters mussten sie innerhalb von 20 Tagen das Land verlassen. António Leitão Amaro, als Minister zuständig für Migration, verbat sich „Spekulationen“ über Asylanträge und versicherte: „Die portugiesische Küste ist sicher.“

Daran gibt es keine ernst zu nehmenden Zweifel. Illegale Migration über den Atlantik spielt in Portugal eine marginale Rolle. Zu gefährlich ist die Route an den südwestlichen Zipfel Europas. In den vergangenen sechs Jahren haben auf diesem Weg nur rund 140 Menschen die Algarve erreicht.

Das Vorgehen der Behörden soll die neue Härte der Regierung demonstrieren. Der Erfolg der rechtspopulistischen Chega-Partei bei der Wahl im Mai setzt den konservativen Premierminister Luís Montenegro unter Zugzwang, seine Versprechen für eine strikte Einwanderungspolitik wahrzumachen. Die Umsetzung verläuft alles andere als reibungslos. Als die Regierung ein Gesetzespaket auf den Weg brachte, das Einschränkungen für Migranten vorsah, stimmten nicht nur linke Oppositionsparteien im Parlament dagegen.

Auch der konservative Präsident Marcelo Rebelo de Sousa legte sein Veto ein, später kassierten Verfassungsrichter das Vorhaben. Die Blamage war perfekt. Weil Premier Montenegro in seiner Minderheitsregierung auf die Chega-Partei angewiesen ist, setzt er das Projekt Migrationswende fort. Allerdings mit anderer Wortwahl.

„Das Modell lautet: regulieren. Sicherlich verschärfen. Aber trotzdem menschlich bleiben“, sagte Minister Amaro. Er gilt als rechte Hand des Premiers, der ebenfalls am Bekenntnis zu einer „kontrollierten Einwanderung“ festhält. „Wir werden unser Ziel nicht aufgeben.“ Dazu veranlasst sieht sich die Regierung, weil sich die Migration in das Land mit 10,7 Millionen Einwohnern seit dem Jahr 2015 mehr als verdreifacht hat – von rund 400.000 auf rund 1,5 Millionen Menschen.

Strengere Regeln für Arbeitsvisa und Familiennachzug

Anders als im Rest Europas spielen Asylbewerber eine untergeordnete Rolle. Portugal zieht neben Deutschen und anderen Europäern auch wohlhabende Einwanderer aus Nicht-EU-Ländern an, denen niedrige Lebenshaltungskosten einen hohen Standard in dem sonnenreichen Land mit Mittelmeerklima ermöglichen.

Wer es sich leisten konnte, kaufte sich bisher ein „Goldenes Visum“, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis mit guter Aussicht auf eine Staatsbürgerschaft. 2024 wurde eine Rekordzahl von fast 5000 dieser Visa ausgestellt, 72 Prozent mehr als im Vorjahr.

Die zweite große Einwanderungsgruppe stammt aus ehemaligen Kolonien wie Brasilien, Angola oder Kap Verde – und immer häufiger aus Nepal, Pakistan, Bangladesch und Indien. Liberale Regelungen ermöglichten es, als Tourist einzureisen, einen Job zu suchen und den Status nachträglich zu legalisieren.

Dieser Praxis wollte Premier Montenegro ein Ende setzen – und einen „Aktionsplan für Migration“ in die Tat umsetzen: mit einer „nationalen Ausländer- und Grenzschutzeinheit“ und strengeren Regeln bei der Vergabe von Arbeitsvisa und Familiennachzug.

Das Verfassungsgericht hält vor allem die Einschränkungen der Familienzusammenführung für rechtswidrig. Dass die Regierung ihre Pläne überarbeiten und in einen neuen Gesetzentwurf fassen muss, wischt Montenegro als „Korrektur“ beiseite.

Auch viele Portugiesen wünschen sich ein härteres Durchgreifen. Laut dem Migrationsbarometer des Thinktanks Francisco Manuel dos Santos sind zwar 68 Prozent der Portugiesen von positiven Effekten der Einwanderung auf die Wirtschaft überzeugt. Zugleich halten fast genauso viele Menschen die Einwanderungspolitik für zu freizügig und 69 Prozent befürchten, dass Migranten das Lohnniveau drücken.

Der Andrang auf den Wohnungs- und Arbeitsmarkt hat Mieten in die Höhe schnellen lassen, während die Löhne auf niedrigem Niveau stagnieren. Wer in Lissabon private Taxi-Dienste nutzt, die häufig von Menschen aus den Ex-Kolonien oder Asien angeboten werden, staunt über die günstigen Preise. Eine Wohnung kostet dort inzwischen jedoch mehr als in Berlin.

Der Unmut vieler Portugiesen richtet sich laut Umfragen insbesondere gegen Zuwanderung aus Indien, Nepal und Bangladesch. In den Behörden stapeln sich Hunderttausende unbearbeitete Anträge. Die Rechtsaußenpartei Chega nutzt all das, um der Regierung einen Kontrollverlust vorzuwerfen – ihr Wahlergebnis von 23 Prozent gibt den Parteistrategen recht.

Geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts

Die Regierung arbeitet nun auch an einem strengeren Staatsbürgerschaftsrecht. Wer sich einbürgern lassen will, soll statt derzeit fünf künftig bis zu zehn Jahre warten müssen und Kenntnisse über Sprache und Kultur nachweisen. Eingebürgerten Portugiesen, die schwere Straftaten begehen, soll der Pass leichter entzogen werden können. Viele Expats sind in heller Aufregung.

Pedro Delgado Alves, einflussreicher Abgeordneter der Sozialisten, warnt bereits, dass auch diese Verschärfungen verfassungswidrig sein könnten. Der für die Migrationswende zuständige Minister Amaro sieht es so: Portugal nehme eine überfällige Korrektur vor. Das Land verzeichnete 2020 die zweithöchste Einbürgerungsquote in der EU, nur übertroffen von Schweden.

Ministerpräsident Montenegro dürfte sich bestärkt fühlen: Chegas Höhenflug wurde abgebremst; seit der Wahl hat die Partei zwei Prozent verloren und kämpft darum, das Momentum zurückzugewinnen – etwa mit einer für dieses Wochenende geplanten „nationalen Kundgebung“ für die „Verteidigung sicherer Grenzen“.

Etwas verloren in den Umfragen hat auch Montenegros bürgerliche Allianz. Ihr nächster Test steht nach der Sommerpause an, wenn das Parlament über die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts abstimmt.

Diana Pieper ist Redakteurin im Ressort Außenpolitik. Für WELT berichtet sie über internationale Politik mit einem Fokus auf Südeuropa sowie Sicherheit und Verteidigung.

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