- Die schwarz-rote Bundesregierung will große Reformen angehen, verliert sich aktuell aber in Kleinkrämerei.
- Die Koalition muss offen erklären, dass Sozialreformen schmerzhaft werden und Einschnitte oder höhere Kosten für alle unvermeidlich sind.
- Der Erfolg des "Herbstes der Reformen" hängt davon ab, ob Schwarz-Rot es schafft, ehrlich zu kommunizieren und einander in Verhandlungen zu vertrauen.
Die schwarz-rote Bundesregierung ist angetreten, um einen Unterschied zu machen. Sie hat sich vorgenommen, die wirklich großen Reformen anzugehen, unbequeme Entscheidungen zu fällen, die längst überfällig sind.
Verantwortungs-Koalition nennt sie sich. Warum bekomme ich davon aber zurzeit so wenig mit? Statt wichtige Debatten in der deutschen Gesellschaft anzustoßen, verliert sich Schwarz-Rot im Klein-Klein gegenseitiger Kampfansagen und dem Zünden unsinniger Nebelkerzen.
Ehrlichkeit statt Beschönigungen gefragt
Die Probleme liegen auf dem Tisch: Die deutsche Wirtschaft schwächelt, der demografischen Entwicklung folgend laufen die Pflege-, Kranken- und Rentenkassen auf eine Sackgasse zu. Wenn Union und SPD, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, Lösungen dafür finden wollen, müssen sie Ehrlichkeit walten lassen.
Zum einen muss die Koalition erklären, dass Rekordinvestitionen, finanziert durch Rekordschulden, nicht bedeuten, dass die kommenden Jahre Milch und Honig fließen. Die anstehenden Sozialreformen werden wehtun. Entweder müssen Leistungen gekürzt werden, was in vielen Fällen – siehe Existenzminimum beim Bürgergeld – rechtlich nicht möglich ist oder es wird teurer für alle.
Beispiel Rente: Soll, wer mehr hat, auch mehr für unsere Sozialkassen zahlen oder soll die Last auf alle gleich verteilt werden, was Geringverdiener härter belasten dürfte? Das ist eine Debatte, die wir ehrlich miteinander führen müssen und die die Koalition einbringen sollte, wenn sie nicht am Ende alle vor den Kopf stoßen will. Wenn die Bundesregierung es schafft, uns zu erklären, warum die kommenden Einschnitte unausweichlich sind, dann hat sie mehr gewonnen als verloren.
"Herbst der Reformen"
Wehrpflicht, Verfassungsrichterwahl, Bürgergeldreform, Stromsteuer – das selbstauferlegte Programm des auserkorenen "Herbstes der Reformen" wirkt wie ein parlamentarischer Dauerlauf. Angesichts der noch ausstehenden Sozialreformen gleicht er jedoch eher einer lockeren Aufwärmübung. Umso wichtiger ist es, dass die Aufwärmübung sitzt.
Es gibt gute Gründe, die dafür sprechen, dass der "Herbst der Reformen" gelingt. Die nächste Landtagswahl in Baden-Württemberg steht erst im März des kommenden Jahres an. Die Koalitionäre müssen also keinen direkten Gesichtsverlust fürchten, sollten sie notwendige aber unpopuläre Reformen anstoßen.
Die einzigen, die Schwarz-Rot daran hindern könnten, ihr Ziel zu erreichen, sitzen in den Reihen der eigenen Fraktionen. Dass die schwarz-roten Mehrheiten wackeln können, haben die Kanzler- und die Richterwahl gezeigt. Kommunikation bleibt also in den kommenden Wochen der Schlüssel zum Erfolg. Ehrlichkeit in den Verhandlungen untereinander und in der Kommunikation mit uns Bürgern.
Die Vertrauensbasis muss sich die Bundesregierung jetzt erarbeiten. Sie wird sie brauchen, wenn die Verhandlungen über die großen Sozialreformen anstehen. Am ehesten dürfte das mit radikaler Ehrlichkeit gelingen.
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