Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat bei der Eröffnung der Botschafterkonferenz in Berlin vor einer Ausweitung russischer Machtbestrebungen über die Ukraine hinaus gewarnt. Alles deute darauf hin, dass Präsident Wladimir Putins „imperialistischer Plan nicht mit der Eroberung der Ukraine enden würde, sondern damit erst beginnt“, sagte Merz am Montag in seiner Eröffnungsrede vor Diplomaten im Auswärtigen Amt. Angesichts täglicher „hybrider Angriffe Russlands auf unsere Infrastruktur“ in „wachsender Intensität und Aggressivität“ verteidige die Ukraine „auch unsere Freiheit in Europa“.
Der russische Angriff auf Kiew vor zehn Tagen, bei dem das Gebäude der EU-Delegation beschädigt worden war, zeige, dass „die regelbasierte Ordnung, die europäische Friedensarchitektur“ durch Moskau „mit Gewalt aus den Angeln gehoben“ worden sei. „Wir stehen damit vor sehr grundsätzlichen, geradezu historischen Aufgaben, eine neue Sicherheitsarchitektur zu schaffen“, sagte Merz.
Bei der viertägigen Botschafterkonferenz soll bis Donnerstag unter dem Motto „Sicherheit, Freiheit, Wohlstand“ über eine entsprechende Fokussierung der deutschen Außenpolitik diskutiert werden. Dass ein Kanzler eine Rede vor den Leitern der mehr als 220 deutschen Auslandsvertretungen hält, ist sehr selten. Zuletzt hat das im Jahr 2000 der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bei der allerersten Botschafterkonferenz getan.
Merz betonte mit Blick auf gegenwärtige Herausforderungen, dass nicht länger „von Innenpolitik und Außenpolitik wie von zwei fein säuberlich getrennten Sphären“ gesprochen werden könne. Es bleibe das doppelte Ziel, „Deutschlands Sicherheit und vor allem Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren“.
Merz schwört Diplomaten auf interessengeleitete Außenpolitik ein
Eine neue Weltordnung, in der die USA ihre Interessen neu bewerte, zeige sich auch angesichts eines Wettlaufs um Rohstoffe und Märkte. „Wir können es uns als rohstoffarmes Land, als Exportland, nicht leisten, dabei Zuschauer zu bleiben“, sagte der Bundeskanzler und warnte: „Abhängigkeiten machen uns erpressbar“. China habe zuletzt gezeigt, dass es „handelspolitische Vulnerabilitäten machtpolitisch auszunutzen bereit ist“.
„Zeiten des Umbruchs sind Zeiten der Politik und der Diplomatie“, sagte Merz. Es liege auch an den Botschaftern Deutschlands in der Welt, „verlässliche Partnerschaften auf Augenhöhe“ mit Leben zu füllen. Als Beispiel nannte der Bundeskanzler Lateinamerika, Zentralasien und chancenreichen Zukunftsmärkte auf dem afrikanischen Kontinent.
Die deutschen Diplomaten schwor Merz auf eine stärker interessengeleitete Außenpolitik Deutschlands und Europas eingeschworen. „Unsere Außenpolitik ist geleitet von dem Anspruch, deutsche Interessen und Werte zu vertreten. Wir wollen Deutschland und Europa für die Zukunft sicher und wettbewerbsfähig gestalten“, sagte der Kanzler. Ausdrücklich lobte Merz die EU, die auf dem Kontinent mehr als sieben Jahrzehnte für Freiheit, Wohlstand und Frieden zwischen den Völkern gesorgt habe, weil sie Interessen ausgleiche und Konflikte schlichte.
In einer Grundsatzrede warnte Merz, ein neuer Systemkonflikt sei aufgebrochen „zwischen liberalen Demokratien und einer Achse der Autokratien, die sich stützt und den offenen Systemwettbewerb zu unserer Demokratie geradezu sucht“. Es entstünden neue revisionistische Allianzen, Krisen und Konflikte überlagerten sich, der Krieg sei nach Europa zurückgekehrt. Man stehe damit vor der historischen Aufgabe, „eine neue Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die, wenn es gut geht, für mehrere Jahrzehnte tragfähig sein sollte“.
Merz: „Systemrivalität mit China nimmt zu“
Für die kommenden Wochen kündigte der Kanzler eine Reihe von Reisen in Länder jenseits des transatlantischen Raums an. „Auch das soll ein Signal setzen im Sinne des Leitprinzips strategischer Partnerschaften“, sagte er. Konkrete Reiseziele nannte Merz nicht. Dem Vernehmen nach steht in den kommenden Monaten aber etwa eine Indien-Reise an.
Zur deutschen China-Politik bekräftigte Merz, die Bundesregierung suche wo immer möglich die Zusammenarbeit, etwa in der Klimapolitik oder bei globalen Krisen. Zugleich nehme aber die Systemrivalität mit Peking zu. Für die Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands müsse es Priorität sein, die Rohstoff- und Handelsketten im Sinne einer strategischen Souveränität zu diversifizieren. Dafür seien mehr und engere Partnerschaften nötig – insbesondere mit Indien, Indonesien, Brasilien, Mexiko, Argentinien, aber auch mit Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien.
Angesichts der aggressiven Zoll- und Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump unterstrich der Kanzler, die Bundesregierung werde gemeinsam mit europäischen Partnern auch gegenüber den USA für ein System des regelgebundenen Freihandels werben. Dabei müsse man sich „eingestehen, dass etwa die Welthandelsorganisation WTO mittlerweile dysfunktional ist und ihre ursprüngliche Rolle nicht mehr erfüllen kann“, sagte Merz. Nun sei Kreativität gefragt, um ein neues System von Handelsregeln zu errichten.
Ausdrücklich lobte Merz die Zusammenarbeit mit Außenminister Wadephul (CDU). Dieser habe das Amt bei hohem Wellengang übernommen. „Du hast in kürzester Zeit unter Beweis gestellt, dass Du mit Deinem starken Kompass der Richtige bist, dieses Haus in diesen Zeiten zu führen“, sagte der Kanzler an den Minister gewandt, der in den ersten Monaten seiner Amtszeit mit Äußerungen gelegentlich auch Kritik in den eigenen Reihen ausgelöst hatte.
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