- Das sogenannte "Catcalling" ist kein Bagatelldelikt und beeinflusst das Sicherheitsgefühl betroffener Frauen massiv.
- Auch der Landesfrauenrat beobachtet einen Anstieg des Phänomens.
- Um "Catcalling" strafrechtlich verfolgen zu können, muss ein klarer Kriterienkatalog erarbeitet werden. Für die Polizei ist die Nachverfolgung von Delikten schwierig.
Philipp Meissner ist Kriminalhauptkommissar und derzeit im fortführenden Masterstudium an der Deutschen Hochschule für Polizei. Er hat sich in einer wissenschaftlichen Arbeit mit Catcalling beziehungsweise verbaler sexueller Belästigung beschäftigt.
Meissner beschreibt seine Eindrücke: "Wir als Polizei und das BKA führen ja regelmäßig Dunkelfeldbefragungen (anonyme Umfragen zu nicht angezeigten Straftaten, Anm. d. Red.) durch und da geht es um Sicherheit, Kriminalität in Deutschland und das Sicherheitsgefühl. Und ganz oft werden dort Sachen nicht erfasst, die auch Einfluss aufs Sicherheitsgefühl haben – sei es die Umgebung, die verdreckt ist, oder abweichendes Verhalten wie Catcalling."
Keine Bagatelle: "Catcalling" beeinflusst Sicherheitsgefühl massiv
Verbale sexualisierte Belästigung beeinflusst das Sicherheitsgefühl – meist von Frauen – so stark, dass sie ihre Heimwege und ihren Kleidungsstil ändern. Das zeigt eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und ist für Meissner daher keine Bagatelle.
Auch die Leipziger Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven teilt diese Einschätzung: "Das sind wirklich tiefe verbale sexuelle Belästigung mit Aufforderung zu sexuellen Handlungen, mit abfälligen Bemerkungen über körperliche Merkmale und so weiter. Ich möchte das jetzt hier nicht wiederholen, aber das sind Dinge, wo man doch sehr genau weiß, wie die gesagt werden, das sind keine Bagatellen, das sind auch keine Komplimente und das ist auch kein Versuch zu flirten."
Landesfrauenrat: Rückwärtsgewandte Männerbewegung nimmt zu
Jessica Bock, Vorsitzende des Landesfrauenrats Sachsen, bestätigt das und warnt vor einer Verschärfung des Problems: "Wir beobachten schon seit einigen Jahren wieder eine Zunahme einer rechten, rückwärtsgewandten Männerbewegung, die doch ein sehr rückschrittliches Frauenbild pflegen. Und diese Bewegungen, die agieren ja nicht nur im digitalen Raum, sondern auch in der analogen Welt. Die Beratungsstellen bemerken das und auch in meinem Umfeld nehme ich das schon wahr, dass es diese verbale Übergriffigkeit gibt, die Herabsetzung von Frauen, egal welchen Alters und es ist auch unabhängig vom Aussehen und Ähnlichem."
Ahndung für Polizei schwierig
Bock begrüßt daher die Debatte, verbale sexuelle Belästigung unter Strafe zu stellen – ebenso wie Olaf Sendl, Vorsitzender der Landespolizeigewerkschaft Sachsen-Anhalt: "Ich habe eine Tochter und wenn jemand meiner Tochter nachpfeifen oder rufen würde, dann würde ich mich auch betroffen fühlen. Ich finde, dass die Frau durchaus das Recht hat, sich zu wehren und das sollte man ihr auch die Möglichkeit geben."
Sendl räumt ein, dass die Ahndung solcher Fälle für die Polizei schwierig sein kann.
Verbale Belästigung: Klare juristische Kriterien nötig
Auch juristisch brauche es klare objektive Kriterien, betont Professorin Hoven: "Das heißt, die Gerichte würden auch bei einem solchen Tatbestand immer auf die konkreten Umstände schauen, nicht nur auf das subjektive Gefühl, denn nur darauf kann es nicht ankommen."
Es brauche eine neue gesetzliche Norm – denn sexuell motivierte Äußerungen gegen Frauen würden vor Gericht oft nicht als Beleidigung gewertet.
Laut Philipp Meissner sind sich Täter ihrer Schuld häufig nicht bewusst, verständen übergriffige Aussagen als Flirt. Er wünscht sich daher weniger eine strafrechtliche Lösung als eine sensibilisierte Gesellschaft, die ihre Söhne zu respektvollen Männern erzieht.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.