Inhalt des Artikels:

  • 1. Ältere Menschen, neue Therapien
  • 2. Leere Betten, unnötige Operationen
  • 3. Schlechte Zusammenarbeit von Praxen und Kliniken
  • 4. Teure patentgeschützte Medikamente
  • 5. Viel Geld für Bürgergeldempfänger und andere versicherungsfremde Leistungen
  • 6. Psychische Erkrankungen erhöhen Ausgaben beim Krankengeld
  • 7. Fehlende Digitalisierung und ineffiziente Verwaltung
  • Lösungen: Strukturelle Reformen und viele Stellschrauben

1. Ältere Menschen, neue Therapien

Eigentlich gute Nachrichten: Die Deutschen werden immer älter und leben zugleich immer länger. Beinahe jeder vierte Deutsche ist inzwischen über 65 Jahre alt; die Lebenserwartung für Frauen liegt bei Geburt im Jahr 2024 bei 83,5 Jahre und für Männer bei 78,9 Jahren. Das liegt zu einem großen Teil am medizinisch-technischen Fortschritt.

Joachim Kugler, Professor für Gesundheitswissenschaften an der TU Dresden, sagt dazu im Gespräch mit MDR AKTUELL: "Wir haben immer mehr Möglichkeiten der Therapie." Vor einigen Tagen sei etwa das erste Alzheimer-Medikament auf den Markt gekommen. Krebs sei in vielen Fällen heilbar. Aber: "Tendenziell geht Alter mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für chronische Krankheiten einher", sagt Kugler. Das koste Geld. Nach Kuglers Angaben sorgt allein der technisch-medizinische Fortschritt dafür, dass das Gesundheitswesen jährlich drei Prozent teurer wird.

Im Wesentlichen haben wir das Problem einer alternden Gesellschaft.

Heinz Rothgang, Professor für GesundheitsökonomieUniversität Bremen

Für Heinz Rothgang, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Bremen, ist dies ebenfalls ein zentraler Punkt: "Im Wesentlichen haben wir das Problem einer alternden Gesellschaft. Mit medizinisch-technischem Fortschritt gehen die Ausgaben nach oben."

2. Leere Betten, unnötige Operationen

Krankenhausbehandlungen sind der größte Ausgabenblock der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Etwa ein Drittel des Budgets für Leistungen fließt in Operationen und andere stationäre Behandlungen. Zugleich steigen die Kosten hier rasant. Allein im ersten Halbjahr des Jahres gaben die Kassen dafür 9,6 Prozent mehr aus als im Vorjahreszeitraum.

Die Ursachen sind vielfältig: Deutschland betreibt im internationalen Vergleich viele Krankenhäuser. Gleichzeitig sind in vielen Zimmern die Betten leer. Die Auslastung lag im Jahr 2023 bei rund 71 Prozent. Mehr als jedes vierte Bett ist also nicht belegt. Hinzu kommen viele unnötige Behandlungen. Gesundheitsökonom Rothgang sagt: "Wir haben ein Gesundheitssystem, das zu den teuersten der Welt gehört, aber nur mittelmäßige Leistungen erbringt."

3. Schlechte Zusammenarbeit von Praxen und Kliniken

Die starre Aufteilung des deutschen Gesundheitssystems in ambulanten und stationären Bereich sehen Fachleute seit Jahrzehnten als grundsätzliches Problem an. Der Bremer Gesundheitsökonom Rothgang sagt: "Die Übergänge vom ambulanten Bereich in den Krankenhausbereich und von dort in den Reha-Bereich sind nicht gut organisiert, sodass wir Doppel-Untersuchungen haben."

Die Leistungen in Praxen und Kliniken werden zum Beispiel unterschiedlich abgerechnet, was zu mehr Bürokratie und fehlender Kooperation führt. Behandlungen könnten häufiger ambulant und damit günstiger durchgeführt werden. Fachleute fordern etwa, auch Kliniken stärker zu erlauben, ambulante Leistungen zu erbringen. Der Dresdner Gesundheitswissenschaftler Kugler sagt: "Für Patienten gibt es keine sektorale Gliederung. Patienten sind krank. Und wenn ambulant kein Arzt zur Verfügung ist, dann gehen sie ins Krankenhaus."

4. Teure patentgeschützte Medikamente

Die Kosten für Arzneimittel sind der zweitgrößte Posten im GKV-Budget noch vor den ärztlichen Behandlungen. Und auch hier galoppieren die Kosten davon. Allein zwischen 2020 und 2024 stiegen die Ausgaben um mehr als ein Viertel (27 Prozent).

Der durchschnittliche Preis eines neu eingeführten patentgeschützten Arzneimittels lag vor 15 Jahren bei rund 1.000 Euro und schwankte zuletzt um Werte rund um 50.000 Euro.

Leonie Sundmacher, Professorin für GesundheitsökonomieTU München

Ein Grund für die Kostenentwicklung sind neue, patentgeschütze Medikamente. Deren Preise setzten die Hersteller nach Ansicht der Krankenkassen zu hoch fest. Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege (SVR), der die Bundesregierung berät, befasste sich jüngst mit diesem Thema. Ratsmitglied Leonie Sundmacher, Professorin für Gesundheitsökonomie an der TU München, erläuterte im Mai: "Der durchschnittliche Preis eines neu eingeführten patentgeschützten Arzneimittels lag vor 15 Jahren bei rund 1.000 Euro und schwankte zuletzt um Werte rund um 50.000 Euro."

Die Sachverständigen empfahlen als Gegenmaßnahme unter anderem, die Verhandlungsposition der Krankenkassen zu stärken. Der Rat schrieb: "Dazu gehört etwa, dass der GKV-Spitzenverband von den Preisverhandlungen zurücktreten kann. Derzeit darf er das nicht. Dagegen darf das Unternehmen jederzeit das jeweilige Arzneimittel vom Markt nehmen. Dieses Ungleichgewicht der Verhandlungsmacht muss behoben werden."

5. Viel Geld für Bürgergeldempfänger und andere versicherungsfremde Leistungen

Die Krankenkassen zahlen viel Geld für Dinge, die nichts direkt mit den Krankheitsfällen der Beitragszahler zu tun haben. Im Fachjargon heißt das "versicherungsfremde Leistungen". Nach Ansicht der Kassen müsste vieles davon aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden.

Das Leipziger Forschungsinstitut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung, WIG2, hat errechnet, dass versicherungsfremde Leistungen im Jahr 2023 ein Volumen von fast 60 Milliarden Euro hatten. Allein rund zehn Milliarden Euro davon zahlte die GKV seinerzeit für die Versorgung von Bürgergeldempfängern. Aber die Liste ist lang. Weitere versicherungsfremde Leistungen sind etwa:

  • Beitragsfreiheit in der Familienversicherung
  • Leistungen für Schwangerschaft und Mutterschaft
  • Eltern-Kind-Kuren
  • Kinderkrankengeld
  • Betriebs- und Haushaltshilfen
  • Gesundheitsförderung und Präventionsmaßnahmen
  • Investitionen in die Krankenhäuser
  • Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems

6. Psychische Erkrankungen erhöhen Ausgaben beim Krankengeld

Ist ein Mitglied länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, zahlen die Kassen ein Krankengeld in Höhe von 70 Prozent des regelmäßig erzielten Bruttoarbeitsentgelts. Weil immer mehr Menschen längerfristig ausfallen, sind die Ausgaben für diese Sozialleistung in den vergangenen Jahren stetig angestiegen. Zwischen 2014 und 2023 haben sich die Ausgaben von 10,6 auf 19,1 Milliarden Euro fast verdoppelt.

Gesundheitswissenschaftler Kugler betrachtet das Krankengeld als zweite Versicherung neben der eigentlichen Krankenversicherung. Früher sei das kein großes Problem gewesen. "Doch heute werden immer mehr Menschen längerfristig krank. Psychische Störungen sind heute die zweithäufigste Ursache für Krankschreibungen am Arbeitsplatz. Und wenn jemand wegen Burnouts ausfällt, dann fällt der nichts sechs Wochen aus, sondern sechs Monate."

7. Fehlende Digitalisierung und ineffiziente Verwaltung

Instrumente, Maßnahmen und strukturelle Reformen, die Kosten dämpfen würden, werden im deutschen Gesundheitssystem vernachlässigt. Zum Beispiel spielt die Telemedizin in Deutschland kaum eine Rolle. Während in manchen EU-Staaten bereits jede vierte Arztkonsultation telefonisch oder per Video-Call stattfindet, liegt der Anteil in Deutschland im unteren einstelligen Prozentbereich.

Nach Ansicht von Gesundheitswissenschaftler Kugler wäre es eine recht einfache Maßnahme, dass jede Person mit einem ambulanten Behandlungswunsch zunächst telemedizinisch zugeschaltet wird: "Sodass man vorab abschätzen kann, ist das ein dringender Fall." Die Deutschen würden stets sofort in die Praxis rennen und dort mitunter stundenlag warten.

Auch bei anderen Digitalisierungsthemen ist Deutschland hinten dran. Erst zu diesem Jahr wurde die elektronische Patientenakte (ePA) verbindlich eingeführt. Allerdings gibt es nicht eine ePA, sondern viele. Kugler: "Die elektronische Patientenakte wird von jeder Krankenkasse einzeln entwickelt. Das heißt, wenn sie die Krankenkasse wechseln, dann fangen sie wieder bei null an. Auf solche Ideen muss man erstmal kommen. Das muss man sich leisten können."

Überhaupt die Krankenkassen. Noch immer gibt es 94. Jede mit eigenem Vorstand, Management und etwa auch Entwicklungsteams für digitale Lösungen. Mehrere Krankenkassen-Vorstände in Deutschland erhalten höhere Vergütungen als Bundeskanzler Friedrich Merz. Unsinn, meint Experte Kugler: "Wir müssen an die heiligen Kühe ran."

Lösungen: Strukturelle Reformen und viele Stellschrauben

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Liste der Kostentreiber lang ist. Die Regierung kann an vielen Stellschrauben drehen, um die Ausgaben zu senken. Nach Ansicht von Gesundheitsökonomen braucht es aber vor allem strukturelle Reformen, um das Gesundheitssystem effizienter zu machen.

Besonders wichtig und unstrittig sind Veränderungen bei den Krankenhäusern. Hier laufen die Kosten besonders stark aus dem Ruder. Ebenso offenkundig ist, dass die Ausgaben für Medikamente nicht länger in dieser Geschwindigkeit steigen können. Eine bessere Vernetzung von Kliniken und niedergelassenen Ärzten würde effektiv die Kosten senken, ist aber auch besonders kompliziert.

Eine Diskussion um einzelne Leistungen, etwa Eltern-Kind-Kuren oder Homöopathie, sind dagegen nach Ansicht von Fachleuten nicht zielführend. Dadurch würden lediglich geringe Einsparungen erzielt.

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