Der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke gilt nun als vorbestraft. Beide Urteile, mit denen das Landgericht Halle Höcke im vergangenen Jahr wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu Geldstrafen verurteilt hatte, sind durch Beschlüsse des Bundesgerichtshofs (BGH) rechtskräftig geworden. Der BGH hat die Revisionen des Angeklagten jeweils verworfen. Die entsprechenden Beschlüsse vom 20. August machte das Gericht am Donnerstag bekannt.
„Am 29. Mai 2021 verwendete er als Redner auf einer öffentlichen Wahlveranstaltung die Parole ‚Alles für Deutschland‘, obwohl er wusste, dass es sich um eine Parole der Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) handelte und deren öffentliche Verwendung verboten ist“, heißt es in einer Mitteilung des obersten Gerichts für Zivil- und Strafsachen. „Nachdem deswegen gegen ihn Anklage erhoben und das Hauptverfahren eröffnet worden war, nutzte er am 12. Dezember 2023 als Redner auf einem ‚Stammtisch‘ der AfD in einer Gaststätte in Gera erneut bewusst die Parole.“ Die Überprüfung der Urteile habe keine Rechtsfehler zu Höckes Nachteil ergeben.
Im ersten Verfahren hatte das Landgericht Halle Höcke im Mai 2024 zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 130 Euro verurteilt, also insgesamt 13.000 Euro. Das schriftliche Urteil liegt WELT vor. Darin heißt es, Höcke habe die Parole verwendet, um diese „trotz ihres Verbotes wieder in den alltäglichen Sprachgebrauch zu integrieren“. Damit habe er „mindestens billigend“ in Kauf genommen, „dass dadurch die deutsche Geschichte der Nazizeit verharmlost wird“.
Im Urteil heißt es weiter: „Die Kammer ist aufgrund der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Einstellung zur Nomenklatur des Nationalsozialismus zweifelsfrei davon überzeugt, dass er die Parole in Kenntnis ihres Verbotes absichtlich ausgesprochen hat, um diese so wiederzubeleben.“ Der Angeklagte vertrete die Ansicht, „dass die ‚Erinnerungskultur‘ sich ändern müsse und auch Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wieder gefahr- und konsequenzlos gebraucht werden dürften“.
WELT war an allen Verhandlungstagen beider Strafprozesse im Jahr 2024 anwesend. Die Beweisaufnahme hatte etwa ergeben, dass die Parole „Alles für Deutschland“ auf dem Dienstdolch der SA eingraviert war, in Liedern der SA vorkam und als Losung für den NSDAP-Reichsparteitag 1934 in Nürnberg übernommen wurde.
Der Dolch war Teil der SA-Uniform und wurde an mindestens eine Million Mitglieder ausgegeben. In der NSDAP-Zeitschrift „Der SA-Führer“ bezeichnete Propagandaminister Joseph Goebbels die Parole im Jahr 1943 als „das hohe und heilige Gesetz der SA“. „Es handelte sich eben nicht nur um eine einfache Redewendung, die für die SA keine Bedeutung hatte“, heißt es im Urteil des ersten Verfahrens.
Die Beweisaufnahme hatte zudem ergeben, dass auch demokratische Organisationen wie die SPD oder die evangelische Kirche vor und nach dem Nationalsozialismus die Parole „Alles für Deutschland“ verwendet hatten, ebenso die nationalliberale Bewegung des 19. Jahrhunderts sowie eine NS-Widerstandsgruppe.
Dies spiele „keine Rolle“, so das Landgericht. Allein dieser Umstand mache die Parole „nicht zu einer ‚einfachen Redewendung‘“. Auch in der Mitteilung des Bundesgerichtshofs heißt es nun: „Für die rechtliche Einordnung als Kennzeichen kommt es nach der bereits in früheren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs entwickelten Rechtsprechung nicht darauf an, ob ein Symbol einen gewissen Bekanntheitsgrad als Erkennungszeichen einer bestimmten Organisation besitzt oder es auch in anderem Kontext genutzt wird.“
Kein Thema der Beweisaufnahme war, dass „Alles für Deutschland“ in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder als Parole in der Neonazi-Szene verwendet worden ist – auch von Björn Höcke bekannten Personen wie Thorsten Heise. Der militante Rechtsextremist Heise hatte bei seinem Eintritt in die NPD im Jahr 2004 eine Erklärung mit „Nichts für uns, Alles für Deutschland!“ unterzeichnet. Höcke und Heise kennen sich mindestens seit dem Jahr 2008.
Nächster Prozess wegen Verdachts auf Volksverhetzung
Höcke hatte im Verfahren behauptet, er habe nichts von dem nationalsozialistischen Hintergrund der Parole gewusst. Es handle sich um einen „Allerweltsspruch“. Die Kammer „hielt dies nicht für glaubhaft und sah seine Einlassung insoweit als Schutzbehauptung an“, heißt es im Urteil des Landgerichts.
Im Beschluss des Bundesgerichtshofs zum ersten Urteil von August 2025 wird darauf verwiesen, dass der sächsische AfD-Bundestagskandidat Ulrich Oehme im Wahlkampf 2017 die Parole „Alles für Deutschland“ plakatierte und der sachsen-anhaltische AfD-Vizechef Kay-Uwe Ziegler die Parole im Jahr 2020 verwendete. Die Chemnitzer Staatsanwaltschaft hatte damals ein Verfahren wieder eingestellt, da es Oehme nicht nachzuweisen war, dass er von der verbotenen NS-Losung gewusst habe. Die Magdeburger Staatsanwaltschaft sah in Zieglers Ausspruch keine öffentliche und damit keine strafbare Verwendung, da er diesen vor lediglich vier Personen tätigte.
Über Höcke schreibt der BGH: „Spätestens nach diesen Vorfällen wusste der an Geschichts- und Zeitgeschehnissen interessierte Angeklagte, dass es sich um eine verbotene Parole der SA handelte. Dagegen war dies weiten Teilen der Bevölkerung zum Tatzeitpunkt nicht bekannt.“
Im zweiten Strafverfahren wurde Höcke im Juli 2024 von derselben Kammer des Gerichts zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 130 Euro verurteilt, also insgesamt 16.900 Euro. Höcke hatte vor seinen Anhängern in Gera über den bevorstehenden Prozess berichtet und den Beginn der Parole – „Alles für“ – ausgesprochen. Höcke „forderte die Anwesenden durch Armbewegungen auf, die Parole mit ‚Deutschland‘ zu vervollständigen“, teilte nun der BGH mit. „Wie von ihm beabsichtigt, kamen mehrere Personen dem nach.“
Über das bislang nicht öffentlich bekannte Urteil des zweiten Prozesses berichtet der Autor dieses Texts in seinem Buch „Höcke – Ein Rechtsextremist auf dem Weg zur Macht“, das am 15. September im Herder-Verlag erscheint. „Der Angeklagte ist redegewandt und setzt sehr bewusst rhetorische Mittel ein, so auch bei seiner Gestik“, heißt es in dem Urteil. „Unzweifelhaft waren in seinen Armbewegungen Aufforderungen zu sehen, die Parole zu vervollständigen, was dann auch erfolgt ist. Die Einlassungen des Angeklagten, er habe dies nicht gewollt und auch nicht damit gerechnet, werden durch seine Mimik und seine Gestik zweifelsfrei widerlegt und waren deshalb nicht als glaubhaft anzusehen.“
In dem Urteil heißt es weiter, Höcke sei der Meinung, dass die Losung trotz des ihm bekannten Verbotes „wieder ‚sagbar‘ gemacht werden müsse und wieder politisch genutzt werden könne“.
Auf eine kurzfristige Anfrage zu den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs reagierte Höcke am Donnerstagmittag nicht. Durch die Rechtskraft der Urteile werden diese nun ins Bundeszentralregister eingetragen. Weil beide Urteile Geldstrafen von mindestens 90 Tagessätzen enthalten, werden beide zudem in Höckes Führungszeugnis eingetragen.
Dass Höcke jetzt als vorbestraft gilt, kann bei der Strafzumessung in künftigen Verfahren erhebliche Auswirkungen haben. Vor dem Landgericht Mühlhausen muss Höcke sich demnächst wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung verantworten.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Am 15. September erscheint im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.
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