Seit Juni istz der Pole Philip Bednarczyk, 41, Direktor des Warschauer Büros der Denkfabrik German Marshall Fund of the United States (GMF). Zuvor arbeitet er als Europa-Berater für den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses und im US-Senat.
WELT: Herr Bednarczyk, das Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum stellt eine Eskalation zwischen Russland und der Nato dar. Wie bewerten Sie die Reaktion Polens und der Nato-Partner?
Philip Bednarczyk: Die Reaktion Polens erfolgte in enger Abstimmung mit dessen Partnern und wurde durch deutliche Solidaritätsbekundungen der Verbündeten untermauert. Die nächsten Schritte werden jedoch entscheidend sein, um die Verteidigungsinfrastruktur und die gesellschaftliche Bereitschaft Polens zu stärken. Die Nato-Initiative „Eastern Sentry“ ist ein Anfang, um nicht nur Polen, sondern die gesamte Ostflanke zu stärken.
WELT: Donald Trump versicherte versicherte Polens Präsident Nawrocki erst kürzlich, US-Truppen nicht aus Polen abzuziehen oder sogar auszubauen. Nach dem Eindringen russischer Drohnen in Polen sagte Trump, das sei vielleicht ein Versehen gewesen. Was hat es damit auf sich?
Bednarczyk: Es ist offensichtlich, dass Präsident Trump selten daran interessiert ist, Russland für vieles in diesem Krieg verantwortlich zu machen. Trotz des herzlichen Empfangs für Präsident Nawrocki vor einigen Tagen wird sich der Erfolg dieses Besuchs – und der fortgesetzten Diplomatie – erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Es ist ziemlich schwierig geworden, die Aufmerksamkeit der Regierung auf die Beendigung dieses Krieges zu lenken, und je mehr Zeit vergeht und je länger der Krieg andauert, desto mehr glaubt Putin, dass er diesen Krieg gewinnen kann.
WELT: Muss damit gerechnet werden, dass Russland den „hybriden Krieg“ gegen Europa weiter eskaliert?
Bednarczyk: Ja, die Kosten, die Russland für seinen „hybriden Krieg“ gegen Europa auferlegt wurden, sind nicht hoch, und ich glaube nicht, dass der Kreml die Nachteile sieht, wenn er weiterhin unsere gesellschaftliche und militärische Bereitschaft auf die Probe stellt und gleichzeitig unsere Bereitschaft, die Ukraine in ihrem Kampf zu unterstützen, zermürbt.
WELT: Seit dem Gipfel von Washington wird in Europa und den USA über Sicherheitsgarantien für die Ukraine gesprochen. Ziehen Amerikaner und Europäer in der Sache an einem Strang?
Bednarczyk: Sicherheitsgarantien zu definieren, ist bereits problematisch. Für die Ukraine allerdings stellt sich die Frage: Wie kriegen wir dabei „Fleisch an den Knochen“? Also welche westlichen Staaten würden Truppen für eine Mission in der Ukraine stellen? Es werden derzeit unterschiedliche Ideen gestreut, auch solche, die Staaten einbeziehen, die nicht in der EU oder Nato sind. Und dann ist da der Elefant im Raum: Wie könnte eine amerikanische Beteiligung aussehen?
WELT: Und wie?
Bednarczyk: Wenn wir uns ernsthaft mit Sicherheitsgarantien beschäftigen, müssen wir an dem Punkt ansetzen. Lassen Sie uns das amerikanische Engagement auf einer Skala von eins bis zehn beziffern, angefangen bei Beratung über Unterstützung mit Geheimdienstinformationen bis hin zur Truppenstellung. Was das angeht, gibt es bei den Europäern und Ukrainern Frust. Sie wissen nicht, wo die Amerikaner stehen. Dazu müssen wir uns damit beschäftigen, was nach einem Waffenstillstand kommt und wie wir die Ukrainer dazu ertüchtigen können, Russland abzuschrecken. Es ist wichtig, was in Moskau gedacht wird und dass man dort zum Schluss kommt, dass eine weitere Invasion sich nicht lohnt.
WELT: In Moskau will man einer westlichen Truppenpräsenz in der Ukraine offenbar nicht zustimmen. Wladimir Putin will sich auch nicht mit Wolodymyr Selenskyj treffen – es sei denn, der kommt nach Moskau.
Bednarczyk: Dabei wird häufig ignoriert, dass die Ukraine selbst ihre Interessen definiert und auch verfolgen kann. Es ist denkbar, dass es einen Deal oder eine Absprache zwischen Trump und Putin in Alaska gab. Am Ende aber müssten die Ukrainer dem zustimmen. Ich denke, in Washington begreifen einige gerade, dass es nicht so einfach ist, diesen Krieg zu beenden, wie man geglaubt hat. Das ändert aber nichts daran, dass dieselben Leute diese Sache endlich zu einem Abschuss bringen wollen – und es gibt „Abkürzungen“, die vielleicht nicht vorteilhaft für die Ukraine und Europa sind. Putin weiß das.
WELT: Führt Putin die US-Administration also an der Nase durch die Manege?
Bednarczyk: Er versucht es zumindest. Putin wirft Köder aus – alles Weitere hängt von den wesentlichen Personen in Washington ab.
WELT: Das Treffen von Alaska wirkte auf die Europäer, als würden die Anführer zweier Großmächte Entscheidungen über die Köpfe der Europäer hinweg treffen. Wie gut funktioniert die transatlantische Gemeinschaft heute noch?
Bednarczyk: Dieses Erstaunen der Europäer über das Agieren Washingtons ist nichts, was die Europäer exklusiv für sich reklamieren können. Es gibt auch viele Amerikaner, die sich wundern und die nicht wissen, was für ein Ziel Trump mit dem Alaska-Treffen überhaupt verfolgt hat. Vielleicht lag dem ein Missverständnis von Steve Witkoff zugrunde. Er hat vermutlich Dinge bei seinen Treffen in Moskau nicht richtig verstanden – dazu gibt es diesen unbedingten Willen auf amerikanischer Seite, die Sache schnell zu beenden. Das haben die Europäer den Amerikanern voraus: Sie wissen, mit wem sie es in Moskau zu tun haben und glauben nicht an eine schnelle, unkomplizierte Lösung oder eine Kompromissbereitschaft Russlands. Gleichzeitig wissen sie, dass sie bei der Unterstützung der Ukraine und nach einem Waffenstillstand die Hauptlast werden tragen müssen. Das ist es auch, was die Amerikaner wollen. Die Europäer leisten gute Arbeit, auf die Amerikaner einzureden, aber es besteht nach wie vor das Risiko, dass Putin sich mit seiner Wunschliste in Washington durchsetzt. Die Russen wollen ganz klar die Ukraine von anderen Fragen entkoppeln, zum Beispiel einer russisch-amerikanischen Zusammenarbeit. Und Trump will über gute, anlaufende Wirtschaftsbeziehungen zu Russland oder eine Energiepartnerschaft sprechen. Aber für seine Anhänger muss er auch einen „peace deal“ auf den Tisch legen.
WELT: Einige Experten vermuten hinter der Trump’schen Außenpolitik einen „Reverse Kissinger“, also einen amerikanischen Anspruch, Russland gegen China auf die Seite der USA zu ziehen. Halten Sie das für realistisch?
Bednarczyk: Als jemand, der sich im Kongress mit solchen Fragen beschäftigt hat, kann ich bestätigen, dass der pazifische Raum das große Thema für Washington ist, und ein „Reverse Kissinger“ manch einem gelegen käme. Die Russen wissen darum, und auch deswegen stellen sie sich als Hüter konservativer Werte war, um so zusätzlich bei bestimmten Personen in Washington Gefallen zu finden. Noch mal, es gibt definitiv solche Einflussoperationen vonseiten Russlands.
WELT: Wenn China und Asien für die USA an erster Stelle stehen, müssen wir annehmen, dass Washington Verbündete benötigt. Warum sehen wir dann einen Zollstreit und Einmischungen in europäische Wahlkämpfe durch Vertreter der US-Administration?
Bednarczyk: Lassen Sie uns abwarten, wie das alles weiterläuft, gerade auch die Wirtschaftspolitik. Vieles lässt Ziel und Logik vermissen. Es ist nicht nur Europa, schauen Sie sich Brasilien an. Ich weiß nicht, wann hohe Zölle gegen Partner im Wahlkampf versprochen wurden. Vermutlich ist das auch ein Schock für das republikanische Establishment – wer auch immer heutzutage dazugehört.
WELT: Wie steht es vor diesem Hintergrund um das deutsch-amerikanische Verhältnis?
Bednarczyk: Grundsätzlich ist die „Idee von Deutschland“ und damit auch der EU in der MAGA-Welt, der Welt der Trump-Republikaner und ihrer Anhänger, sehr negativ. Ein Teil der deutschen Politik und Gesellschaft steht heute für diese Leute dafür, was im Westen falsch läuft. Das entspricht in etwa der in Polen vorherrschenden Kritik an Brüssel. Es hat eine kulturelle Komponente: Massenmigration, Fahrradfahrer, Vegetarier, erneuerbare Energien. Dazu kommt die Annahme von zu wenig Souveränität oder – gleichzeitig – zu viel deutschem Einfluss auf die EU.
WELT: US-Vizepräsident J.D. Vance hat kürzlich das Politik-Magazin „Politico“ (gehört wie WELT zu Axel Springer) kritisiert und in Verbindung mit deutschem Einfluss gebracht.
Bednarczyk: Ja, das erinnert sehr an Polen, wo gerade auch in Bezug auf Medien oft deutsche Einflüsse vermutet werden. Bei alledem muss ich feststellen: Einzelne Persönlichkeiten spielen eine große Rolle. Vergessen wir die Bürokraten und Experten. Es gab einen Funken zwischen Trump und dem großen, gebräunten Friedrich Merz. Wenn die Stimmung solcher Treffen nach unten durchgereicht wird, ist das gut für Deutschland und Europa. Aber erlauben Sie mir, für einen Moment ein Pessimist zu sein: Eine von Persönlichkeiten getriebene Außenpolitik, in der es sonst kaum feste Grundsätze gibt, kann sich schnell in eine ganz andere Richtung entwickeln. Aus Sicht Moskaus oder Pekings bieten sich dann Gelegenheiten.
Philipp Fritz berichtet im Auftrag von WELT seit 2018 als freier Korrespondent in Warschau über Ost- und Mitteleuropa.
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