Die politische Landkarte von Nordrhein-Westfalen bleibt, von oben betrachtet, größtenteils schwarz. Die CDU hat sich landesweit nach vorläufigem Endergebnis mit 33,3 Prozent erneut als stärkste Partei bei den Kommunalwahlen behauptet. Zwischendrin leuchten rot einige lokale Wahlerfolge der SPD, und es gibt auch ein paar grüne Einsprengsel. Doch wenn man die Vogelperspektive verlässt und sich dem kommunalen Raum nähert, dann wird eine andere Parteifarbe sichtbarer, die es in dieser Intensität so noch nicht gegeben hat: blau.

Die AfD hat am vergangenen Sonntag kein prestigeträchtiges Amt erobert. Die Rechtsaußenpartei stellt keinen Landrat, Oberbürgermeister oder Bürgermeister im bevölkerungsreichsten Bundesland. Allerdings hat sie ihr landesweites Ergebnis fast verdreifacht im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2020. Demnach ist die AfD mit 14,5 Prozent nun drittstärkste Kraft – hinter der SPD mit 22,1 Prozent (minus 2,2 Prozentpunkte), aber erstmals vor den Grünen, die nur noch 13,1 Prozent (minus 6,5) erreichten. Der Aufstieg der AfD und der parallele Absturz der Grünen haben den Wahlsonntag an Rhein, Ruhr und Weser maßgeblich geprägt. Der Wahlausgang passt zum Bundestrend, wenngleich die CDU klar über dem Bundesschnitt liegt.

Vor allem die Großstädte mit überdurchschnittlichen Armuts- und Migrationsquoten im einst industriell geprägten Ruhrgebiet stehen im Blickpunkt: Gelsenkirchen, Duisburg und Hagen gelten als bedeutsame Wegweiser für die Ausbreitung der AfD. Dort stellt die Rechtsaußenpartei künftig jeweils die zweitstärkste Fraktion in den Stadträten, und dort gehen ihre Spitzenkandidaten jeweils in die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters am Sonntag, den 28. September.

Platz zwei mit nur 406 Stimmen Rückstand

In Gelsenkirchen wäre die AfD um Haaresbreite stärkste Ratsfraktion geworden. Sie kam auf 29,92 Prozent, ein Plus von 17,05 Prozentpunkte, und die SPD lag mit 30,36 Prozent knapp vorn. Es ist ein Abstand von gerade einmal 406 Stimmen.

Selbst in Kommunen wie Münster, Köln oder Bonn, wo die AfD bisher kaum Rückhalt hatte, konnte sie sich auf niedrigerem Niveau verbessern. Um ihre Verankerung in der Fläche besser zu verstehen, muss man noch tiefer schauen. In den Bezirksvertretungen etwa, die ebenfalls gewählt wurden, ist die AfD künftig teilweise als zweitstärkste Kraft vertreten, etwa in Gelsenkirchen, Duisburg, Essen oder Dortmund.

Und es geht noch weiter. Flächendeckend, ob Land oder Stadt, findet die AfD ihre Wähler nun auch im Westen. Neuerdings wird sie auch in etlichen kleinen Kommunen eine Fraktion bilden, in denen sie bisher nicht vertreten war, etwa in Waldbröl quasi von null auf 22,6 Prozent, in Reichshof von null auf 20,6 Prozent, in Bergneustadt von null auf 18,6 Prozent, in Windeck von null auf 16,5 Prozent. Ganz gleich, wo die AfD angetreten ist, ob zum ersten Mal oder wiederholt, verzeichnet sie ein Plus. Die Meinungsforscher von infratest dimap haben herausgefunden, dass die AfD in allen Altersklassen zugelegt hat, vor allem bei den 35- bis 59-Jährigen. Und sie profitierte offenbar von günstigen Bedingungen: Nach Erkenntnissen der Demoskopen waren Wirtschaft, Migration und Sicherheit bei den Kommunalwahlen die drei wichtigsten Themen für die Menschen.

„Wir haben unsere Wählerschaft zementiert“, jubelt die AfD-Vizefraktionschefin

„Wir haben unsere Wählerschaft zementiert“, sagte die Gelsenkirchenerin Enxhi Seli-Zacharias, AfD-Vizefraktionschefin im Landtag, gegenüber dem „Westdeutschen Rundfunk“. Es seien nicht mehr nur Frustwähler. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Potenzial noch größer sein dürfte, da die AfD in etlichen Kommunen gar nicht angetreten war, weil sie dort noch keine geeigneten Kandidaten gefunden hatte.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) freut sich einerseits darüber, dass die CDU „Kommunalpartei Nummer eins“ sei und merkt mit gewissem Stolz an, dass sie auch deutlich über dem Bundesschnitt liege. Doch er ist andererseits besorgt wegen des Erfolges der AfD. „Dieses Ergebnis muss uns zu denken geben, kann uns auch nicht ruhig schlafen lassen“, sagte Wüst im „Bericht aus Berlin“.

Der einigermaßen geringe CDU-Verlust von landesweit nur einem Prozentpunkt geht angesichts der Gesamtlage und des großen Vorsprungs fast unter. Ganz anders verhält sich das bei den Grünen. Fast überall beklagt die Partei ein Minus. Selbst in Köln, wo die Grünen mit 25,04 Prozent erneut die stärkste Fraktion stellen, müssen sie einen Rückgang um 3,48 Prozentpunkte hinnehmen. Deren OB-Spitzenkandidatin Berivan Aymaz muss, wie erwartet, in die Stichwahl, und zwar gegen den SPD-Konkurrenten Torsten Burmester. Ähnlich geht es den bisher amtierenden grünen OBs von Bonn und Aachen, Katja Dörner und Sybille Keupen, deren Wiederwahl keineswegs sicher ist. Grünen-Bundeschef Felix Banaszak begründet den Abschwung seiner Partei mit einem grundsätzlichen Stimmungswechsel: „Ökologische, progressive Politik hat es gerade schwer“, sagte Banaszak im WDR. Die Grünen müssten eine „glaubwürdige Alternative zu diesem fundamentalen Rechtsruck in dieser Gesellschaft“ verkörpern.

Einige überzeugende Spitzenkandidaten konnten sich gegen den allgemeinen Trend behaupten: In der Gemeinde Windeck wurde etwa die grüne Bürgermeisterin Alexandra Gauß mit 81 Prozent direkt wiedergewählt, und in Havixbeck setzte sich Amtsinhaber Jörg Möltgen mit 56 Prozent wieder durch. Als sichere Bank gilt nach wie vor die Universitätsstadt Münster: Dort verbesserten sich die Grüne sogar um 1,3 Prozentpunkte auf 31,6 Prozent und werden stärkste Fraktion im Rat, knapp vor der CDU. Dort geht der grüne OB-Kandidat Tilman Fuchs mit einem Vorsprung in die Stichwahl gegen den CDU-Konkurrenten Georg Lunemann.

Die chronisch schwächelnde SPD kann gewissermaßen wichtige Ehrensiege für sich verbuchen: Der OB von Herne, Frank Dudda, wurde verlässlich wiedergewählt im ersten Wahlgang, ebenso Hamms OB Marc Herter, der Landrat des Kreises Euskirchen, Markus Ramers, Kamp-Lintforts Bürgermeister Christoph Landscheidt, Kamens Bürgermeisterin Elke Kappen und weitere Spitzenkandidaten. Die Sozialdemokraten stellen auch weiterhin die stärkste Fraktion in diversen Räten, doch sie verlieren an Zustimmung in einem Bundesland, das sie jahrzehntelang dominierten. Ihr Verlust, gerade im Ruhrgebiet, ist verknüpft mit dem Erstarken der AfD, die viele Arbeiter für sich gewinnen kann. Es müsse einen „nachdenklich machen, wenn eine rechtsextreme Partei solche Zuwächse hat“, sagte SPD-Landeschefin Sarah Philipp in der „Düsseldorfer Runde“.

Damit die AfD bei den Stichwahlen in zwei Wochen keinen wichtigen Posten bekommt, haben sich CDU und SPD auf ein Teamwork verständigt: Dort, wo einer ihrer Bewerber gegen einen AfD-Kandidaten antritt, wollen sie sich gegenseitig unterstützen.

Kristian Frigelj berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen.

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