Wladimir Putin war dieser Tage ungewöhnlicherweise nicht im schwarzen Anzug zu sehen, sondern in einer Militäruniform. Seit Beginn des Ukraine-Krieges ist es erst das zweite Mal, dass sich der russische Präsident in Militärkleidung zeigt.

Am Dienstag reiste er ins östlich von Moskau gelegene Mulino, um dem Abschluss des Militärmanövers Sapad 2025 beizuwohnen. Nachdem er die hochrangigen Militärs am Kommandoturm des Truppenübungsplatzes mit „Werte Kameraden“ begrüßt hatte, erklärte er, das Ziel der Militärübung sei die Erprobung „aller notwendigen Elemente zur bedingungslosen Verteidigung unserer Souveränität, der territorialen Integrität und des Schutzes vor jeglicher Aggression.“

Der Westen nahm das fünftägige Großmanöver, das unter anderem in Kaliningrad und Belarus abgehalten wurde, als Bedrohung wahr. Polen schloss seine Grenzübergänge zu Belarus und bangte gemeinsam mit Litauen um den besonders verwundbaren Suwalki-Korridor.

Die Nato verlegte ihrerseits Truppen an die Ostgrenze. Zwar versuchte Belarus, die Wucht der feindseligen Außenwirkung abzumildern, indem es westliche Beobachter zuließ und den Großteil der Übungen in gewisser Entfernung zur Nato-Grenze durchführen ließ. Trotzdem ist das Land weiterhin stark an den Kreml gebunden. Damit könnte es mittelfristig zur Aufmarschfläche mitten in Europa in einem Krieg gegen die Nato werden.

Neben Russland und Belarus entsandte auch Indien mehrere dutzend Soldaten. Aus anderen Staaten wie China, Nordkorea, Pakistan und Thailand reisten Beobachter an. Und auch Nato-Staaten waren geladen, was als versöhnliche Geste Lukaschenkos gedacht war: Am Besuchstag reisten Vertreter der USA, der Türkei und Ungarn nach Belarus.

Valerij Rewenko, ein belarussischer Militärvertreter, rechtfertigte sich für die Gäste des gegnerischen Bündnisses. „Wir stellen für niemanden eine Bedrohung dar und treten für den Aufbau eines konstruktiven [...] Dialogs ein“, teilte er mit. Zudem habe man die Übungen verkleinert und halte sie weit von den Nato-Grenzen entfernt ab, um ihren defensiven Charakter zu unterstreichen.

Hauptursache für das im Vergleich zu Sapad 2021 deutlich verringerte Kontingent teilnehmender Soldaten dürfte aber der laufende Ukraine-Krieg sein, der die russischen Kräfte bindet. An Sapad 2025 nahmen etwa 100.000 Soldaten teil, nur die Hälfte der Teilnehmerzahl vier Jahre zuvor. Trotzdem wurden auf insgesamt 41 Truppenübungsplätzen verschiedenste Operationen erprobt: Jets flogen Tiefflugangriffe, man übte mit Drohnen und Marschflugkörpern, in Belarus wurde die fiktive „Ostrepublik“ von einem ebenso fiktiven „Gegner“ überfallen und in gemeinsamer Anstrengung zurückgeschlagen.

Letztlich entpuppte sich Sapad 2025 aber vor allem als große Show. Russische Medien hatten im Vorfeld angekündigt, die „Lehren der Spezialoperation“ in die Übungen einfließen zu lassen. Doch laut des „Defence Blog“ und russischer Analysten hat das russische Verteidigungsministerium unrealistische Manöver inszeniert und stoisch seine alten Fehler wiederholt.

Auffällig war, dass Sapad 2025 öffentlich von promilitärischen, russischen Militärbloggern verspottet wurde. So griffen Generäle auf Taktiken zurück, die im Ukraine-Krieg bereits gescheitert waren. Zum Beispiel trainierte man, Bomben aus Kampfflugzeugen abzuwerfen. Doch mit eben jener Strategie hatte die russische Armee beim Sturm auf Kiew herbe Verluste erlitten, weswegen russische Kampfflugzeuge nur noch Gleitbomben werfen, aus sicherer Entfernung. Ferner erprobte man Fallschirmsprünge in Manövern, die im Kalten Krieg entwickelt, aber dann nie angewendet wurden.

Der russische Militärkanal Voennij Oswedomitel spottete auf Telegram, das seien keine Übungen, das sei lediglich eine Zirkusnummer für die Generäle, die von den Podesten mit Ferngläsern zuschauten. Der Kanal Dwa Majora schrieb, mit solchen Taktiken könne man in der heutigen Zeit allenfalls noch Indianer und Cowboys angreifen.

Ein weiteres Mysterium blieb die groß angekündigte russische ballistische Mittelstreckenrakete Oreschnik. Denn formell sollte der Einsatz einer atomar bestückten Oreschnik-Rakete geübt werden. Doch in der offiziellen Dokumentation der Übung sei die Rakete, deren Name im Deutschen Haselstrauch bedeutet, aber nie aufgetaucht.

Ein Mitarbeiter des belarussischen Verteidigungsministers verkündete gar, dass man mit Oreschnik nicht üben werde, obwohl sein Vorgesetzter die Präsenz der Rakete offiziell verkündet hatte. Auch die Abschlusserklärung von Sapad 2025 bestätigte das. Da es aber keine Fotobeweise gibt, sind Zweifel angebracht. Der russische Militärblog Mozhem Obyasnit (zu Deutsch: Wir können das erklären) schrieb daher scherzhaft von „Schrödingers Rakete“. Und auch von den „Burewestnik“-Marschflugkörpern, im Vorfeld von Militärbeobachtern als „fliegendes Tschernobyl“ bezeichnet, war nichts zu sehen.

Julius Fitzke ist seit Juli 2025 Volontär bei der WELT im Ressort Außenpolitik.

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