Digitale Bankgeschäfte sind bequem und unkompliziert. Aber es könnte heute auch schneller zu einer neuen Finanzkrise kommen, warnen Zentralbank-Aufseher. Risiken entstehen etwa durch Schattenbanken.
"Kommt die nächste Finanzkrise?" - so lautet die Frage bei der 10. Forschungskonferenz der Europäischen Zentralbank. Sie finde den Titel faszinierend und sogar ziemlich provokant, räumt deren Präsidentin Christine Lagarde bei ihrer Eröffnungsrede ein. Sie habe in ihrem Berufsleben selbst schon allerlei Krisen miterlebt, etwa die weltweite Finanzkrise, mit ihrem Höhepunkt 2008.
Seitdem habe sich in der Bankenbranche viel verändert, so die EZB-Chefin: "Sie werden sich alle erinnern, als im März 2023 binnen Tagen drei US-amerikanische Banken zusammenbrachen", sagt Lagarde. "Das zeigt, wie wirksam Soziale Medien Panik und Ansteckung verbreiten können - umso mehr, da Bankdienstleistungen heute auch über Smartphones verfügbar sind." Damals kam es zum Kollaps der Silicon Valley Bank, was weitere Institute in Not brachte.
Immer mehr "Schattenbanken" in Europa
Die Technologie verstärkt Lagarde zufolge sowohl die Geschwindigkeit als auch das Ausmaß von Entwicklungen, die eine neue Finanzkrise hervorrufen können. Und krisenanfällig sei längst nicht nur die klassische Bankenbranche, wie die EZB-Chefin betont. Denn daneben gebe es immer mehr sogenannte Schattenbanken, also Anbieter, die klassische Aufgaben von Banken übernehmen würden.
Dazu zählt Lagarde etwa private Kreditanbieter, Hedgefonds, Geldmarktfonds und auch Pensionsfonds. "Sie spielen eine immer wichtigere Rolle, wenn es darum geht, die Wirtschaft zu finanzieren und die Ersparnisse von Privatleuten und Unternehmen zu verwalten", so die Französin. Mittlerweile machten sie im Euroraum 60 Prozent des Finanzsektors aus.
"Banken können Krisen abfedern"
Ein Problem ist aus Sicht der EZB allerdings, dass die Schattenbanken in der Regel weniger streng kontrolliert werden als die Banken. Das wollen die Bankenaufseher aber Medienberichten zufolge möglicherweise bald ändern - und vermeiden, dass Krisen in diesem Bereich auf die klassischen Geschäftsbanken übergreifen.
Den Banken immerhin bescheinigt Klaas Knot, der den Finanzstabilitätsrat leitet: "Früher haben sie Krisen verstärkt, heute können sie sie abfedern." Damit habe sich die Reform der Bankenvorschriften in Folge der Finanzkrise als erfolgreich erwiesen. Aber auch in diesem Bereich sieht Knot neue Risiken, etwa durch den Vormarsch von Kryptowährungen, Stablecoins und den Einsatz künstlicher Intelligenz.
Sind die Zentralbanken mitverantwortlich?
Die Zentralbanken selbst trügen mit ihrem Handeln auch oft zu Krisen bei, kritisiert der indisch-amerikanische Wissenschaftler Raghuram Rajan, der früher auch Chefökonom beim Internationalen Währungsfonds war. Denn wenn sie die Zinsen senkten und das Zentralbankgeld damit günstiger zu haben sei, würden in der Folge oft sehr viele Kredite vergeben.
Dieses exorbitante Kreditwachstum kann aus Sicht des Wissenschaftlers langfristig allerdings auch negative Folgen haben für die Finanzstabilität. Das Risiko sollten die Zentralbanker aus seiner Sicht stärker berücksichtigen.
Aktuell keine bedrohlichen Anzeichen
Auf diesen Vorwurf antwortet EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel, in der Praxis sei das nicht leicht umzusetzen. "Denn wenn eine Finanzkrise unmittelbar bevorsteht, liegt es für alle nahe, ungewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen und die Zinsen zu senken", sagte Schnabel. Aber dann zu einer normalen Geldpolitik mit höheren Zinsen zurückzukehren, weil sich ansonsten in Jahren neue Risiken für die Finanzstabilität ergeben würden - davon ließen sich viele eben nicht so schnell überzeugen.
17 Jahre nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers sind sich bei der EZB-Forschungskonferenz die Zentralbanker und Wissenschaftler einig, dass es aktuell keine Anzeichen für eine neue Krise gibt. Jedoch sind sie ebenfalls überzeugt, dass diese in Zeiten der Digitalisierung so schnell entstehen könnte wie nie zuvor.
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