Als Wladimir Putin vor knapp zwei Wochen mindestens 19 Drohnen in den polnischen Luftraum schickte, wollte der russische Präsident damit eine Botschaft senden: Er hat nicht vor, seinen Krieg gegen den Westen zeitnah zu beenden. Dem russischen Eindringen in den Luftraum der Nato waren wochenlange Luftangriffe auf die Ukraine vorausgegangen, bei denen Dutzende Zivilisten getötet, Gebäude der Europäischen Union und britischer Delegationen beschädigt und erstmals ein Regierungsgebäude im Zentrum von Kiew getroffen wurden.

Am Freitag dann drangen nach estnischen Angaben drei Kampfflugzeuge der russischen Luftwaffe nahe der estnischen Insel Vaindloo in den Luftraum des EU- und Nato-Landes ein und blieben dort zwölf Minuten. An der gemeinsamen Luftraumüberwachung der Allianz beteiligte Kampfjets der italienischen Luftwaffe fingen die Flugzeuge ab.

All das zeigt: Putin ist weit davon entfernt, unter dem Druck von US-Präsident Donald Trump ein Friedensabkommen mit der Ukraine zu schließen. Er hat sein politisches Überleben an einen schwelenden Konflikt mit den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten geknüpft.

„Putin ist der Präsident des Krieges“, sagt Nikolai Petrow, leitender Analyst beim New Eurasian Strategies Center in London. „Er hat kein Interesse daran, ihn zu beenden.“ Da er sich selbst als Kriegsführer inszeniere, käme eine Rückkehr zum Präsidenten in Friedenszeiten einer Degradierung gleich. „Unabhängig von den Umständen kann er diese Rolle nicht aufgeben“, sagt Petrow.

Hardliner lassen Putin um seine Macht fürchten

Putins Angriffskrieg auf die Ukraine dauert nun schon fast vier Jahre an. Doch so viel Anlass zur Zuversicht wie derzeit hatte der russische Präsident wohl seit den ersten Kriegstagen nicht mehr – jener Zeit, als der Kreml noch glaubte, die Ukraine in wenigen Tagen unterwerfen zu können. Da die ukrainischen Streitkräfte durch Waffen- und Personalmangel eingeschränkt sind, dringt Russland immer tiefer in das Land vor.

Aber Moskaus Fortschritte sind langsam – und kostspielig. Schätzungsweise eine Million Männer haben die russischen Streitkräfte bereits verloren. Außerdem hat der Konflikt der Wirtschaft stark zugesetzt, die in eine Rezession zu kippen droht.

Ein Ende des Krieges wäre mit politischen Risiken verbunden. Die strenge Kontrolle des Kremls über Medien und Internet würde es Putin vermutlich ermöglichen, den meisten Russen ein Friedensabkommen als Sieg zu verkaufen. Aber das ist nicht der Grund, die dem russischen Präsidenten Anlass zur Sorge bietet.

Da die liberale Opposition in Russland dezimiert sei, stelle nun eine kleine wie lautstarke Gruppe von Nationalisten die größte Bedrohung für Putins Herrschaft dar, sagt Petrow. Denen habe er einen grandiosen Sieg versprochen, nicht nur über die Ukraine, sondern über das, was der Kreml als „kollektiven Westen“ bezeichne.

„Unter den Hardlinern des militärisch-politischen Establishments gibt es den Wunsch, die Nato zu zerstören. Um zu zeigen, dass die Nato wertlos ist“, sagte Alexander Baunow dem russischen Dienst der Deutschen Welle. Der russische Ex-Diplomat ist inzwischen als Senior Fellow am Carnegie Russia Eurasia Center tätig.

Im August hatte sich Putin in Alaska mit Donald Trump getroffen. Der US-Präsident pries das Gipfeltreffen als Möglichkeit an, einen Waffenstillstand zu erreichen. Doch unterdessen hat Moskau seine Strategie der hybriden Kriegsführung gegen Europa sogar noch verstärkt.

Schon vor dem Vorfall vor knapp zwei Wochen waren russische Drohnen aus dem benachbarten Weißrussland wiederholt in den polnischen Luftraum eingedrungen und über Städte gekreist, bevor sie umkehrten. Im August stürzte eine russische Drohne etwa 100 Kilometer südwestlich von Warschau ab.

Wie WELT berichtet hatte, befanden sich fünf der Drohnen, die in der Nacht vom 9. auf den 10. September in den polnischen Luftraum eingedrungen waren, auf direkter Flugroute zu einer Nato-Basis, bevor sie von niederländischen F-35-Kampfflugzeugen abgefangen wurden.

Und in einem Meinungsbeitrag, der zwei Tage vor dem Eindringen der Drohnen nach Polen veröffentlicht worden war, warf Dmitri Medwedjew, stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates, Finnland vor, einen Angriff zu planen. Er drohte dem Nachbarland, dass jeder Angriff „zum endgültigen Zusammenbruch der finnischen Staatlichkeit führen könnte.“ Analysten stellten fest, dass die Rhetorik des Artikels den Argumenten des Kremls vor der vollständigen Invasion Russlands in der Ukraine im Februar 2022 ähnelte.

Eine Warnung an Trump – und an Europa

Moskau habe auch begonnen, wichtige Industriezweige wie den Schiffbau in den Osten des Landes zu verlagern, betont Petrow. Weg von der Grenze zur Nato. Dazu führt Russland Militärmanöver in Belarus durch. „Was auch immer Putin in der Ukraine erreicht, die Konfrontation mit dem Westen wird damit nicht enden, sondern in verschiedenen Formen weitergehen“, sagt Petrow. „Auch militärisch.“

Aktionen wie das Eindringen von Drohnen in den polnischen Luftraum seien eine Warnung Putins an Trump und die europäischen Staats- und Regierungschefs, die über Sicherheitsgarantien für Kiew nach einem möglichen Friedensabkommen diskutieren würden, sagt Kirill Rogow, Gründer des Thinktanks Re:Russia. „Putin hat gezeigt, dass er heute Nato-Länder angreifen kann und diese über keine Verteidigungssysteme verfügen.“

Trumps gemischte Signale hinsichtlich seines Engagements für die Nato und die mangelnde Bereitschaft, sich an seine eigenen Fristen für die Verhängung von Sanktionen gegen Moskau zu halten, geben Putin Selbstvertrauen und beweisen ihm, dass er mit seinen Aktionen davonkommen kann. Für den russischen Präsidenten, so fügte Baunow hinzu, gelte nun: „Jetzt oder nie“.

Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete am Samstag unter Berufung auf sein Umfeld, Putin sei zu dem Schluss gekommen, dass eine militärische Eskalation für Russland der beste Weg sei, um die Ukraine zu Friedensverhandlungen zu seinen Bedingungen zu zwingen. Demnach geht der russische Machthaber davon aus, dass US-Präsident Trump wahrscheinlich nicht „viel“ unternehmen wird, um die Verteidigung der Ukraine zu stärken. Wie es hieß, sollen die Gespräche zwischen den USA und Russland in Alaska Putin davon überzeugt haben, dass Trump kein Interesse daran hat, in den Krieg in der Ukraine einzugreifen.

Übergriffe wie in Polen sollen den Einsatz des westlichen Militärbündnisses für die kollektive Verteidigung untergraben, indem mit kleinen Offensiven die Reaktionsbereitschaft der Nato getestet wird. Putins Hoffnung bestehe darin, das Militärbündnis als zahnlosen Tiger zu entlarven, so Baunow. Und bislang haben die zahmen Reaktionen aus Washington ihm recht gegeben.

Dennoch hat der Kreml Vorwürfe zurückgewiesen, dass es sich bei dem Drohnenüberflug um eine absichtliche Provokation gehandelt habe. Das russische Verteidigungsministerium erklärte, es habe „keine Pläne gegeben, Einrichtungen“ in Polen anzugreifen. Weißrussland, das laut polnischen Beamten als Startrampe für einige der Drohnen diente, erklärte, der Vorfall könnte das Ergebnis eines Missgeschicks aufgrund „elektronischer Störung“ gewesen sein.

Das sei typisch für Putins Art zu provozieren und den Westen abzutasten, sagt Rogow. „Er mag es, wenn Dinge ambivalent sind, sodass sie entweder als absichtlich oder als zufällig interpretiert werden können.“

Dieser Text erschien zuerst bei der WELT-Partnerpublikation „Politico“. Übersetzt, ergänzt und redaktionell bearbeitet von Julius Fitzke und Caroline Turzer.

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