Alexei Novik (Name geändert, d. Red.) kam im Jahr 2000 aus Minsk, der Hauptstadt von Belarus, nach Deutschland. Mit seiner Familie lebt der 47-Jährige in Berlin. Novik ist mittlerweile eingebürgert und hat mit seiner lettischen Ehefrau zwei Kinder, die nach seiner Darstellung sehr gute Schüler sind, obwohl die Familie zu Hause nur Russisch spreche. Im Folgenden schildert er seine Perspektive auf die Integrationspolitik an Kitas und Schulen hierzulande – und erklärt, wie zugewanderte Kinder am besten Deutsch lernten:

Ich habe in Minsk Informatik studiert und bin dann mit 21 Jahren nach Rostock gegangen, um eine Promotionsstelle in Informatik anzunehmen. Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Es ging um die Sicherheit mobiler Geräte.

Als ich nach Deutschland kam, sprach ich nicht so gut Deutsch – die Sprache unter den Wissenschaftlern ist Englisch. Ich erhielt jedoch eine Förderung durch die Universität. Nachmittags besuchte ich das Sprachenzentrum der Universität, das Deutsch als Fremdsprache für internationale Studierende anbietet. Dort erweiterten wir nach und nach unseren Wortschatz, lernten die deutsche Grammatik und auch kulturelle Besonderheiten kennen. Bald legte ich die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang ab.

Dadurch, dass ich ständig mit meinen Kollegen sprach, lernte ich schnell. Nach etwa einem Jahr konnte ich mich sicher auf Deutsch verständigen. Es funktionierte einwandfrei. Mit diesem Konzept der Integration und zusätzlichen Förderung sollten auch Kinder von Zuwanderern Deutsch lernen.

Nach der Promotion begann ich als Informatiker zu arbeiten. Meine Frau stammt aus Lettland. Im Jahr 2010 wurde unser Sohn geboren, und wir zogen nach Berlin. 2014 kam unsere Tochter zur Welt.

Meine Frau und ich haben zu Hause immer nur unsere Muttersprache Russisch gesprochen – sowohl untereinander als auch mit den Kindern. Als unser Sohn dann in die Kita kam, rieten uns die Erzieherinnen, zu Hause lieber Deutsch zu sprechen. Ich habe daraufhin mehrere Studien gelesen. Sprachexperten sind sich einig, dass es wichtig ist, mit seinen Kindern die Sprache zu sprechen, die man selbst am besten beherrscht. Also haben wir das beibehalten und den Erzieherinnen das auch so erklärt.

Sicherlich war das für sie mit zusätzlichem Aufwand verbunden, da unser Sohn nicht alles sofort verstand. Manche Sätze – etwa „Ziehst du dir bitte die Jacke aus?“ – mussten sie fünf- oder zehnmal wiederholen. Der allgemeine Wortschatz fehlte. Woher soll ein Kind bestimmte Begriffe auf Deutsch kennen, wenn zu Hause nur eine andere Sprache gesprochen wird?

Aber ich bin mir sicher, dass wir richtig gehandelt haben. Wichtig ist meines Erachtens, die Sprachen konsequent zu trennen. Unsere Kinder wussten genau: In der Kita wird Deutsch gesprochen, zu Hause Russisch. Sonst entsteht eine Mischsprache, und das ist nicht gut.

Meine Cousine ist mit einem türkischen Mann verheiratet. Sie spricht Russisch mit den Kindern, er Türkisch, miteinander sprechen sie Englisch, und das Kind lernt in der Schule Deutsch. Es spricht vier Sprachen und hat gerade eine Gymnasialempfehlung erhalten. Das Prinzip ist dasselbe – und es funktioniert.

Das Entscheidende ist, dass die Kinder in der Kita Deutsch sprechen – mit den Erzieherinnen, mit Gleichaltrigen, in Vereinen oder bei ihren Hobbys am Nachmittag. Genau deshalb war die Corona-Pandemie für zugewanderte Kinder so verheerend – weil all diese Möglichkeiten Deutsch zu sprechen plötzlich wegfielen. Unsere Kinder haben in der Kita im wahrsten Sinne spielend Deutsch gelernt. Wir haben sie früh in die Betreuung gegeben und sie waren täglich von acht bis 16 Uhr dort.

Sie haben Freundschaften mit deutschsprachigen Kindern geschlossen und diese auch nachmittags zu Hause besucht. Eigentlich hätte es in der Kita eine gezielte Sprachförderung geben sollen, aber unser Eindruck war: Die tägliche Kommunikation mit den Erzieherinnen und anderen Kindern war deutlich wirkungsvoller.

Unsere Kinder durften Kindersendungen wie „Feuerwehrmann Sam“ im Fernsehen anschauen. Auch dadurch lernt man viel, weil bestimmte Begriffe und Redewendungen ständig wiederholt werden. Auch Werbung hilft beim Spracherwerb – kurze, einprägsame Sätze, die durch Wiederholung im Gedächtnis hängen bleiben. Meine Frau und ich haben anfangs selbst mitgeschaut.

„Nach einem halben Jahr relativiert sich vieles“

Bei der Schuleingangsuntersuchung waren unsere Kinder noch nicht perfekt im Deutschen – es fehlte an Wortschatz, und manchmal machten sie grammatikalische Fehler. Aber der untersuchende Arzt sagte nur: „Passt schon.“ Er war offensichtlich andere Sprachniveaus gewohnt.

In der Grundschulklasse unserer Kinder gab es mehrere Schüler, die gar kein Deutsch konnten. Etwa die Hälfte hatte einen Migrationshintergrund. Manche Kinder verstanden wirklich gar kein Deutsch. Aber man muss es einfach machen: Mathe oder Sachkunde auf Deutsch unterrichten – und nach einem halben Jahr funktioniert es dann.

Wichtig ist aber, dass die Nationalitäten in den Klassen gemischt sind. Eine Moldawierin, ein Spanier und eine Polin sprechen miteinander Deutsch. Zwölf Kinder derselben Herkunft sprechen miteinander in ihrer Muttersprache – und das ist nicht hilfreich.

Das stärkste Argument gegen die Integration von Kindern aus Zuwandererfamilien in die Regelklassen ist ja, dass sie das Leistungsniveau der Klasse senken. Das mag anfangs zutreffen – aber nach einem halben Jahr relativiert sich vieles, und nach einem Jahr sind die Unterschiede oft kaum noch zu erkennen. Meine Kinder hatten am Ende sogar bessere Deutsch-Noten als manche Kinder mit Deutsch als Muttersprache. In der Klasse von meinem Sohn war ein Mädchen, das bei der Einschulung kein Wort Deutsch konnte; mein Sohn musste zuerst übersetzen, weil sie nichts verstanden hat. Das Mädchen hatte in der 4. Klasse dann eine Eins in Deutsch und wechselte auf ein Gymnasium mit sprachlichem Schwerpunkt.

Wir haben mit unseren Kindern zu Hause zusätzlich gelernt und sogenannte Forderbücher angeschafft, damit sie schon nach der vierten Klasse aufs Gymnasium wechseln konnten. In Berlin dauert die Grundschule normalerweise sechs Jahre, aber für einen Wechsel nach der sechsten Klasse braucht man für die beliebten Gymnasien fast durchgehend Einsen. Ein Kind wurde kürzlich sogar mit einem Schnitt von 1,1 am Wunsch-Gymnasium abgelehnt.

Einen Notendurchschnitt von 1,0 zu erreichen, ist sehr schwierig. Daher ist es oft sinnvoller, den Übergang nach der 4. Klasse über eine Aufnahmeprüfung zu versuchen. Auch dafür braucht man auch sehr gute Noten, aber in der Grundschule ist das oft leichter als mit Kindern in der Pubertät.

Wir haben es geschafft: Unsere Kinder besuchen heute ein sehr gutes, matheorientiertes Gymnasium.

Natürlich sind Eltern gefordert, mitzuhelfen

Ich weiß nicht, ob das alles so gut funktioniert hätte, wenn meine Kinder zunächst eine Willkommensklasse hätten besuchen müssen. Ich frage mich, wie dieses Konzept funktionieren soll, wenn Kinder von Zuwanderern zunächst separiert werden. Sie sprechen dann meist nur mit anderen, die selbst kaum Deutsch sprechen – wenn überhaupt. Das kann nicht zum Ziel führen.

Das Konzept, das ich selbst erlebt habe – zusätzlicher täglicher Unterricht am Nachmittag oder ein verpflichtendes Schulfach „Förderdeutsch“ – halte ich für sehr sinnvoll. Es braucht auch mehr und besser kontrollierte Hausaufgaben sowie klare Strukturen und Regeln. Außerdem sollten Kinder den Hort besuchen oder anderweitig nachweisen, dass sie auch außerhalb des Unterrichts regelmäßig Deutsch sprechen. Und sie müssen lesen. Viel lesen.

Die Eltern sind natürlich gefordert, mitzuhelfen. Gerade in der Grundschule können Eltern fast immer unterstützen – auch wenn sie selbst nicht perfekt Deutsch sprechen. Sie können den Lernstoff gemeinsam mit den Kindern in der eigenen Muttersprache durchgehen. Wichtig ist ja, dass die Kinder die Zusammenhänge verstehen.

In die gymnasiale Klasse meines Sohnes wurden mehrere Kinder ohne Deutsch-Kenntnisse aufgenommen. Die Strategie besteht darin, diese Kinder zunächst eine Klassenstufe niedriger einzustufen, sodass sie die Klasse sozusagen wiederholen – dabei aber gleichzeitig Deutsch lernen. Das funktioniert gut, und nach einem Jahr können die Kinder problemlos am regulären Unterricht teilnehmen.

Bei meinen Kindern konnte man spätestens ab der zweiten Klasse kaum noch einen Unterschied zu den deutschen Kindern erkennen. Sie sprechen akzentfrei. Jetzt sind sie in der sechsten und zehnten Klasse. In der Schule lernen sie zusätzlich Englisch und Französisch, sodass sie hoffentlich bis zum Schulabschluss vier Sprachen beherrschen werden.

Sie haben ganz normale Noten und müssen keine Einsen mehr schreiben. Für das Abitur werden sie sich aber noch einmal ordentlich anstrengen müssen. Hier können wir als Eltern nur noch bedingt etwas erreichen – die Kinder sind inzwischen alt genug und selbst verantwortlich für ihre Leistungen.

Politikredakteurin Freia Peters berichtet für WELT über Familien- und Gesellschaftspolitik sowie Bildung.

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