Der Mann stand auf einer staubigen Straße der Stadt Las Anod im Osten Somalilands, zwei Gepardenjungen im Kofferraum, eine Pistole in der Hand. „Wenn ihr die Tiere holt, bedeutet das euren Tod“, rief er, die Waffe auf die Polizisten und Musa Said, den Tierarzt und Wildtierschützer, gerichtet. Said flehte: „Schieß’ nicht, wir haben Familien.“
Der Mann mit der Waffe war ein Wilderer, er hatte umgerechnet weniger als 50 Euro pro Gepardenbaby an Viehnomaden bezahlt, die die beiden frisch geborenen Tiere im Busch gefangen hatten. In Somaliland ist das ein durchschnittliches Monatsgehalt. Wenn der Wilderer es schaffen würde, die Tiere über den Jemen in Golfstaaten wie Saudi-Arabien zu bringen, würden seine Geschäftspartner pro Tier 15.000 Euro bekommen. Das 300-fache. Dort sind Raubkatzen als Statusobjekte der Elite begehrt. Das Schmuggelgeschäft in Somaliland ist zu einem der lukrativsten am Horn von Afrika geworden.
Die Waffe blieb auf die Ermittler gerichtet. Dann griff einer der Polizisten zu, drehte dem Mann den Arm auf den Rücken, warf ihn zu Boden. Sofort griff Tierarzt Said nach den Geparden. Zu Einsätzen wie diesem nimmt sein Team nicht nur Sicherheitskräfte, sondern auch reichlich Ausrüstung mit: angereicherte Flüssigkeiten, Medizin, artgerechtes Futter. Oft geht es um das Überleben der Tiere.
Sechs Jahre später sitzt Said, 32, in einem Konferenzraum des Umweltministeriums in Hargeisa und erzählt von der gefährlichen Konfrontation. Beinahe wären seine Kinder ohne Vater aufgewachsen. Einen Jobwechsel aber hat er nie in Betracht gezogen. „Diese Tiere sind das Risiko wert“, sagt er. Dutzende Geparden haben er und seine Kollegen gerettet.
Der illegale Handel mit Geparden aus der Region hat industrielle Züge angenommen. In Somalia, im Osten Äthiopiens und in Somaliland fangen Wilderer die Jungtiere – meist, wenn die Mutter auf Beutesuche ist. Der Schmuggel ist leicht, Grenzkontrollen in Somaliland gelten als schwach. Von dort beginnt ihre Reise in die arabische Welt: versteckt in Autos, später auf Booten über den Golf von Aden, Richtung Saudi-Arabien, Kuwait oder die Vereinigten Arabischen Emirate.
Dort werden die Wildkatzen zur Schau gestellt von Scheichs, Millionären und Influencern auf Instagram, Snapchat oder TikTok. Die seltenen Tiere symbolisieren Macht und Reichtum – und zahlen dafür oft mit ihrem Leben. In Privathaltung sterben viele binnen weniger Jahre an Krankheiten oder Fehlfütterung. Zwar haben die meisten Golfstaaten ihren Besitz offiziell verboten, aber verfolgt wird er nur selten. NGOs fordern seit Jahren schärfere Kontrollen.
Die Behörden von Somaliland versuchen gegenzusteuern. Mit Razzien und neuen Gesetzen. Das international nicht anerkannte Somaliland ist weit sicherer als das vom Terrorismus zersetzte Somalia, zu dem die de facto unabhängige Region völkerrechtlich gehört. Aber der Staat verwendet 60 Prozent des Budgets für Armee und Polizei. Der Schutz von Geparden steht nicht an erster Stelle.
Umso bemerkenswerter ist die Arbeit von Ermittlern wie Said. Die meisten Hinweise auf Schmuggler stammen von der lokalen Bevölkerung. Ein Einsatzteam fährt dann los, um die Verdächtigen und oft auch deren Waffen festzusetzen. Aber nur bei etwa jedem dritten Alarm gelingt es, einen Schmuggler zu fassen.
Über zerklüftete Pfade, eine Stunde außerhalb der Hauptstadt Hargeisa, erreicht man den Zufluchtsort für die geretteten Tiere. Somalilands Regierung hat hier der Organisation Cheetah Conservation Fund (CCF) ein Areal mit der Größe einer Kleinstadt für ein Rettungszentrum zur Verfügung gestellt. Mehr als hundert Geparden leben dort, aufgepäppelt von 20 Mitarbeitern, viele davon Tierärzte aus aller Welt.
Chris Wade, der Landesdirektor von CCF, wartet lächelnd am Eingang. Der 60 Jahre alte Australier mit einer Vorliebe für trockenen Humor und komplizierte Posen, leitet die Station seit gut anderthalb Jahren. Es ist ein ruhiger Tag. Die letzte Konfiszierung ist einige Monate her, der Zustand der Geparden stabil. „Ich erzähle alles bei einem Kaffee“, sagt er.
In diesem Zentrum geht es um nicht weniger als die Rettung einer Tierart. Weltweit gibt es nur noch rund 7000 Geparden, ihre Population ist in den vergangenen hundert Jahren um 90 Prozent geschrumpft. Die Welttierschutzorganisation IUCN stuft sie dennoch lediglich als „gefährdet“ ein. „Das ist die falsche Kategorie, sie sind längst unmittelbar vom Aussterben bedroht“, sagt Wade. Er hofft, dass die IUCN die Geparden bald auf diese höchste Stufe setzt.
Drei Türen von seinem Büro entfernt ist die Intensivstation. Hier liegen Jungtiere nach dem Mittagessen zufrieden auf dem Boden. Die meisten kommen dehydriert und traumatisiert an, nach zwei Tagen ist die Sterblichkeit am höchsten, „wenn das Adrenalin weg ist“, sagt Wade. „Wir haben im Laufe der Jahre viel gelernt, tauschen uns mit Experten aus allen Teilen der Welt aus.“ Früher überlebte nicht einmal jedes dritte der Tiere. Inzwischen sind es 80 Prozent.
Plötzlich klingelt das Telefon. Eine Schlange sei in der Küche, meldet eine Mitarbeiterin. Wade geht schnell zu dem benachbarten Gebäude, greift in einem Schuppen nach Schlangenzange und Haken. Eine Mitarbeiterin zerrt eine leere Mülltonne ran. „Das kommt alle paar Wochen mal vor“, sagt er atemlos, „aber der Puls geht immer noch ganz schön nach oben.“ In der Küche ruft Wade nur: „Jip, eine Kobra.“ Hinter einer Palette hat sich eine Speikobra versteckt, ihr Giftstrahl trifft aus bis zu zwei Metern Entfernung, ihr Biss kann tödlich sein. Vorsichtig greift Wade mit der Schlangenzange zu, zieht sie nach oben in die Tonne, deren Klappe seine Kollegin krachend schließt. 20 Minuten später haben sie das Tier in der Wildnis ausgesetzt.
Eine Aussetzung der Geparden dagegen in die freie Natur ist schwierig. Mit einem Geländewagen fährt Wade die kilometerlangen umzäunten Gehege ab. Einige sind so groß, dass die schnellsten Landtiere der Welt ihre Spitzengeschwindigkeit von 120 Kilometern erreichen können. Trotzdem bleibt das Projekt ein zähes Unterfangen. Eine große Lobby haben die Geparden in Somaliland nicht. „Geparden sind nicht gefährlich, aber man nimmt sie hier als Störenfriede wahr, weil sie die Ziegen der Viehzüchter reißen“, sagt Wade.
Eine Rettung kostet bis zu 5000 Dollar, von denen die spendenfinanzierte CCF das meiste bezahlt – wie auch für die Kampagnen im Radio, die auf die Bedrohung der Tierart durch Schmuggel aufmerksam machen. Allein für die Ziegen, mit denen die Tiere gefüttert werden, gibt CCF monatlich rund 9000 Dollar aus. Neulich wurde Wade von dem in der Nähe wohnenden Ex-Präsidenten Somalilands angesprochen. „Gebt das Geld doch lieber den Menschen hier“, habe der gesagt. Der Politiker gilt als Freund des Naturschutzes – seine Bemerkung aber war angesichts der Armut in Somaliland nur halb im Scherz gemeint.
Schätzungen zufolge werden jährlich rund 300 Geparden durch Somaliland geschmuggelt. Es gibt etwas Hoffnung, die Zahl der Beschlagnahmungen ist rückläufig. Sechzehn waren es im Vorjahr, sechs bislang in diesem. Vielleicht ist das der Anfang eines Trends.
Zwar gab es in den vergangenen Jahren einige Festnahmen, teils auch mehrjährige Gefängnisstrafen. Aber weit mehr Fälle, in denen die Täter schnell frei- oder mit einer Geldstrafe davonkamen. Nur ein einziger Richter in Somaliland ist speziell zum Schutz von Wildtieren ausgebildet.
Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.
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