Auf die Liste britischer Terroristen, die unschuldige Menschen getötet und Gemeinschaften traumatisiert haben, kommt nun ein weiterer: Jihad al-Shamie. Seine Familie war vor dem Assad-Regime aus Syrien geflohen und hatte Asyl in Großbritannien gefunden. Sie hatte sich in Prestwich niedergelassen, einer Stadt bei Manchester mit der zweitgrößten jüdischen Gemeinde des Landes. Dort leben auch viele Muslime, die in mehreren Einwanderungswellen in den Nordwesten Englands gekommen sind.
Auf das ruhige Nebeneinander beider Religionen war man stolz. Aber die schrecklichen Ereignisse am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, bei denen zwei Besucher der Synagoge am Heaton Park getötet und mehrere verletzt wurden, haben diese Koexistenz schwer erschüttert.
Das genaue Motiv für den Amoklauf in Manchester, etwa drei Kilometer von al-Shamies Wohnort entfernt, ist noch nicht bekannt. Die Polizei hat mehrere Personen, die mit dem Täter in Verbindung gestanden haben sollen, festgenommen, es wird gegen eine mögliche Terrorzelle ermittelt.
Al-Shamie, der nach Polizeiangaben mit einem Auto vor der Synagoge in eine Gruppe von Menschen fuhr und dann mit einem Messer auf sie einstach, wird beschuldigt, eine Person getötet und weitere verletzt zu haben. Drei Menschen wurden schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei beendete den Amoklauf nach sieben Minuten, indem sie al-Shamie erschoss. Tragischerweise starb einer der beiden Männer – die Namen der Toten sind Adrian Daulby (53) und Melvin Cravitz (66) –, als ein Polizist auf die Tür schoss, durch die al-Shamie in die Synagoge eindringen wollte.
Nach dem Angriff in Manchester kehrte Premierminister Keir Starmer sofort von einem europäischen Gipfeltreffen in Kopenhagen zurück, um den britischen Juden zu versichern, dass er ihre Sicherheit garantieren werde. Sowohl die Regierung als auch die Polizei fordern nun die Organisatoren auf, eine für Samstag auf dem Trafalgar Square geplante Großdemonstration abzusagen.
Ob solche Appelle Erfolg haben werden, ist zu bezweifeln. In Manchester wurde nur wenige Stunden später eine lautstarke Anti-Israel-Demonstration unter dem Motto „Israelischer Völkermord“ abgehalten, ohne dass der tödliche Angriff im Heaton Park erwähnt wurde. In London kam es vor den Toren der Downing Street zu Zusammenstößen mit der Polizei. Gewalt gegen Polizisten ist inzwischen die Norm bei solchen Kundgebungen, 40 Personen wurden festgenommen.
Shabana Mahmood, bis Anfang September Justiz- und seitdem Innenministerin, kritisierte die Demonstranten: „Sie hören nicht zu, und ich bin sehr enttäuscht. Ich glaube nicht, dass sie ihrer Sache mit diesem Verhalten einen Gefallen tun.“ In ihrer neuen Rolle soll die 45-jährige Muslima jene Demonstrationen beenden, bei denen die palästinensische Flagge nicht nur als Zeichen der Unterstützung der Menschen im Gaza-Streifen eingesetzt wird, sondern die auch als Plattform genutzt werden, um die Vernichtung Israels und eine „globale Intifada“ zu fordern.
Die Anti-Israel-Proteste gehen über Demonstrationen mit dem Ziel politischer Sichtbarkeit hinaus. So besetzten schreiende propalästinensische Aktivisten wenige Stunden nach dem Anschlag auf die Synagoge den Hauptbahnhof von Manchester. Solche Besetzungen öffentlicher Räume schüchtern die Menschen ein – und verstärken die Angst der jüdischen Bevölkerung, die sich dort in Kleidung, die ihren Glauben zeigt, längst nicht mehr sicher bewegen kann.
Starmer kennt die Ängste der britischen Juden besser als die meisten anderen Politiker. Seine Frau Victoria stammt aus einem säkularen jüdischen Umfeld, sie feiern am Freitagabend das Sabbatessen – und ihr Vater stammt aus einer Familie, die vor dem Holocaust aus Polen geflohen ist.
Jetzt wirkt er jedoch wie ein Mann, der den Ereignissen ausgeliefert ist und sie nicht im Griff hat. Als er nach dem Anschlag eine Synagoge im Westen Londons besuchte, versprach er, die „Sicherheit der Juden zu garantieren“ – was hohl klang angesichts der Familienfotos von fröhlichen jüdischen Männern mittleren Alters, die an einem Feiertag vor der Tür einer Synagoge in Manchester standen und dort kurz darauf Opfer eines Anschlags wurden.
Der Premierminister hatte wohl gehofft, die aufgeheizte Lage im Land durch die Anerkennung eines palästinensischen Staates im vergangenen Monat zu beruhigen. Und erzielte das Gegenteil. Offenbar fühlen sich antiisraelische und antisemitische Kräfte sogar noch bestärkt. Ihre politischen Unterstützer wie die Labour-Abgeordnete Zarah Sultana führen einflussreiche Social-Media-Kampagnen durch, in denen „Antizionismus“ als Rekrutierungsinstrument für junge Menschen dient, die über die Situation in Gaza empört sind.
Zwar ist der Slogan „Vom Fluss bis zum Meer“ nun offiziell verboten, ebenso wie radikale palästinensische Aktionsgruppen, die kriminelle Sachbeschädigungen begehen. Dennoch hört man den Ruf immer wieder, zum Beispiel in einem Einkaufszentrum, während die Polizei untätig danebensteht.
Sicherheit ist nicht das größte Problem
Aber auch, wenn alle Augen auf die neue Innenministerin Mahmood gerichtet sind – der Aspekt der inneren Sicherheit ist nicht das größte Problem. Es ist vielmehr die Tatsache, dass die Ängste der Juden heruntergespielt wurden. Zum Teil auch, weil die Zahl der Menschen mit jüdischer Identität mit weniger als 70.000 gering ist und es viele Wahlkreise gibt, in denen Starmers Labourpartei ihre Basis vor der rechten Partei Reform UK schützen muss und in deren Ballungszentren viele Muslime leben.
Auf seinem Parteitag in dieser Woche verurteilte Starmer die harte Migrationspolitik von Reform UK als „Rassismus“, sie könnte sich gegen Einwanderer richten, die bereits einen festen Wohnsitz im Vereinigten Königreich haben. Starmers Partei bejubelte den Mut eines Anführers, der bereit ist, das „R“-Wort zu verwenden.
Viele stellen sich jedoch die Frage, was mit dem inzwischen alltäglichen Rassismus gegen Juden ist. Und in den jüdischen Gemeinden herrscht Wut über so manche Krokodilstränen, die jetzt in der Politik fließen – über die Blindheit gegenüber der Atmosphäre der Gewalt gegen sie, die in Manchester zu Terror und Tod führte.
Anne McElvoy ist leitende Redakteurin bei „Politico“ und Co-Moderatorin des Podcasts „Politics at Sam and Anne’s“
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