Javier Milei plant die Flucht nach vorn. Am Montag will Argentiniens libertärer Präsident in der „Movistar Arena“ in Buenos Aires sein neues Buch präsentieren: „Die Konstruktion des Wunders“ über den Umbau der heimischen Volkswirtschaft. In der Tat sind einige ökonomische Kennziffern bemerkenswert. In Mileis Amtszeit ging die Inflation deutlich zurück, erwirtschaftete der Staatshaushalt erstmals wieder Überschüsse und reduzierte sich auch die Armut. Doch die Erfolge werden überschattet von fast täglich neuen Hiobsbotschaften aus dem Umfeld des Präsidenten.
Fälle wie die des libertären Abgeordneten José Luis Espert sind Steilvorlagen für die linksperonistische Opposition. Espert ist Mileis Kandidat für die anstehenden Parlamentswahlen in der Provinz Buenos Aires. Doch nun sind Vorwürfe aufgetaucht, er pflege Verbindungen zu einem mutmaßlichen Geldwäscher der Drogenmafia.
Die Indizien häufen sich: So soll der Politiker nicht nur einmal, wie bislang behauptet, sondern Dutzende Male mit dem Privatjet des Unternehmers geflogen sein, soll zudem 200.000 Dollar von ihm angenommen haben. Die Vorwürfe stammen von der US-Drogenfahndung, die in der Regel ziemlich exakt ermittelt. Milei hielt bislang an Espert fest, obwohl der Fall sein Versprechen einer Null-Toleranz-Politik gegenüber der organisierten Kriminalität konterkariert.
Auch gegen Mileis Schwester gibt es Vorwürfe: Die wichtigste Beraterin des Präsidenten habe mindestens von Korruptionsfällen im Regierungslager gewusst, heißt es. Weil sich Karina Milei weigerte, vor einer Kommission zu erscheinen, erwägt die Opposition nun, sie von Sicherheitskräften vorführen zu lassen.
Mileis Nibelungentreue zu umstrittenen Personen hat ihren Preis. Laut Umfrage sind inzwischen mehr als 53 Prozent der Argentinier mit der Regierung unzufrieden. Das Stimmungstief trifft Milei zur Unzeit: Ende Oktober finden in Argentinien die wichtigen Parlamentswahlen statt. Sie sollten eigentlich dazu beitragen, die libertäre Position in Kongress und Senat zu stärken und so Mehrheiten für die dringend notwendigen strukturellen Reformen zu ermöglichen.
Loyalität gefährdet Mileis Reformkurs
Dabei ist es nicht einmal die Politik der harten Reformen, die der Präsident seinen Landsleuten zumutet, sondern es sind vielmehr die Fälle gravierenden Fehlverhaltens aus seinem Umfeld, die die öffentliche Stimmung kippen lassen. Javier Milei muss sich nun entscheiden, ob er sich von engen Mitstreitern trennt oder mit seiner Loyalität zum Personal seinen Kurs gefährdet.
Und er muss sich ein Stück weit neu erfinden. Das teils radikale und rücksichtslose Vorgehen war bislang seine Stärke. Doch jetzt ist es genau diese fehlende Fähigkeit zum Kompromiss und Konsens, die zur Schwäche wird. In den Parlamenten setzt es inzwischen regelmäßig herbe Niederlagen für seine Sparvorhaben, auch, weil er natürliche Partner wie die konservative Partei Pro öffentlich demütigte. „Auch ohne Bündnis war Pro im Jahr 2024 Mileis wichtigster Verbündeter im Nationalkongress“, sagt die Pro-Kongressabgeordnete Sofia Brambilla. „Diese Unterstützung zerfiel jedoch aufgrund mangelnder Kommunikation.“
Am Rande eines Forums konservativer Parteien in Mexiko-Stadt in dieser Woche zog die Politikerin eine ernüchternde Bilanz der Zusammenarbeit, sprach von „Brüskierungen und Respektlosigkeiten gegenüber verschiedenen Führungskräften der Pro“. Gemeint ist damit vor allem der Streit Mileis mit Ex-Präsident Mauricio Macri (2015–2019).
Mit diesem Alphatier der Konservativen sprach Milei ein Jahr lang überhaupt nicht, obwohl Pro mitgeholfen hatte, zu Beginn von Mileis Amtszeit wichtige Reformvorhaben durch das Parlament zu bringen. Vor ein paar Tagen knickte der libertäre Präsident dann ein und nahm den Gesprächsfaden mit Macri wieder auf.
Die Pro-Partei distanziere sich zunehmend von der Regierung Milei, weil der Präsident es versäumt habe, nach dem ersten notwendigen Reform-Schock einen Konsens herzustellen, sagt Brambilla. Dieser würde bedeuten, einerseits die Haushaltsdisziplin beizubehalten, aber eben auch ein gezieltes Sozialschutzsystem einzuführen, um soziale Härten abzufedern. „Es muss Respekt vor den Institutionen gezeigt und der Dialog mit dem Kongress und den Gouverneuren gestärkt werden“, fordert Brambilla.
Am Ende kommt die konservative Politikerin dann aber auch auf das alles überstrahlende Thema zu sprechen: „Die Korruptionsvorwürfe gegen Personen aus Mileis engstem Umfeld müssen ernst genommen werden.“ Es seien Korrekturmaßnahmen notwendig, „die eine klare Antwort des Präsidenten im Kampf gegen die Korruption widerspiegeln“, fordert die Kongressabgeordnete. „Denn das ist eines der größten Übel des Kirchner-Erbes, das die Argentinier nicht bereit sind zu tolerieren“, sagt Brambilla mit Blick auf die wegen Bestechlichkeit verurteilte linksperonistische Ex-Präsidentin Cristina Kirchner. Und eigentlich wollte Milei ja alles anders machen als die Peronisten.
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.