Es ist eine Seite voller Hass auf Israel – und nun Beschlusslage des Berliner Landesverbands der Linksjugend Solid, dem Jugendverband der Linkspartei. Nach WELT-Informationen hat der Verband auf der Landesvollversammlung am Samstag eine Resolution mit dem Titel „Nie wieder zu einem Völkermord schweigen“ beschlossen, die es in sich hat.
Der Ausruf „Nie wieder“ ist mit den Lehren aus der nationalsozialistischen Judenvernichtung verbunden. Die Linksjugend behauptet unter dieser Überschrift eine „Vernichtung des palästinensischen Volkes durch den israelischen Staat“. „Konfrontiert mit einem Völkermord, haben wir als linker Jugendverband versagt“, heißt es in dem bislang unveröffentlichten Beschluss. „Wir haben versagt, den kolonialen und rassistischen Charakter des israelischen Staatsprojekts, der sich von seinen Anfängen bis heute in der Eroberung neuer Gebiete und in der Vertreibung ihrer Einwohner:innen ausdrückt, anzuerkennen“ sowie „die Verbrechen des israelischen Staates, vom Apartheidsystem bis zum Genozid in Gaza, unmissverständlich beim Namen zu nennen und zu verurteilen“.
Weiter heißt es: „Ebenso muss die Befreiung Palästinas als Teil einer breiteren demokratischen und sozialistischen Revolution betrachtet werden, die den Imperialismus aus der Region herauswirft.“ Die Aufgabe von Sozialisten in Deutschland sei es, „die revolutionären Bewegungen in der Region zu unterstützen und den deutschen Staat daran zu hindern, die Revolution mithilfe seiner Verbündeten in der Region niederzuwerfen“. Die „palästinensischen Genoss:innen“ werden eingeladen, „uns beim Aufbau einer wirklich palästinasolidarischen, antiimperialistischen und antirassistischen Verbandspraxis zu unterstützen. Damit wir nie wieder als Verband zu einem Völkermord schweigen“.
Die in Gaza regierende Hamas wird in der Resolution nicht benannt. Darin ist lediglich vom „palästinensischen und globalen Widerstand gegen Kolonialismus, Apartheid und Genozid“ die Rede. Ein Beschluss des Linksjugend-Bundesverbands von Februar 2024 wird als „unzureichend“ bezeichnet. Im damaligen Beschluss, der innerhalb der Parteijugend als historischer Kompromiss galt, war die Hamas als „dschihadistische Terrororganisation“ und „reaktionär“ bezeichnet worden. Die Gruppierung verdiene (ebenso wie die israelische Regierung) „nicht die Solidarität linker Bewegungen“. Der Berliner Jugendverband will den aktuellen Beschluss nun als Antrag für den Ende Oktober beginnenden Bundeskongress einreichen.
Die Resolution der linken Parteijugend erfüllt die Kriterien der Antisemitismus-Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Unter aktuellen Beispielen von Antisemitismus heißt es darin etwa: „Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.“ Die IHRA-Definition wird von 45 Staaten offiziell anerkannt, darunter auch Deutschland. Die Linke beschloss auf ihrem Parteitag im Mai, die IHRA-Definition abzulehnen.
Der Politikwissenschaftler Stephan Grigat übt an dem Beschluss scharfe Kritik. „Die neue Resolution der Berliner Linksjugend markiert eine weitere Zuspitzung der antiisraelischen Propaganda in der Partei Die Linke“, sagte Grigat WELT. „Die Erklärung klingt, als hätte sie ein Propagandist der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas, d. Red.) verfasst – einer in Deutschland aus guten Gründen als Terrororganisation gelisteten, sich zumindest in vergangenen Jahrzehnten als ‚marxistisch‘ begreifenden palästinensischen Gruppierung, die sich an den Massakern des 7. Oktober beteiligt hat.“
Grigat ist Professor für Theorien und Kritik des Antisemitismus und leitet das Centrum für Antisemitismus- und Rassismusstudien (CARS) an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen. Er sagte weiter: „Dieser Teil der Linksjugend schwingt sich mit der Resolution zur Avantgarde eines sich gegen den jüdischen Staat richtenden Antisemitismus auf, in dem die Emanzipationsbewegung von Jüdinnen und Juden – der Zionismus – als ‚rassistisch‘ gebrandmarkt wird.“
Text überschreite „Grenze legitimer Kritik“ an Israel, sagen Parteifreunde
Innerhalb der Linkspartei befindet sich derzeit die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Shalom in Gründung. Deren Mitglieder wollen sich für die Bekämpfung von Antisemitismus und Antizionismus einsetzen. „Der Text überschreitet mit der Darstellung Israels als ‚koloniales‘ oder ‚rassistisches Projekt‘ die Grenze legitimer Kritik und reproduziert antisemitische Narrative“, teilt der Gründungskreis der BAG auf WELT-Anfrage mit. Solidarität mit Palästinensern sei „selbstverständlich legitim“, verliere „jedoch ihre Glaubwürdigkeit, sobald sie in die Leugnung jüdischer Selbstbestimmung oder in antisemitische Rhetorik abgleitet“.
Forderungen wie das „uneingeschränkte Rückkehrrecht“ oder die „Befreiung Palästinas“ implizierten „die Auflösung Israels und widersprechen jeder emanzipatorischen Friedenspolitik“, heißt es im Statement der BAG Shalom weiter. „Antisemitismus darf – unabhängig von seiner Herkunft oder politischen Verpackung – in keiner linken Bewegung Platz haben.“
Vom Berliner Landesverband der Linkspartei sowie der Bundespartei war am Sonntag keine aktuelle Stellungnahme zum aktuellen Beschluss des Jugendverbands zu erhalten. Im September hatte Parteichefin Ines Schwerdtner mit dem Tragen eines Palästina-Schals für Aufmerksamkeit gesorgt, auf dem die Landkarte Israels und der palästinensischen Gebiete abgebildet war und sämtliche Städtenamen auf Arabisch bezeichnet waren. Nach einer WELT-Anfrage hatte sich Schwerdtner distanziert und betont, dass ihre Partei „gegen Antisemitismus und für das Existenzrecht Israels“ einstehe.
Innerhalb der Linksjugend wird die Positionierung zum israelisch-palästinensischen Konflikt seit Jahren kontrovers diskutiert. Ein aktuelles Instagram-Posting des Bundesverbands stößt derzeit innerhalb der Mitgliedschaft auf breite Kritik. Der Bundesvorstand behauptet darin zwar ebenfalls einen „Genozid“, schreibt aber über den Gaza-Plan des US-Präsidenten Donald Trump, dieser gebe „Hoffnung auf Frieden für die Menschen der Region“. „Wir fordern die Annahme des Friedensplans durch die Hamas“, heißt es in dem Posting von Samstag weiter.
Die hessischen und baden-württembergischen Landesverbände reagierten daraufhin am Sonntag mit einem gemeinsamen Statement. „Wir distanzieren uns von der israelunkritischen bis rassistisch-imperialistischen Haltung des Bundessprecher:innenrats“, heißt es darin. „Pläne faschistischer Regierungen sollten niemals blindlings von einer sozialistischen Organisation übernommen werden.“
Die Mehrheitsverhältnisse zwischen einem israelsolidarischen und antiimperialistischen Lager haben sich in den vergangenen Jahren stark verschoben. Noch im Jahr 2015 hatte der Bundesverband der Linksjugend einen Antrag beschlossen, in dem „antisemitische Denkmuster in der Linken“ kritisiert werden. „Für eine Linke, die für gesellschaftliche Emanzipation eintritt, sollte die Verteidigung des unbedingten Existenzrechts Israels, als dem Staat zum Schutz der Jüd:innen, ein wichtiger Ausgangspunkt politischen Handelns sein“, heißt es im damaligen Beschluss.
Auf Bundesebene der Parteijugend existiert seit dem Jahr 2007 der Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom, der sich als „Plattform gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus, regressiven Antikapitalismus und Islamapologetik der Linksjugend Solid“ versteht. Der Zusammenschluss ist intern allerdings stark umstritten. Die Bundesarbeitskreise Klassenkampf und Agitprop forderten etwa in einem Instagram-Posting von August dieses Jahres: „Zionist:innen raus aus der Linksjugend!“.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Im September erschien im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Einen Auszug können Sie hier lesen, das Vorwort von Robin Alexander hier.
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