Das Verhältnis zwischen Presse und Behörden ist klar geregelt: Journalisten haben das Recht, Informationen zu erfragen; der Staat ist verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Die darauffolgende Berichterstattung haben Amtsträger grundsätzlich hinzunehmen, selbst wenn sie ihnen missfällt.
Doch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ging Ende vergangenen Jahres einen ungewöhnlichen Schritt: Weil sie mit der Berichterstattung eines WELT-Reporters unzufrieden war, schickte sie dieser Redaktion eine Unterlassungsforderung. Als es schließlich vor Gericht hart auf hart kam, ruderte die Staatsanwaltschaft zurück – auf Kosten der Steuerzahler.
Was war passiert? Im Sommer vergangenen Jahres stürmte ein Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei Düsseldorf die Wohnung von Ercan T. in Monheim am Rhein – wegen einer Namensverwechslung, wie sich erst später herausstellen sollte. Nach einer Axt-Attacke im Rocker-Milieu hatte ein Zeuge ausgesagt, der Täter sei ein gewisser „Ercan“, der in der Brandenburger Allee wohne.
Schon der Zeuge hatte aber laut dem Landgericht Düsseldorf, das den Einsatz später für rechtswidrig erklärte, darauf hingewiesen, dass in der Straße mehrere „Ercans“ wohnten. Die Polizei ermittelte insgesamt sogar sechs Personen mit eben jenem Namen in Tatortnähe – und schlug dann kurzerhand bei einem der Ercans zu.
Statt den tatsächlich Gesuchten erwischte es Ercan T., der sich nichts zu Schulden hatte kommen lassen, aber so hart von den Polizisten traktiert wurde, dass er mit einem Bruch des Gesichtsschädelknochens im Krankenhaus landete, operiert werden musste und wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung behandelt wurde.
Ein Justizskandal, ohne jeden Zweifel. WELT enthüllte damals die genauen Vorgänge. Ercan T. selbst sagte dieser Redaktion: „Die haben einfach irgendeinem Zeugen geglaubt und dann überhaupt nicht mehr recherchiert. Wie kann so etwas passieren?“
Tim Röhn, Leiter des Investigativressorts von WELT, berichtete auch über das fehlende Schuldbewusstsein der Justiz: In ihren ersten Pressemitteilungen hatten die Behörden die Verwechslung mit keinem Wort erwähnt und sich auf kritische Nachfragen mit Verweis auf Zeugenaussagen und einen de facto existierenden Durchsuchungsbeschluss gerechtfertigt – ganz nach dem Motto: alles richtig gelaufen. Und: Noch drei Tage, nachdem sich der „richtige“ Ercan der Polizei gestellt hatte, wurde der schwer verletzte Ercan T. weiter als Verdächtiger geführt.
Und noch am achten Tag nach der Durchsuchung hieß es in einer Pressemitteilung: Ercan T. sei aufgrund von Angaben eines Tatbeteiligten „zweifelsfrei“ als derjenige identifiziert worden, der die Axt eingesetzt haben soll. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen hätten sich diese Angaben jedoch als „nachweislich falsch“ herausgestellt. Dass die Ermittler völlig schlampig gearbeitet hatten, Ercan – logischerweise – nie „zweifelsfrei“ identifiziert war und die Verwechslung somit nie hätte passieren dürfen – kein Wort dazu.
Bei WELT TV erklärte Röhn am 30. November 2024, die Staatsanwaltschaft Düsseldorf habe ihm auf die Frage, welche Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen worden seien, keine „wirkliche Auskunft“ geben wollen. Der Staat sage „nichts zu dem Verfahren, obwohl er eigentlich eine Auskunftspflicht“ habe. Die „Düsseldorfer Polizei und Justiz“ hätten „alles versucht über Tage, diesen Missstand zu vertuschen“, so Röhn. Auf die Frage, „was nun intern getan“ werde, „um so etwas künftig zu verhindern“, sei die Antwort „erneut totales Schweigen der Behörden“ gewesen.
Daran störte sich die Staatsanwaltschaft. Am 3. Dezember schickte Oberstaatsanwalt Daniel Vollmert eine E-Mail an etliche Führungskräfte der Redaktion sowie der Axel Springer Deutschland GmbH, zu der WELT gehört. Die Forderung: die „falschen Darstellungen“ unverzüglich zu unterlassen und die Unterlassung bis zum Folgetag schriftlich zu bestätigen. Andernfalls werde man rechtliche Maßnahmen, auch gerichtliche, prüfen, so der Oberstaatsanwalt. Er drohte: „Die hierdurch entstehenden Kosten wären sodann von Ihnen zu tragen.“
Da die Redaktion darin einen unzulässigen staatlichen Angriff auf die Pressefreiheit sah, wandte sich ein Hausjurist an die Staatsanwaltschaft und forderte sie auf, die Aufforderung unverzüglich zurückzunehmen – ohne Erfolg. Also reichte die Axel Springer Deutschland GmbH Klage beim Landgericht Berlin II ein – mit dem Ziel, festzustellen, dass die Redaktion nicht verpflichtet ist, den Forderungen der Staatsanwaltschaft nachzukommen.
Nun wurde der Fall vor Gericht verhandelt. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ließ sich von einer bekannten Medienrechtskanzlei vertreten. Zu einem Urteil kam es jedoch nicht, da die Sache für erledigt erklärt wurde, nachdem die Staatsanwaltschaft sich geschlagen gegeben hatte. Im Protokoll heißt es, die Behörde habe ihre Anwälte erklären lassen, dass sie auf die Unterlassungsansprüche verzichte und die Kosten des Rechtsstreits trage.
Prozessteilnehmer berichten, das Gericht habe der Staatsanwaltschaft zu erkennen gegeben, dass es die angegriffenen Aussagen von Röhn nicht als falsche Tatsachenbehauptungen, sondern als zulässige Meinungsäußerungen bewerten werde. Beispielsweise verstünden die Zuschauer der WELT-TV-Sendung sehr wohl, dass der Staatsanwaltschaft nicht vorgeworfen werden sollte, sie habe gar keine Antworten gegeben, sondern dass Röhn die Antworten eben nicht als zufriedenstellend empfunden habe.
Ebenfalls sei zu berücksichtigen, dass es sich um spontane mündliche Äußerungen in einer Interviewsituation gehandelt habe, nicht um einen niedergeschriebenen Text. Es dürfe daher nicht jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden. Und: Angesichts der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft selbst nicht transparent die Umstände der Verwechslung offengelegt hatte, sei die Kritik nachvollziehbar.
Der Rechtsstreit berührt auch die Grundsatzfrage, inwiefern eine Behörde im gleichen Maße wie nichtstaatliche Akteure äußerungsrechtlich tätig werden darf. Das Bundesverfassungsgericht hatte im April 2024 in einem Beschluss klargestellt, dass dem Staat „kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz“ zukommt. Denn er ist Grundrechtsdiener, kein Grundrechtsträger. Damals ging es um einen X-Post von „Nius“-Chefredakteur Julian Reichelt mit der Aussage „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)“. Das Entwicklungsministerium setzte sich dagegen zur Wehr mit der Begründung, dass es das Geld an Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan und nicht an die Taliban zahle.
Die Karlsruher Richter entschieden, der Staat habe grundsätzlich scharfe und polemische Kritik auszuhalten: „Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtestaats.“ Zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen herabsetzende Äußerungen sei Behörden daher lediglich in einem eingeschränkten Umfang eröffnet – nämlich wenn die konkrete Äußerung geeignet sei, ihre Funktionsfähigkeit zu gefährden. Dieser Schutz dürfe aber nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik abzuschirmen, gerade wenn sie auf Tatsachen beruht. Das Verfahren gegen Reichelt kostete die Bundesregierung und damit den Steuerzahler tausende Euro.
Vor diesem Hintergrund ist besonders kurios, dass die Anwälte der Staatsanwaltschaft Düsseldorf im Rechtsstreit mit dieser Redaktion einen Verzicht auf die Unterlassungsforderung zunächst nur unter der Bedingung einer Verschwiegenheitsvereinbarung anboten – wohlgemerkt in einem Verfahren, in dem es gerade um Intransparenz und Einflussnahme auf die Presse ging. Wie von Prozessteilnehmern zu hören war, zeigte auch das Landgericht Berlin II dafür wenig Verständnis, sodass die Anwälte von dieser Idee wieder abrückten.
Am Ende stand eine Niederlage auf ganzer Linie für die Behörde. Was bleibt? Vor allem hohe Kosten, für die der Steuerzahler aufkommen muss. Angesichts des hohen Streitwerts von 60.000 Euro dürften allein die gesetzlichen Gebühren plus Gerichtskosten bei rund 10.000 Euro liegen.
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