Seit die islamistischen Taliban vor vier Jahren wieder die Macht an sich gerissen haben, ringen die EU-Staaten um die Frage, ob und wie sie abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abschieben können. Offiziell gibt es keine diplomatischen Beziehungen mit Kabul, weshalb Abschiebungen derzeit nahezu unmöglich sind. Hinzu kommen Bedenken wegen der Menschenrechtslage im Land.

Gleichzeitig warten Tausende abgelehnte Asylbewerber in Europa, darunter oftmals verurteilte Straftäter, auf eine Rückführung. Eine Gruppe europäischer Länder macht in dieser Sache nun Druck auf die EU-Kommission. In einem Brief an Migrationskommissar Magnus Brunner fordern 20 Mitgliedstaaten, die freiwillige und erzwungene Rückkehr von Afghanen ohne Aufenthaltsrecht müsse als „gemeinsame Verantwortung“ auf EU-Ebene angegangen werden.

Von knapp 23.000 Afghanen, die im vergangenen Jahr eine Rückführungsentscheidung erhalten hätten, seien nur 435 tatsächlich in ihr Heimatland zurückgekehrt. Es müssten weitere Möglichkeiten für Abschiebungen nach Afghanistan geprüft werden – mit Priorität auf Personen, „die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit darstellen“, fordern die unterzeichnenden Staaten, zu denen auch Deutschland gehört.

Auch in der Frage von Abschiebungen nach Syrien bewegt sich etwas, knapp ein Jahr nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad. Obwohl in dem vom Bürgerkrieg zerstörten Land keine stabilen Verhältnisse herrschen, gebe es unter den EU-Staaten eine „große Übereinstimmung“ darüber, „dass wir mit Rückführungen nach Syrien beginnen müssen“, wie Innenminister Alexander Dobrindt beim Treffen der EU-Innenminister Mitte Oktober sagte. Man wolle „mit Straftätern beginnen“, danach müsse es „aber auch entsprechend weitergehen“.

Die Bundesregierung treibt das Thema derweil auch auf nationaler Ebene voran: Gespräche mit den Taliban über Abschiebungen nach Afghanistan seien „weit fortgeschritten“, sagte Dobrindt vergangene Woche. Seit der Machtübernahme der Taliban hat Deutschland unter Vermittlung von Katar schon zweimal straffällige Afghanen in ihr Heimatland abgeschoben. Auch mit Syrien laufen demnach Verhandlungen, diese seien aber „noch nicht ganz so weit“, gab Dobrindt zu.

Mit dieser Strategie ist Deutschland keine Ausnahme. Auch andere EU-Staaten nehmen das Thema Abschiebungen inzwischen selbst in die Hand – und setzen dabei auf verschiedene Strategien. Ein Überblick.

Österreich

Erstmals seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 schob Österreich vor wenigen Tagen einen Menschen an den Hindukusch ab. Es handelte sich um einen 31-jährigen Mann, der wegen schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung verurteilt worden war und vier Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Das Innenministerium teilte mit, dass weitere Abschiebungen von verurteilten Straftätern geplant seien. Etwa 30 Personen kommen dafür derzeit infrage.

Die Wiener Bundesregierung hatte zu Beginn des Jahres als einer der ersten EU-Staaten auf operativ-technischer Ebene Gespräche mit den afghanischen Behörden geführt. Im September waren Vertreter des Taliban-Regimes in Wien, um Abschiebungen zu koordinieren. Der konservative Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sagte: „Abschiebungen nach Afghanistan brauchen starke Allianzen in Europa.“ Karner versucht seit Monaten, eine gesamteuropäische Lösung zur Abschiebung straffällig gewordener Afghanen aufzubauen.

Österreich hatte bereits im Juli als erstes EU-Land seit Jahren einen Syrer abgeschoben. Seitdem wurden noch zwei weitere Syrer ausgewiesen.

Griechenland

Athen drängt auf EU-weite Abschiebungen nach Afghanistan und gehört zu den Unterzeichnern des Schreibens an die EU-Kommission. Nach dem Sturz Assads begannen die griechischen Behörden zudem, den Schutzstatus für Syrer zu widerrufen oder Asylanträge negativ zu bescheiden.

Doch bleiben Rückführungen nach Syrien und Afghanistan aus rechtlichen und sicherheitspolitischen Gründen sowie mangels diplomatischer Kontakte weitgehend unmöglich. Generell scheitern Abschiebungen aus EU-Staaten oft daran, dass Herkunftsländer ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen oder Betroffene die Mitwirkung verweigern.

An diesem Punkt setzt Griechenland nun an und versucht es mit Kriminalisierung. Im September verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das den „irregulären Aufenthalt“ zur Straftat erklärt, statt lediglich zur Ordnungswidrigkeit. Wer nach einer abgelehnten Asylentscheidung nicht freiwillig ausreist, muss mit mehreren Jahren Haft rechnen.

Abgelehnte Asylbewerber müssen elektronische Fußfesseln tragen und binnen zwei Wochen das Land verlassen, um einer Strafe zu entgehen. Migrationsminister Thanos Plevris bezeichnete die Regelung als „strengste Abschiebepolitik in der gesamten EU“. Betroffenen blieben, so das Ministerium, nur zwei Optionen – „Haft oder Rückkehr“.

Schweden

Auch Schweden gehört zu den 20 EU-Staaten, welche die Abschiebepläne vorantreiben wollen. „Wir müssen Lösungen finden, um Zwangsrückführungen zu ermöglichen“, sagte Migrationsminister Johan Forssell vor Kurzem. Er hoffe etwa auf Sammelflüge der EU für groß angelegte Rückführungsaktionen nach Afghanistan.

Schon 2023 und 2024 hatte Schweden insgesamt neun Straftäter nach Afghanistan abgeschoben – allerdings nicht direkt, sondern über das Nachbarland Usbekistan. Berichten zufolge befinden sich noch mehr als 2000 abgelehnte Asylbewerber in Schweden, die derzeit nicht abgeschoben werden können. Die schwedische Regierung setzt deshalb stark auf Anreize für eine freiwillige Rückkehr. So steigt die entsprechende Prämie Anfang 2026 auf umgerechnet rund 32.000 Euro.

Im Fall Syriens plant Schweden, die Zahlung von Entwicklungsgeldern an die Zusage zu knüpfen, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen. Ähnliche Vereinbarungen gibt es bereits mit Somalia, dem Irak und dem Libanon.

Auch auf EU-Ebene hatte Schweden Druck gemacht, häufigere und schnellere Abschiebungen nach Syrien zu ermöglichen. Das Land hat pro Kopf die meisten syrischen Flüchtlinge in der EU aufgenommen, allein 2015 waren es mehr als 50.000.

Italien

Abgelehnte Asylbewerber rückzuführen gehört zu den Prioritäten der rechtsnationalen Regierung von Giorgia Meloni. Italien war eines der ersten Länder, das noch vor dem Sturz von Diktator Assad auf eine Normalisierung der Beziehungen zu Syrien drängte, um die Abschiebung von Migranten zu erleichtern – ein Vorhaben, das mit dessen Entmachtung im Dezember ein abruptes Ende fand.

Im Fall von Afghanistan hat sich Italien der Initiative jener 20 Länder angeschlossen. Zugleich stehen Erfolge aus: Italien weist eine im europäischen Vergleich schwache Bilanz bei der Rückführung illegaler Einwanderer auf, die Rückführungsquote liegt deutlich unter der Frankreichs und Deutschlands.

Anders als die Bundesregierung führt Rom keine bilateralen Verhandlungen mit den Taliban und setzt auch keine Abschiebeflüge nach Afghanistan und Syrien durch, sondern konzentriert sich bisher vor allem auf freiwillige Rückkehrprogramme.

Zudem dient das italienische Lager in Albanien, das einst für ausgelagerte Asylverfahren gedacht war, inzwischen als Abschiebezentrum für ausreisepflichtige Asylbewerber, die dort bis zu 18 Monate festgehalten werden können. Auch das ist eine rechtliche Grauzone. Doch hält Meloni daran fest. Trotz überschaubarer Zahlen – laut Angaben von Innenminister Matteo Piantedosi wurden bis Juni dieses Jahres 32 Personen auf diesem Wege abgeschoben.

Frankreich

Frankreich hat den Appell nicht unterschrieben. Anders als Deutschland schiebt es seit der Machtübernahme der Taliban keine Afghanen mehr ab. Die Begründung: Paris erkennt das Taliban-Regime nicht an, Frankreich hat keine Botschaft mehr dort, auch Direktflüge nach Kabul gibt es nicht. Juristisch wie logistisch sind Abschiebungen also blockiert. Dennoch organisiert das französische Amt für Einwanderung und Integration (OFII) sogenannte freiwillige Rückkehrprogramme.

Wer aus eigenen Stücken in seine Heimat zurückkehren möchte, bekommt das Flugticket und eine Prämie von 400 bis 2500 Euro bezahlt. 2024 machten bislang 15 Afghanen davon Gebrauch, meist Männer mit Vorstrafen. Die Reisen erfolgen über Neu-Delhi, von wo aus afghanische Fluggesellschaften nach Kabul weiterfliegen.

Nach Syrien sind Abschiebungen ebenfalls ausgesetzt. Paris fühlt sich in dieser vorsichtigen Haltung durch den Fall eines Syrers bestätigt, der im Juli aus Österreich abgeschoben worden war und Medienberichte zufolge verschwunden ist.

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