Der junge Mann am Herd wirkt ziemlich fidel und vergnügt. Es sind noch einige Aufnahmen im Internet zu sehen, wie der 35-jährige Gymnasiallehrer aufwendige Gerichte zubereitet, sogar ein Rezept von ihm kann man herunterladen. Es scheint ziemlich beeindruckend zu sein, was er da so zubereitet und kredenzt, immerhin hat er einen Wettbewerb bei einer TV-Kochshow gewonnen und eine Geldprämie bekommen. Das Unappetitliche daran: Der Lehrer war seit etwa einem Jahr krankgeschrieben, und das Kochen vor der Kamera soll in jener Zeit stattgefunden haben.

Nordrhein-Westfalens Schulministerium muss sich also mit einem neuen Verdachtsfall herumschlagen, wonach ein Beamter trotz Krankschreibung anderen Tätigkeiten nachgegangen sein könnte. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) betont am Mittwochmorgen im Schulausschuss des Landtags, dass es sich um einen Einzelfall handele.

Ähnliches hatte sie vor einigen Wochen gesagt, als ein noch krasserer Fall bekannt geworden war: Eine Lehrerin an einem Berufskolleg in Wesel war 16 Jahre lang krankgeschrieben, ohne amtsärztliche Untersuchung oder dienstrechtliche Überprüfung, und soll in dieser Zeit – bei vollen Bezügen – anderen Tätigkeiten nachgegangen sein. Sie soll als Heilpraktikerin gearbeitet und eine prämierte Handcreme entworfen haben.

Der Skandal kam heraus, weil die Lehrerin eine Verwaltungsklage in letzter Instanz verloren hatte: Sie wehrte sich gegen eine amtsärztliche Untersuchung, nachdem eine neue Sachbearbeiterin für sie zuständig geworden war.

In den beiden genannten Fällen haben die jeweils zuständigen Bezirksregierungen als Mittelbehörden des Landes Disziplinarverfahren eingeleitet. Die Opposition befürchtet, dass es systemische Mängel gebe, die einen solchen Missbrauch erleichtern. Doch Feller bleibt dabei, dass es sich um Ausnahmen handele.

„Es ist nicht akzeptabel, wenn Landesbeamtinnen und Landesbeamte Krankschreibungen missbrauchen und so die Kolleginnen und Kollegen belasten sowie dem Dienstherrn und damit der Gesellschaft schaden“, sagt die NRW-Schulministerin im Ausschuss. Daraus erwachse auch eine „besondere Treuepflicht“. Die Beamten seien dafür da, dass der Staat auch in schwierigen Zeiten funktioniert. „Umso ärgerlicher ist es, dass durch das Handeln Einzelner das Ansehen eines gesamten Berufsstandes beeinträchtigt wird.“

Die Ministerin sieht eine noch größere Gefahr: „Schon allein der Verdacht, dass jemand das System widerrechtlich ausnutzt, richtet einen erheblichen Schaden an. Und das reicht deutlich über die finanzielle Dimension hinaus.“ Wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehe, der Beamtenstatus könne ungestraft ausgenutzt werden, „dann schadet das nicht nur dem Ansehen aller Lehrkräfte, sondern erschüttert das Vertrauen in die Integrität des gesamten Berufsbeamtentums“. Und dies berge die Gefahr, „dass Menschen an der Handlungsfähigkeit von Staat und Verwaltung zweifeln, was letztlich das Vertrauen in unsere Demokratie gefährdet“.

Deshalb verspricht Feller ein schonungsloses Vorgehen: „Ein Missbrauch von Krankmeldungen wird nicht akzeptiert. Hier gilt null Toleranz.“ Wer dieses Vertrauen verspiele, müsse „mit spürbaren Konsequenzen rechnen“.

Feller warnt zugleich vor einem Generalverdacht. Nachdem der Fall aus Wesel bekannt geworden war, habe es zahlreiche weitere Verdachtshinweise gegeben, doch es habe sich herausgestellt, dass es dort alles in Ordnung gewesen sei. „Wir reden hier über Menschen, die eine Krankschreibung haben“, sagt Feller. Es sei von einem Arzt oder einer Ärztin bescheinigt worden, dass sie krank seien. „Da muss erst mal eine Behörde davon ausgehen können, dass das auch eine richtige Bescheinigung ist.“

1388 Lehrkräfte in NRW länger als sechs Monate krank

In Nordrhein-Westfalen sind 1388 Lehrkräfte länger als sechs Monate krankgeschrieben. Auch hier betont Feller die Relation zur Gesamtheit, denn dies seien bei insgesamt etwa 170.000 verbeamteten Lehrerinnen und Lehrern lediglich 0,8 Prozent.

Vor einigen Wochen hatte Feller im Schulausschuss betont, dass die Bezirksregierungen über ein Kontrollsystem verfügten, mit dem Krankheitszeiten von Lehrkräften erfasst und überwacht würden. Bei einer Erkrankung von mehr als drei Tagen sei der Schule spätestens am vierten Tag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Diese Krankmeldungen würden an die Bezirksregierungen weitergeleitet.

Die zuständigen Mitarbeiter dort prüften regelmäßig den Stand und leiteten die nächsten Schritte ein. Ab bestimmten Schwellen gebe es festgelegte Verfahren: Bei einer Erkrankung von mehr als sechs Wochen werde ein betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten. Bei einer durchgehenden Erkrankung von mehr als drei Monaten innerhalb eines Halbjahres werde in der Regel ein amtsärztliches Verfahren eingeleitet, sagte Feller damals. „Das Gutachten des Amtsarztes bildet die Grundlage für die weitere Entscheidung – ob eine Rückkehr in den Schuldienst möglich ist oder ob im Rahmen des Programms ‚Vorfahrt für Weiterbeschäftigung‘ andere Einsatzmöglichkeiten innerhalb der Landesverwaltung geprüft werden müssen.“

In der Praxis sieht es offenbar etwas anders aus. Das geht aus einem aktuellen „Lagebild“ zu Langzeiterkrankungen bei Landesbeamten der schwarz-grünen Landesregierung geht hervor, das die FDP erfragt hatte. Demnach sind in Nordrhein-Westfalen aktuell 2785 Landesbeamte seit mehr als einem halben Jahr krankgeschrieben. Mit 1388 Personen rangiert der Schulbereich weit vor dem Bereich Inneres mit 568, Justiz mit 550 und Finanzen mit 241.

Noch etwas anderes fällt auf: Nur etwa die Hälfte der krankgemeldeten Beamten im Schulbereich sowie im Bereich Inneres wurde amtsärztlich untersucht. Im Justizbereich hingegen gab es in drei Vierteln der Fälle eine amtsärztliche Untersuchung. Warum dies so unterschiedlich ausfällt, verrät das Lagebild indirekt, als es auf die beamtenrechtlichen Regelungen hinweist: „Ob und wann von der Möglichkeit der Beauftragung einer amtsärztlichen Begutachtung Gebrauch gemacht wird, liegt im Ermessen der Dienststelle.“

Das Thema dürfte die Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen noch länger beschäftigen. Für Franziska Müller-Rech, FDP-Vizefraktionschefin im Landtag, offenbart der Verdachtsfall um den krankgeschriebenen Lehrer in der Kochshow ein „Kontrollversagen“ der schwarz-grünen Landesregierung. Feller spreche immer noch von Einzelfällen, „aber die Realität ist ein strukturelles Kontrollproblem“. Es brauche „endlich ein landesweites, verbindliches und transparentes Verfahren zur Überprüfung der Dienstfähigkeit langzeiterkrankter Lehrkräfte, eine deutliche Beschleunigung und Priorisierung amtsärztlicher Untersuchungen und klare Standards für Fälle von Teildienstfähigkeit“.

Die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Dilek Engin, beklagt, die Ministerin habe den Überblick über ihren Geschäftsbereich verloren. „Sie muss einen besseren Überblick bekommen, die Prozesse optimieren und diese transparenter gestalten. Natürlich lassen sich Einzelfälle nie vollständig verhindern. Aber die Ministerin muss proaktiv damit umgehen und gegensteuern, um so das Ansehen der Vielen dadurch nicht in Misskredit geraten zu lassen.“

Kristian Frigelj berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

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