Ein massiver Polizeieinsatz gegen eine Drogenhändlerbande mit 119 Toten hat in der brasilianischen Küstenstadt Rio de Janeiro zu Protesten geführt. Dutzende Favela-Bewohner versammelten sich am Mittwoch (Ortszeit) vor dem Sitz der Landesregierung in Rio, riefen „Mörder!“ und schwenkten brasilianische Flaggen, die mit roter Farbe beschmiert waren. Sie warfen der Polizei vor, übermäßige Gewalt angewendet zu haben, und forderten den Rücktritt des Gouverneurs des Bundesstaats Rio, Cláudio Castro.

Wenige Stunden zuvor hatten Familien und Anwohner Dutzende Leichen in einem der betroffenen Armenviertel zur Schau gestellt, um das Ausmaß der tödlichen Razzia zu verdeutlichen. Rios Polizeisekretär Felipe Curi erklärte, dass Leichen weiterer Verdächtiger in einem Waldgebiet gefunden wurden, wo sie nach seinen Angaben in Tarnkleidung gegen Sicherheitskräfte gekämpft hatten. Anwohner hätten Kleidung und Ausrüstung von den Leichen entfernt, was nun als mögliche Beweismanipulation untersucht werde.

Nachdem Berichte über Verstümmelungen und Messerstiche veröffentlicht worden waren, forderten das Oberste Gericht Brasiliens, Staatsanwälte und Abgeordnete Gouverneur Castro auf, detaillierte Informationen über den Einsatz vorzulegen. Richter Alexandre de Moraes ordnete für Montag eine Anhörung mit Castro sowie den Leitern der Militär- und Zivilpolizei in Rio an.

„Rio befindet sich im Krieg“

Castro erklärte am Dienstag, Rio befinde sich „im Krieg gegen den Narco-Terrorismus“, ein Ausdruck, der an die Rhetorik der US-Regierung unter Präsident Donald Trump erinnert. Er bezeichnete den Einsatz als „Erfolg“, abgesehen von den Todesfällen von vier Polizisten.

Die Bilanz von 128 getöteten Verdächtigen und vier toten Polizisten lag deutlich über den ursprünglich gemeldeten 60 Toten. Die Zahl der Festgenommenen stieg nach Angaben der Polizei auf 113. Die Landesregierung teilte mit, dass rund 90 Gewehre und mehr als eine Tonne Drogen beschlagnahmt worden seien.

Rund 2500 Polizisten und Soldaten hatten am Dienstag eine Razzia gegen die berüchtigte Bande Comando Vermelho (Rotes Kommando) in den Favelas Penha und Complexo do Alemão gestartet, bei der es zu heftigen Schusswechseln kam. Die Operation gilt als einer der gewalttätigsten Polizeieinsätze in der jüngeren Geschichte Brasiliens.

„Das war ein Massaker“, sagte Barbara Barbosa, Hausangestellte aus Penha. Ihr Sohn sei bereits bei einem früheren Polizeieinsatz in der Favela getötet worden. „Man kann sie ins Gefängnis bringen – warum sie so töten? Viele waren noch am Leben und riefen um Hilfe“, sagte die 50-jährige Elisangela Silva Santos während der Versammlung in Penha. „Ja, sie sind Drogenhändler, aber sie sind Menschen.“

Viele Geschäfte in Penha blieben auch am Mittwochmorgen geschlossen. Aktivist Raull Santiago berichtete, er habe noch vor Tagesanbruch etwa 15 Leichen gefunden. „Wir sahen hingerichtete Menschen: Schüsse in den Rücken, Kopfschüsse, Stichwunden, gefesselte Personen. Dieses Ausmaß an Brutalität, dieser Hass – man kann es nur als Massaker bezeichnen“, sagte er.

Rio ist seit Jahrzehnten Schauplatz tödlicher Polizeieinsätze. Im März 2005 wurden in der Region Baixada Fluminense rund 29 Menschen getötet, im Mai 2021 starben 28 Menschen in der Favela Jacarezinho.

Gouverneur Castro von der konservativen Liberalen Partei sagte am Dienstag, Rio stehe „allein in diesem Krieg“. Die Bundesregierung müsse mehr Unterstützung im Kampf gegen das Verbrechen leisten – ein Seitenhieb auf die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.

Seine Aussagen wurden vom Justizministerium zurückgewiesen, das erklärte, man habe bereits mehrfach Bundesbeamte nach Rio entsandt. Justizminister Ricardo Lewandowski bezeichnete den Einsatz als „offensichtlich extrem blutig und gewaltsam“. Am Mittwoch sagte er: „Wir sollten uns fragen, ob solche Aktionen mit dem demokratischen Rechtsstaat, der uns alle bindet, vereinbar sind.“

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