Es war eine Ankündigung, deren Zeitpunkt auffällig war: Nur Minuten vor seinem mit Spannung erwarteten Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping hat Donald Trump die Wiederaufnahme von Atomtests angekündigt. „Wegen der Testprogramme anderer Länder habe ich das Kriegsministerium angewiesen, auf gleicher Basis mit dem Testen unserer Atomwaffen zu beginnen. Dieser Prozess wird unverzüglich beginnen“, teilte der US-Präsident auf seiner Plattform Truth Social mit.
Mit dieser überraschenden Erklärung beginnt die US-Regierung erstmals seit 33 Jahren wieder mit Nuklearwaffentests. Trump sagte, dass Russland in Hinsicht auf die Größe seines Waffenarsenals nach den USA „an zweiter Stelle steht, China mit einigem Abstand an dritter, aber es wird binnen fünf Jahren gleichziehen“.
Obgleich offen ist, welche Art von Tests beziehungsweise Waffen Trump meint, ist eines klar: Trump demonstriert damit nicht nur gegenüber Moskau militärische Macht, sondern auch gegenüber Peking.
Dabei verfolgt China eine andere nukleare Strategie als Russland. Das Land hat seinen letzten offiziell bestätigten Atomwaffentest im Juli 1996 durchgeführt und hält seither an einem selbst auferlegten Moratorium fest. Unmittelbar vor dem Treffen zwischen Xi und Trump bekräftigte das Außenministerium erneut Chinas „selbstverteidigungsorientierte Nuklearpolitik“ und die No-first-use-Doktrin, also das Versprechen, Atomwaffen nur im Falle eines gegnerischen Nuklearangriffs einzusetzen.
Vergangene Woche zertifizierte Peking zwei neue seismische Überwachungsstationen, die Teil des internationalen Atomtest-Kontrollsystems sind. „Das zeigt Chinas konsequente Haltung, seine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen“, sagte Außenministeriumssprecher Guo Jiakun. Robert Floyd, Leiter der UN-Organisation, die weltweit Atomtests überwacht, lobte bei der Zeremonie in Shanghai und Xi’an „Multilateralismus, der dem globalen Wohl und der Sicherheit dient“.
Zugleich treibt China seit Jahren seine nukleare Modernisierung voran. Im Entwurf des neuen Fünfjahresplans (2026–2030) taucht erstmals die Formulierung auf, dass eine Stärkung der „strategischen Abschreckung“ notwendig sei, um das globale Machtgleichgewicht zu sichern. Analysten werten dies als Signal, dass China den nuklearen Abstand zu den USA und Russland verringern möchte – allerdings nicht, um zahlenmäßige Parität zu erreichen, sondern eine glaubwürdige Zweitschlagsfähigkeit. Die USA und Russland besitzen immer noch 90 Prozent aller Atomwaffen.
Laut dem Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) verfügt China derzeit über rund 600 nukleare Sprengköpfe — etwa 100 mehr pro Jahr seit 2023 — und könnte bis 2030 sein Arsenal auf rund 1000 Sprengköpfe aufstocken. Die USA besitzen demnach rund 5200, Russland etwa 5500 Sprengköpfe.
China baut gleichzeitig seine nukleare Triade aus: landgestützte Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützte Systeme und luftgestützte Träger. Neue Systeme wie die JL-3-U-Boot-Rakete und die DF-31BJ-Interkontinentalrakete wurden zuletzt öffentlich gezeigt. Experten warnen jedoch vor wachsender Unsicherheit: „Die fehlende Transparenz über Chinas Endziel könnte die USA dazu bringen, vom schlimmsten Fall auszugehen“, sagte Zhao Tong von der Carnegie-Stiftung der „South China Morning Post“.
Russland testet atomgetriebenen Marschflugkörper
Während Peking aktuell keine Atomwaffentests durchführt, teilte Russlands Machthaber Wladimir Putin diese Woche mit, einen neuartigen atomgetriebenen Marschflugkörper getestet zu haben. „Es ist eine einzigartige Waffe, die niemand sonst auf der Welt hat“, so Putin.
Der Kremlchef hatte die Teilnahme Russlands am 2010 mit den USA geschlossenen START-Vertrag im Februar 2023 ausgesetzt – als Reaktion auf die angeblich „feindliche Haltung“ der Nato auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Der Vertrag hatte die Menge strategischer Kernwaffen begrenzen und Kontrollen ermöglichen sollen.
Trump hat Atomwaffen stets als die „größte Bedrohung der Menschheit“ bezeichnet und sich generell zurückhaltend gezeigt. Allerdings investieren die USA hohe Summen in die Modernisierung ihrer Nuklearwaffen. Auch machte Trump Anfang August überraschend publik, dass er Atom-U-Boote an die russische Küste kommandiert habe. „Wir sind jüngst ein bisschen bedroht worden, und darum habe ich ein oder zwei Atom-U-Boote geschickt.“
Grund sei die Drohung einer „dummen Person“ mit Atomschlägen gewesen. Trump bezog sich damit auf Äußerungen von Dmitri Medwedjew. Russlands Ex-Präsident hatte Trumps Sanktionsdrohungen wegen des russischen Überfalls der Ukraine als „Schritt Richtung Krieg“ bezeichnet.
Sollte Trump seine Ankündigung in die Tat umsetzen und erstmals neue Atomwaffentests durchführen, könnte das auch andere Atommächte ermutigen, offensiver voranzugehen. Insgesamt gibt es aktuell nach einem Bericht des Friedensforschungsinstituts Sipri neun Staaten, die über Atomwaffen verfügen. Neben den bereits genannten Ländern sowie Großbritannien und Frankreich zählen dazu Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel.
Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel.
Christina zur Nedden berichtet im Auftrag von WELT seit 2022 aus Asien.
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