Mit deutlichen Worten warnt ein Richter aus Belgien vor dem Weg seines Landes zu einem „Narco-Staat“. Diese Entwicklung habe bereits begonnen, schreibt der Richter in einem offenen Brief, der auf der offiziellen Website der belgischen Gerichte veröffentlicht wurde.
„Ausgedehnte Mafiastrukturen haben sich etabliert und bilden eine Parallelgesellschaft, die nicht nur die Polizei, sondern auch die Justiz herausfordert“, schreibt der Richter, der aus Sicherheitsgründen anonym bleibt. Nach eigener Darstellung ist er einer von nur 17 Untersuchungsrichtern in Antwerpen. Er verbrachte nach eigener Aussage vier Monate in einem Schutzhaus, einige seiner Kollegen lebten mit ihren Familien unter Polizeischutz.
In dem Brief zeigt der Mann auf, wie sich Belgien immer mehr den Verhältnissen lateinamerikanischer Drogenstaaten annähert. „Ein Narco-Staat zeichnet sich durch eine illegale Wirtschaft, Korruption und Gewalt aus“, schreibt der Mann. Und nennt Belege für diese Punkte.
Ermittlungen und investigative Recherchen hätten gezeigt, dass Milliardengewinne aus Drogeneinnahmen inzwischen in Belgien gewaschen werden, indem das Geld in Immobilien investiert wird. Damit steigen auch die Preise für Normalbürger. Um gegen diese Machenschaften anzugehen, gebe es aber nicht genügend Ermittler.
Bestechung in Antwerpen: 100.000 Euro für einen Container mit Drogen
Korruption sei im Hafen von Antwerpen inzwischen verbreitet, Hafenmitarbeiter würden bestochen oder erpresst. Einen Container durchzuwinken, sei eine Arbeit von zehn Minuten, könne aber 100.000 Euro einbringen, eine Sporttasche 50.000 Euro. „Diese Bestechung durchdringt unsere Institutionen von Grund auf“, schreibt der Richter. Auch Zoll, Polizei und in die Justiz seien inzwischen betroffen.
Belgien hat sich in den vergangenen Jahren zum Hauptumschlagplatz für Kokain in Europa entwickelt. Zudem ist Belgien neben Holland einer der Hotspots der synthetischen Drogenproduktion, wie der Jahresbericht der EU-Drogenagentur EUDA zeigt. Durch die Drogenkriminalität steigt auch die Gewalt in dem Land.
Die Mordrate ist inzwischen die zweithöchste in der EU. Die Nachrichtenagentur Belga meldete im August, dass es in Brüssel bis dato 57 Auseinandersetzungen mit Schusswaffen gegeben hat. Immer wieder sterben Drogendealer, aber auch Unbeteiligte bei den Kämpfen zwischen den Gangs.
„Diese kriminellen Organisationen wenden Gewalt auf Befehl an – von Mord, Folter und Entführung bis hin zu Drohungen und Angriffen, manchmal auch auf unschuldige Zivilisten, um ihre Macht zu erhalten und Rivalen auszuschalten“, schreibt der Richter in dem Brief. Vor zwei Jahren wurde eine 11-Jährige in Antwerpen getötet. Die Waffen, darunter Bomben und Kriegswaffen, könnten die Banden einfach über Snapchat-Accounts kaufen.
Drogenmafia operiert auch aus dem Gefängnis weiter
Verurteilten Drogenbossen sei es möglich, ihre Geschäfte aus dem Knast weiterzuführen. „Die Folgen der Handynutzung im Gefängnis werden offenbar massiv unterschätzt“, schreibt der Mann. „Fast alle Häftlinge scheinen Handys benutzen zu können, und auf nahezu allen beschlagnahmten und ausgewerteten Geräten finden wir neue oder fortgesetzte Straftaten.“ Ermittlungsakten würden nach Dubai und in die Türkei verschickt.
Der Richter fürchtet ein Versagen des Rechtsstaates. „Wenn die Justiz zu versagen beginnt, ist das ein gefährlicher Angriff auf unsere Demokratie“, schreibt er. Schon jetzt sei es schwierig, Richter zu finden, die im Drogenmilieu ermitteln wollen – zu groß sei das persönliche Risiko. Kollegen seien zu Verfahrensfehlern bereit, um nicht für Urteile verantwortlich zu sein.
Vom Justizausschuss fordert er eine Gesetzesänderung, damit Richter auch anonym ermitteln und arbeiten können. Richter und Familien müssten besser geschützt werden, der Staat im Fall von Angriffen für Schäden aufkommen. Zudem rät er zu einem „System zur Signalblockierung“, um die Handynutzung in Gefängnissen zu unterbinden. Weil die Gefängnisse überbelegt sind, denkt die Regierung bereits über eine Verlegung von Häftlingen in den Kosovo nach.
„Trotz aller Bemühungen von Polizei und Justiz sind wir nicht mehr in der Lage, unsere Bürger und uns selbst zu schützen“, endet der Brief des Richters. Er appelliert an die Abgeordneten, den Kampf gegen die Drogenmafia zu einer strukturellen Priorität zu machen. „Denn die Frage ist nicht, ob die Rechtsstaatlichkeit bedroht ist – sie ist es bereits.“
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