Inhalt des Artikels:

  • Kita neu denken
  • Eltern-Kind-Zentren in Thüringen als Ausgangspunkt?
  • Ministerien sehen Kommunen in der Verantwortung
  • Träger bemängeln bisherige Maßnahmen der Länder

In den mitteldeutschen Kitas wird der Einbruch der Geburtenzahlen spürbar. In einer Metropole wie Leipzig, wo die Eltern vor wenigen Jahren noch vor neueröffneten Kitas Schlange standen, erhalten Familien aktuell oft problemlos einen Betreuungsplatz, sogar im Krippenbereich. Kleine Einrichtungen im ländlichen Raum fürchten mit Blick auf die weiteren Prognosen um ihre Existenz. Denn mit einer Handvoll Kinder sind Kitas betriebswirtschaftlich nicht mehr zu betreiben.

Der Geburtenknick zeigt sich statistisch allmählich. Dieses Jahr sank die Anzahl der in Kitas betreuten Kinder in Sachsen-Anhalt um 1,7 Prozent, in Sachsen um 2,3 Prozent und in Thüringen um 5,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In den kommenden Jahren wird die Entwicklung drastischer. Dazu ein Vergleich: Wurden in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen 2016 noch über 74.000 Jungen und Mädchen geboren, waren es 2024 nur noch knapp über 49.000 – ein Minus von 34 Prozent oder gut einem Drittel.

Kita neu denken

Nicole Lawrenz vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Sachsen sieht das System an einem Wendepunkt. Die Expertin für Kindertagesbetreuung plädiert für einen Perspektivwechsel. Statt nur auf Platzbedarfe zu schauen, sollten Kitas ihrer Ansicht nach künftig auch mit weniger Kindern als zentrale soziale Infrastruktur erhalten werden. "Dann muss man sagen, es ist uns wichtig als Freistaat Sachsen, als Kommune weiter familienfreundlich zu sein, damit Familien auch außerhalb von Dresden und Leipzig zum Beispiel ein Haus kaufen oder eine Wohnung anmieten können." Mit einer solchen Sichtweise könne der demografische Wandel zwar nicht aufgehalten, aber doch verlangsamt werden.

Den Schlüssel, um das wirtschaftlich und strukturell zu schaffen, sieht Lawrenz darin, Kinderbetreuung mit anderen Angeboten zu verknüpfen. "Man muss gucken, wie man auch Dinge, die scheinbar nicht zusammengehören, zusammenbringt", sagt die Bildungsreferentin. Als Beispiel nennt sie Co-Working-Spaces. Ebenso brauche es Kombinationen mit anderen sozialen Angeboten, etwa mit Mehrgenerationenhäusern, Familienberatungen oder Bürgertreffs.

Weitere Träger unterstützen diese Ansätze. Sonja Tragboth vom Landesverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Thüringen sagt, es gebe viele Ideen, um in den Kita frei werdenden Platz zu nutzen, etwa für Seniorenwohnungen, für die Tagespflege von Senioren oder auch für Jugendzentren. "Man muss halt wirklich gucken, was ist in der Region vorhanden, was ist auch der Bedarf und wie kann ich das in den vorhandenen Gebäuden realisieren und wie kann ich dann zum Beispiel auch Personal, das wir vielleicht im Kindergartenbereich nicht mehr benötigen, in anderen Bereichen mit einsetzen."

Eltern-Kind-Zentren in Thüringen als Ausgangspunkt?

Auch aus der Erziehungswissenschaft kommt Zustimmung. "Ich halte es für eine gute Idee, aber es ist keine neue Idee", erklärt Michaela Rißmann, Leiterin des Thüringer Instituts für Kindheitspädagogik an der Fachhochschule Erfurt. Die Professorin verweist auf die Thüringer Eltern-Kind-Zentren (Thekiz), deren Entwicklung sie wissenschaftlich begleitet: "Das sind Kindertageseinrichtungen in Thüringen, die sich auf den Weg gemacht haben, um ihr Profil als Kindergarten zu erweitern, auszubauen und dem noch weitere Komponenten hinzuzufügen, die nicht zu den engen Aufgaben einer Kindertageseinrichtung gehören, weil sie eben nicht nur die Kinder und deren Bedarfe in den Blick nehmen, sondern die Familien und den Sozialraum."

Die Eltern-Kind-Zentren wurden 2010 erstmals in Modellversuchen erprobt. Inzwischen gibt es über 90 davon. Seit 2019 erhalten sie Fördergelder aus dem Thüringer "Landesprogramm Solidarisches Zusammenleben". Etwa ein Drittel der Kosten müssen die Träger selbst aufwenden. Die Zusatzleistungen der Thekiz sind vielfältig. Angeboten werden unter anderem: Krabbelgruppen, Seniorennachmittage, Erste-Hilfe-Kurse, Sozialberatungen, gemeinsames Kochen, Sportstunden, Theatergruppen, Geburtsvorbereitungs- oder Rückbildungskurse u.v.m.

Um Kitas als eine Art von Sozialzentren zu stärken, könne das Thekiz-Konzept problemlos genutzt werden, sagt Rißmann. Das Konzept sei offen, mache wenige Vorgaben. Die Entwicklungen bestimmten die Kitas aus sich selbst heraus. Allerdings müsste man kritisch über die finanziellen Ressourcen sprechen. Die 90 Thekiz erhalten laut Rißmann jährlich rund 17 Millionen Euro aus dem Landesprogramm: "Wir haben über 1.000 Kitas in Thüringen. Das reicht ja so noch nicht aus, um wirklich in jedem ländlichen Sozialraum, wo das Problem ja am größten ist, die Strukturen aufrechtzuerhalten."

Auch die freien Träger verweisen aufs Geld. Sonja Tragboth von der Awo sagt: "Also ich denke, dass dieses generationsübergreifende Arbeiten oder so eine Art Sozialzentrum in den ländlichen Regionen auf jeden Fall eine Lösung wäre. Aber auch dafür ist es notwendig, dass Geld zur Verfügung gestellt wird." Beispielsweise müssten auch Umbaumaßnahmen finanziert werden. Darüber hinaus brauche es mehr Koordination durchs Land. "Da müssten wirklich vor Ort noch viel mehr Gespräche geführt werden, damit mehr gesteuert wird" und es nicht der Beliebigkeit beziehungsweise den politischen Entscheidungen in der einzelnen Kommune überlassen werde.

Ministerien sehen Kommunen in der Verantwortung

Die kommunale Zuständigkeit bei der Kitaplanung betonen allerdings auf Nachfrage die zuständigen Ministerien in Mitteldeutschland. Das Sozialministerium in Sachsen-Anhalt teilte schriftlich mit, dass Familien- oder Eltern-Kind-Zentren zwar "gerade im ländlichen Raum" die soziale Infrastruktur und Arbeit der Kindertageseinrichtungen ergänzen könnten. Derartige Kooperationen müssten aber "in eigener Zuständigkeit" gestaltet werden.

Auch das Sächsische Bildungsministerien antwortete auf die Frage, ob der Ausbau von Kitas zu Sozialzentren helfen könne, Einrichtungen im ländlichen Raum zu erhalten: "Das ist eine Frage, die im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung vor Ort zu bewerten ist."

Eine breite Landesförderung für solche Ansätze gibt es in Sachsen und Sachsen-Anhalt nicht. In einer vom Bundesverband Familienzentren veröffentlichten Übersicht über die Fördermaßnahmen der Länder wird für Sachsen-Anhalt lediglich eine Zahl von 13 Familienzentren genannt, die mit knapp einer halben Million Euro gefördert werden. Für "Mobile Familienbildung im ländlichen Raum" gibt Sachsen-Anhalt demnach an vier Standorten nochmals 350.000 Euro aus.

Sachsen förderte der Übersicht zufolge von 2016 bis 2022 in Modellprojekten die Entwicklung von Kitas zu Eltern-Kind-Zentren. Nach Auslaufen der Förderung wurden die Kommunen aufgefordert, solche Strukturen aufzubauen. Aktuell existieren laut der genannten Analyse aber nur noch in Leipzig und Chemnitz kommunale Ansätze zur Weiterentwicklung von Kitas zu Familienzentren.

Mit Blick auf einen Ausbau der Thekiz-Struktur zeigt sich auch das Thüringer Bildungsministerium skeptisch: "Auch wenn die Idee des Zusammenschlusses von Kitas mit anderen sozialen Angeboten Potenzial für eine verbesserte Infrastruktur hat, ist für die konkrete Umsetzung eine enge Zusammenarbeit der relevanten Akteure und die Entwicklung tragfähiger Konzepte notwendig." Allerdings sei auch das Sozialministerium für das "Landesprogramm Solidarisches Zusammenleben" zuständig. Beim hauseigenen Kita-Förderprogramm "Vielfalt vor Ort", das unter anderem ebenfalls die Vernetzung mit Einrichtungen außerhalb der Kita stärken soll, wolle man eine wissenschaftliche Überprüfung abwarten.

Träger bemängeln bisherige Maßnahmen der Länder

Die Landesregierungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben sich allesamt dazu bekannt, sinkende Kinderzahlen nutzen zu wollen, um die Betreuungsqualität zu verbessern. Öffentlich sprechen sich alle gegen Kita-Schließungen aus. Die Ministerien verweisen auf steigende Ausgaben, um diese Ziele zu erreichen. Sachsen-Anhalt nennt etwa eine "Demografiepauschale", durch die sinkende Kinderzahlen regional kompensiert werden sollen. Sachsen spricht von einem "Kita-Moratorium". In Thüringen wurde dieses Jahr der Betreuungsschlüssel verbessert, um das Personal bei weniger Kindern zu halten.

Von den Freien Trägern ist zu hören, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen. In Sachsen-Anhalt gab es bereits vor einem Monat Proteste. Zum Sächsischen Kita-Moratorium sagt Nicole Lawrenz vom Paritätischen Wohlfahrtverband: "Davon ist nichts spürbar, muss man ehrlich sagen." Es hätten sich in den Kitas beim Personalstand mit gleicher Kinderzahl Veränderungen in der dritten Nachkommastelle ergeben. Das Ziel, Erzieherinnen und Erzieher bei sinkenden Kinderzahlen zu halten, habe die Landesregierung nicht erreicht. "Das muss man ganz deutlich sagen, und das ist schade, weil natürlich insbesondere vor der Wahl auch kommuniziert wurde, dass das Personaltableau gehalten wird."

Sonja Tragboth berichtet, dass die Awo in Thüringen trotz der Maßnahmen der Landesregierung bereits vier Einrichtungen habe schließen müssen. Es herrsche große Unsicherheit, was die weitere Finanzierung angeht. In Thüringen gebe es keine festen Pauschalen pro Platz, sondern die Erstattungen müssten jeweils mit den Kommunen ausgemacht werden. "Da müssen wir natürlich auch um jede Position in den Haushaltsverhandlungen kämpfen. Und mit Blick auf die finanzielle Situation vieler Kommunen wird das nicht einfacher aktuell."

Zumal sich die Entwicklung weiter verschärfe, berichtet Tragboth. Nach aktuellen Zahlen gingen die Kinderzahlen in Thüringen bis 2030 noch einmal um 15 bis 20 Prozent zurück. Tragboth: "Das sind ungefähr 20.000 Plätze. Das wird nicht ohne Einschnitte zu realisieren sein."

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