Wer ist das? Was will er hier? Nur wenige erkennen den Mann und freuen sich. Ungefähr dieser Art sind die Blicke und Reaktionen, als Grünen-Co-Chef Felix Banaszak am Samstagmittag durch die Altstadt von Brandenburg an der Havel läuft. Der Duisburger Bundestagsabgeordnete hat in der 75.000-Einwohner-Stadt nun sein neues, im Sommer angekündigtes Abgeordneten-Büro eröffnet: ein historischer Schritt.

Dass Abgeordnete politische blanke Wahlkreise im eigenen Bundesland mit einem Büro unterstützen, ist bekannt; dass es über Länder und die ehemalige Mauergrenze hinweg passiert, ist neu und gehört zur Präsenz-Offensive der Grünen im Osten, wo sie Wähler, Mandate und solche Büros verlieren. Aber auch die CDU spricht mittlerweile von „weißen Flecken“ im traditionell parteipolitisch ungebundenen Osten.

Andere Parteichefs könnten also womöglich etwas von Banaszak lernen, der sich einen Anker in einer anderen Lebenswelt als der des eigenen Wahlkreises schafft. Der Grünen-Politiker plant, während der Sitzungswochen des Bundestags abends im neuen Büro Veranstaltungen stattfinden zu lassen, Sprechstunden, Bürgerfeste. Von seiner Berliner Wohnung ist er mit dem Zug in einer Stunde hier.

Nachdem die Grünen aus dem Landtag geflogen sind, fehlt ihnen die Präsenz im Kreis, im Büro saß vorher nur ein Vertreter des Kreisverbands Brandenburg an der Havel. Der sei seit dem Ampel-Bruch um mehr als 20 Mitglieder auf jetzt 103 gewachsen, sagt Co-Kreisverbandssprecher Ronny Patz.

Patz und andere meinen: In der Stadt stecke durchaus Potenzial für die Grünen. Es gebe einen aktiven Radfahrer- und andere Umweltvereine, hört man. Und die Kommunalwahlergebnisse für die Partei sind hier auch nicht viel schlechter als in Banaszaks Heimat Duisburg, jeweils circa neun Prozent.

Die Linkspartei bringt eine Büro-Pflanze vorbei

Die Orte ähneln sich: Es sind Stahlstädte mit hunderten Jahren Industrietradition. Beide stehen vor großen Umbrüchen wegen der grünen Transformation: ZF produziert hier Getriebe, die Elektroautos nicht benötigen.

„Die Menschen hier wollen Sicherheit“, sagt Patz – und meint: Planungssicherheit. Zur grünen Wende in der Industrie seien sie imstande und bereit, was sie behindere, sei das ständige „Hü und Hott“ der Politik bei den Rahmenbedingungen.

Felix Banaszak hat jetzt mindestens bis zum Ende der Legislaturperiode Zeit, das alles selbst kennenzulernen. Seine neue Büroleiterin vor Ort, Charlotte Mujis, nennt als eines ihrer ersten Ziele: „Kontakte aufzubauen zur Stahlindustrie hier“, das sei Banaszak „sehr wichtig“. Und natürlich geht es auch um das Stärken der im Osten eher schwachen grünen Netzwerke.

Kurz vor Banaszaks Begrüßungsrede sind vielleicht 50 Interessierte im engen Hinterhof des Büros zusammengekommen, zwischen Festzelten und einer alten Wäschespinne, die sich nicht mehr zuklappen lässt. Viele hier sind Grüne, nicht jeder davon hat sich den Namen von Banaszak schon eingeprägt, der seit einem Jahr mit Franziska Brantner an der Parteispitze steht. Die Linkspartei hat ihm gerade eine Büro-Pflanze zum Einzug überreicht, Nieselregen setzt ein.

Banaszak sagt, das neue Büro habe zwei Funktionen, eine für die Bürger, eine für ihn. „Zum einen“ sei es „der Ort, an dem Brandenburgerinnen und Brandenburger auch den Kontakt zur Bundespolitik oder generell zu Politik finden und intensivieren können und auf der anderen Seite“ sei es für ihn auch ein, „ich sag’ mal, Lernort“.

Als Begriff dafür findet er schön, den habe jemand aus dem Kreisverband geprägt: „Mein Fenster in den Osten“. In Richtung der Brandenburger Grünen sagt Banaszak dann scherzhaft: „Ihr müsst jetzt sozusagen stellvertretend die Übersetzungsarbeit für mich mit organisieren“.

Zum Schluss der kurzen Rede wird der Parteichef ernst: Er hoffe, sagt Banszak, das sie dort „gemeinsam etwas aufbauen“ können „für die Stadt, für die Region und vielleicht auch für eine demokratische Gesellschaft, die in einer Zeit von Spaltung, von Polarisierung auch wieder zueinander findet, die Gesprächsräume wieder intensiviert, die vielleicht verloren gegangen sind“.

Der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für Brandenburg an der Havel kommt von der AfD; zuletzt machte er Schlagzeilen, weil er Kirchenvertreter für das angebliche Decken von Kriminalität durch Asylbewerber angriff. In der Stadt rief die AfD noch dieses Jahr zu „Montagsdemos“ auf; Anfeindungen an Wahlkampfständen kennen die Grünen auch hier.

Erhard Gottschalk, ein Ur-Grüner, der in den frühen 80er-Jahren bereits in der Friedensbewegung aktiv war und in Brandenburg die Strukturen des Neuen Forums mitgründete, sagt zur politischen Stimmung: „Die Meckerei hat so zugenommen, das ist unangenehm.“ Gottschalk, Jahrgang 1947, glaubt: Es grassierten „Zukunftsvergessenheit“ und Egoismus, dazu kommen die „Hass“-erfüllten Demonstranten in den vergangenen Jahren, wenn prominente Grüne im Kreis auftraten.

„Das gab es vor zehn Jahren so nicht“, sagt Gottschalk, und: „Ich weiß nicht, was da in den Köpfen vorgeht. Mittlerweile erlebt man sogar, dass fünf, sechs kleine Steppkes“ – also Kinder – „an den Wahlkampfstand kommen und da richtig schimpfen: ‚AfD müsst ihr wählen!‘“ Die Partei war zur Bundestagswahl 2025 stärkste Kraft in der Stadt.

Niemand vor Ort glaubt, ein einziges Büro eines Bundestagsabgeordneten könne fundamental etwas daran ändern. Aber: Mehr Grüne könnten Banaszak in den kommenden Monaten folgen. Und vielleicht stößt der doppelte Perspektivwechsel etwas an, so die Hoffnung.

„Ich bin begeisterte Brandenburgerin und weiß aber auch um die Probleme, die es hier in Brandenburg gibt“, hatte Sylvana Specht, neben Patz Co-Sprecherin des Kreisverbands, Banaszak zur Begrüßung gesagt. „Wir freuen uns sehr, dass Felix mit seinem Duisburger Blick und Berliner Blick hierhergekommen ist und unsere Probleme hier aus dem flachen Land, aus Westbrandenburg auch gerne mitnimmt nach Berlin.“

Als Geschenk überreichen Patz und sie Banaszak dann, auch das ist scherzhaft gemeint, ein Buch aus den frühen 90er-Jahren. „120 Antworten. Hinweise für den Alltag in den neuen Bundesländern“, herausgegeben vom „Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen“; alle, auch Banaszak, lachen. Nun kann das „Experiment“ des Duisburgers in Brandenburg beginnen, wie Banaszak selbst es nennt.

Jan Alexander Casper berichtet für WELT über die Grünen und gesellschaftspolitische Themen.

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