In der Bundesregierung herrscht offenbar Uneinigkeit über künftig geplante Abschiebungen nach Syrien. Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) äußerte im Rahmen einer Syrien-Reise große Zweifel an der baldigen Rückkehr vieler Syrer in ihre frühere Heimat. „Ein solch großes Ausmaß an Zerstörung habe ich persönlich noch nicht gesehen. Kurzfristig können sie nicht zurückkehren“, sagte der CDU-Politiker in Harasta, einem Vorort von Damaskus.
Und fügte hinzu: „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben.“ Er rechne lediglich mit der Abschiebung von „ganz wenigen Ausnahmefällen“, also Straftätern, in das vom Bürgerkrieg zerstörte Land.
Der Widerspruch folgte umgehend. „Das Bundesinnenministerium arbeitet derzeit an einer Vereinbarung mit Syrien, damit Rückführungen möglich werden“, teilt ein Sprecher des von Alexander Dobrindt (CSU) geführten Hauses dem „Redaktionsnetzwerk Deutschlands“ mit. Im Koalitionsvertrag habe man sich schließlich auf die Wiederaufnahme von Rückführungen nach Syrien geeinigt, beginnend mit Straftätern.
Dobrindt selbst verkündete sinkende Asylzahlen im Oktober, verglichen mit jenem im Vorjahresmonat. „Unsere Migrationswende wirkt“, sagte der Innenminister der „Bild am Sonntag“. Unterstützung bekam er vom CSU-Generalsekretär Martin Huber, der eine „Rückkehr-Strategie für Syrer“ forderte – schließlich sei der Bürgerkrieg beendet.
Nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 regiert Interimspräsident Ahmed al-Scharaa das Land. Zuvor war al-Sharaa mehrere Jahre Anführer der islamistischen HTS-Miliz, einer Nachfolgeorganisation der al-Nusra-Front. HTS gilt in vielen Staaten als Terrororganisation, den Islamisten werden schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Hinrichtung und Gewalt gegen Minderheiten zur Last gelegt.
Rückendeckung kommt auch aus der Unionsfraktion. Die „spontane Äußerung“ Wadephuls werde „ganz offensichtlich aus dem Zusammenhang gerissen“, sagt Günter Krings (CDU), stellvertretender Unionsfraktionschef WELT. „Der syrische Bürgerkrieg ist vorbei und in weite Teile des Landes ist für die allermeisten ausgereisten Syrer eine Rückkehr nun möglich und zumutbar.“
Der Zerstörungsgrad eines Landes sei als Argument gegen eine „freiwillige oder pflichtgemäße Rückkehr“ ungeeignet. „Denn wer soll ein zerstörtes Land wieder aufbauen, wenn das nicht seine eigenen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen tun?“, so Krings.
Syrer, die keine Niederlassungserlaubnis in Deutschland haben und vom Sozialstaat unterstützt werden müssten, solle man „im ersten Schritt zur freiwilligen Rückkehr ermutigen“. Ferner wolle die Union alle Straftäter und Ausreisepflichtigen „mit hoher Priorität“ und in Abstimmung mit der syrischen Regierung abschieben. „Die Grundlage eines jeden Schutzes für Bürgerkriegsflüchtlinge kann und muss sein, dass sie unser Land wieder verlassen, wenn der Krieg in ihrer Heimat beendet ist“, sagt der CDU-Politiker.
Die SPD betont zwar die Einigung im Koalitionsvertrag, „Straftäter und Gefährder grundsätzlich auch wieder nach Syrien zurückzuführen“, so Sonja Eichwede, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. „Es liegt doch aber in der Natur der Sache, dass das immer nur mit Blick auf die konkrete Lage vor Ort erfolgen kann“, sagt Eichwede. „Genau von dieser Lage und vom gewaltigen Ausmaß der Zerstörung nach einem mehr als ein Jahrzehnt andauernden Krieg hat sich der Außenminister auf seiner Reise ein Bild gemacht.“
Die AfD wiederum spricht von einer „offenen Schlacht um die Deutungshoheit“ in der Migrationspolitik innerhalb der Bundesregierung. Der Außenminister wolle „Merkels verheerendes Erbe“ fortführen. „Wadephul setzt in hemmungsloser Direktheit die inländerfeindliche Außenpolitik seiner grünen Amtsvorgängerin fort“, sagte der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Gottfried Curio, mit Blick auf Wadephuls Vorgängerin Annalena Baerbock (Grüne). Wadephul müsse die Bedingungen in Syrien für die Rückkehr „organisieren“, doch verschleppe vielmehr die Rückführungen, sagt Curio. „Dieser Außenminister ist eine komplette Fehlbesetzung, die Regierung wird bei Rückführungen nicht handeln.“
Asyl sei nur ein „Schutz auf Zeit“. Durch das Ende des Bürgerkriegs in Syrien gebe es weder Bürgerkriegsgefahren noch Sorge vor Verfolgung, sagt Curio. „Sämtliche Schutztitel sind mithin zu widerrufen, alle nicht eingebürgerten Syrer des Landes zu verweisen sowie ein sofortiger Stopp für die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen oder neuen Einbürgerungen im betroffenen Personenkreis anzuordnen.“
Die Grünen stimmen Wadephuls Aussagen zur Situation in Syrien zu. Innenminister Dobrindt wiederum solle nicht „ständig monothematisch Symbolpolitik“ betreiben, sondern sich um „zentrale Sicherheitsfragen kümmern“ und Deutschland gegen „hybride Bedrohungen widerstandsfähig“ machen, sagt Marcel Emmerich, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.
„Cyberattacken, Ausspähungen in kritischer Infrastruktur, Spionage und Sabotage sind längst an der Tagesordnung und der dafür zuständige Innenminister kommt nicht aus dem Quark, weil er eine Nebenaußenpolitik macht“, sagt Emmerich zu WELT. „Das ist verantwortungslos und setzt die Sicherheit des Landes aufs Spiel.“
Die Linke fordert, Abschiebungen nach Syrien auszusetzen. Das Land biete derzeit „keine Lebensbedingungen, die ein sicheres oder menschenwürdiges Leben zulassen“, sagt Cansu Özdemir, außenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. „Dass Vertreter der CSU dennoch weiterhin Abschiebungen fordern, obwohl selbst die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages auf die Beteiligung staatlicher Einheiten an Massakern hinweisen, offenbart ihr menschenverachtendes Weltbild.“
Es dürfe „keine Deals mit Islamisten“ geben. „Diese Regierung propagiert teils selbst Zwangsverschleierung und Geschlechtertrennung“, unterdrücke Teile der Bevölkerung und zeichne sich durch „massenhafte Verschleppung von Frauen“ aus, sagt Özdemir zu WELT. „Eine Normalisierung dieser islamistischen Regierung darf es nicht geben.“
Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über Gesundheitspolitik, die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Er berichtet zudem regelmäßig über Antisemitismus, Strafprozesse und Kriminalität.
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