Die „Stadtbild“-Aussagen des Bundeskanzlers erregen weiterhin die Gemüter – auch jenes von Cem Özdemir. In der ARD-Talkshow „Caren Miosga“ forderte der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister und Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl in Baden-Württemberg vom Kanzler mehr Führungsverantwortung – und konkrete Lösungen in der Migrationspolitik.
„Ein Bundeskanzler sollte präzise formulieren“, sagte Özdemir. „Er ist der mächtigste Mann im Land und er sollte dann eben auch die Lösung mit präsentieren – am besten schon in der Umsetzung sein – und dann das beschreiben. Aber nicht ein Problem beschreiben, als wäre er nur teilnehmender Beobachter.“
Merz hatte Mitte Oktober eine Debatte über Migrationspolitik ausgelöst, als er sagte: „Wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“ Anschließend hatte er auf die Frage, was er mit seiner Äußerung gemeint habe, geantwortet: „Fragen Sie mal Ihre Töchter.“ Einige Tage später präzisierte er: Probleme machten diejenigen Migranten, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, die nicht arbeiteten und die sich auch nicht an die in Deutschland geltenden Regeln hielten.
Özdemir erwarte, dass Merz erkläre, „wie man irreguläre Migration beenden, stoppen“ und gleichzeitig dafür sorgen könne, „dass die Zuwanderung, auf die wir angewiesen sind in unserer Wirtschaft, einfacher wird. Dass die Leute in Arbeit kommen, die Sprache lernen, und dass unsere Leitkultur – das Grundgesetz – die Grundlage fürs Zusammenleben ist.“ Zugleich forderte der Grünen-Politiker, Probleme im Zusammenhang mit irregulärer Migration klar zu benennen. „Es sind zu viele ungeregelt gekommen, mit Sicherheit. Deshalb muss die irreguläre Migration runter und wir brauchen die geregelte Migration.“
Das Hauptproblem aus Sicht von Özdemir: Migranten, bei denen es sich größtenteils um „junge Männer“ handle, kämen manchmal aus Ländern, „wo Mann und Frau nicht gleichberechtigt sind, wo die Polizisten nicht die Guten sind“. Sie müssten an die Hand genommen werden, ihnen müsse man systematisch erklären, was die Spielregeln sind – „und diese auch einfordern“.
Hinzu komme: Junge Männer seien „durchschnittlich häufiger straffällig, als wahrscheinlich Ihre Großmutter oder meine verstorbene Großmutter. Das ist ein Phänomen, das ich als Erzieher und Sozialpädagoge ganz gut kenne.“
„Wer ein Problem mit Gleichberechtigung hat, ist hier falsch“
„Alle, die ins Land kommen, müssen wissen, sie kommen ins Land des Grundgesetzes. Wer ein Problem hat mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau, wer ein Problem damit hat, dass Menschen selbst entscheiden, ob sie eine Frau oder einen Mann lieben, mit oder ohne Trauschein leben, ist hier falsch“, so Özdemir weiter. „Jeder der ins Land kommt, muss wissen: Zweck des Aufenthalts ist im Regelfall die erwerbstätige Beschäftigung – nicht das Beziehen von Transferleistungen. Also musst du arbeiten. Auf Schwäbisch würde man sagen: ‚Das Hemd schwitzt nicht von allein‘.“
Zugleich kritisierte Özdemir, wie die Gesellschaft über Migrationspolitik debattiere. „Die einen sagen: ‚Das Problem gibt es gar nicht‘. Sie helfen damit den Leuten aber nicht, auch nicht den Migranten. Die anderen wiederum pauschalisieren und tun so, als ob Migranten die Wurzel allen Übels wären.“ Stattdessen brauche es einen „vernünftigen Weg mit Maß und Mitte – dann haben wir die Mehrheit der Menschen auf unserer Seite“.
Bereits im September hatte Özdemir, selbst ein Kind türkischer Einwanderer, die Migrationspolitik in einem Gastbeitrag bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) scharf kritisiert – und dabei auch verstörende Erfahrungen seiner Tochter angeführt. Während seine Tochter mit Freundinnen auf einem Campingplatz in Mecklenburg-Vorpommern dermaßen rassistisch angefeindet worden sei, dass der Urlaub habe abgebrochen werden müssen, sehe sie sich in Berlin vor allem sexueller Belästigung durch junge Männer mit Migrationshintergrund ausgesetzt.
„Gegen solche Übergriffe hat sie sich, wie viele Frauen, das sprichwörtliche dicke Fell zugelegt“, berichtete Özdemir in dem Beitrag. „Doch ich spüre, wie sie das umtreibt. Und wie enttäuscht sie ist, dass nicht offensiver thematisiert wird, was dahintersteckt: die patriarchalen Strukturen und die Rolle der Frau in vielen islamisch geprägten Ländern.“
Dies sprach Özdemir bei „Caren Miosga“ erneut an. „Ich möchte, dass jeder Mensch in Deutschland, an jedem Ort, zu jeder Tages- und Nachtzeit – das gilt in ganz besonderer Weise für Frauen – sicher ist, sich überall frei bewegen kann, ohne Angst“. „Angsträume“ akzeptierte er weder bei Rechtsradikalen noch bei Islamisten. „Und dafür müssen wir sorgen. Das ist unsere Aufgabe“, bekräftigte der Grünen-Politiker.
Das Vorgehen des Grünen-Kreisverbands im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hält Özdemir nicht für die richtige Strategie. Der sieht in den „Stadtbild“-Aussagen des Kanzlers „einen klaren Anfangsverdacht auf Volksverhetzung“ und stellte Ende Oktober eine Strafanzeige gegen den Bundeskanzler. „Ich kann mir nicht so richtig vorstellen, dass das von Erfolg gekrönt wird. Es löst doch nichts, wenn wir uns jetzt vor Gericht wiedersehen. Man muss doch sehen: Es gibt offensichtlich ein Problem“, monierte Özdemir.
„Dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn die Leute zur AfD gehen“
Als Beispiel führte er eine Aussage der ehemaligen grünen Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, an, die gesagt hatte, sie gehe im Görlitzer Park in Berlin nicht mehr joggen. Der Park ist seit Jahren als Hotspot für Drogenkriminalität bekannt. „Das ist doch ihr Recht als Frau, dass sie dort joggen geht“, empörte sich Özdemir. „Wenn wir das nicht gewährleistet bekommen, dann haben wir einen schlechten Job gemacht. Und wenn wir sagen, darüber darf man nicht reden, brauchen wir uns nicht wundern, wenn die Leute zur AfD gehen.“
Özdemir rief in diesem Zusammenhang auch zu mehr Verständnis gegenüber Positionen anderer politischer Lager auf. „Nicht alles, was ich nicht erlebe, gibt es deshalb nicht. Nicht alles, was nicht meinen Erfahrungen entspricht, ist deshalb eine Einbildung.“
Probleme müssten klar benannt und liberale Werte wie Gleichberechtigung verteidigt werden, forderte Özdemir. Er verstehe nicht, dass „liberale Progressive manchmal ein Problem damit haben, die Werte, die wir Gott sei Dank durchgesetzt haben“, von allen einzufordern. „Wenn ein muslimischer Funktionär sagt, das sehe ich aber anders, dann darf er das gern anders sehen, aber das hat in Deutschland keine Zukunft.“
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