Es ist die endgültige Wende zum antizionistischen Antisemitismus: Der Bundeskongress der Linksjugend Solid – der Jugendorganisation der Linkspartei – hat am vergangenen Wochenende nach WELT-Informationen einen massiv israelfeindlichen Beschluss gefasst. „Konfrontiert mit einem Völkermord, haben wir als linker Jugendverband versagt“, heißt es darin.
Und weiter: „Wir haben versagt, den kolonialen und rassistischen Charakter des israelischen Staatsprojekts, der sich von seinen Anfängen bis heute in der Eroberung neuer Gebiete und in der Vertreibung ihrer Einwohner:innen ausdrückt, anzuerkennen und die Verbrechen des israelischen Staates, vom Apartheidsystem bis zum Genozid in Gaza, unmissverständlich beim Namen zu nennen und zu verurteilen.“
Als Linksjugend gestehe man durch den Beschluss ein „historisches Versagen“ ein. „Wir fordern unsere Partei dazu auf, uns hierin zu folgen.“ Die „Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Israel“ sei ein „fester Teil des undemokratischen Status quo, der von imperialistischen Mächten wie den USA und Deutschland in der ganzen Region aufrechterhalten wird“.
Weiter heißt es: „Ebenso muss auch die Befreiung Palästinas als Teil einer breiteren demokratischen und sozialistischen Revolution betrachtet werden, die den Imperialismus und Kapitalismus aus der Region herauswirft und wirkliche Gleichberechtigung und Selbstbestimmung schafft. Es ist unsere Aufgabe als Sozialist:innen in Deutschland, die revolutionären Bewegungen in der Region zu unterstützen und den deutschen Staat daran zu hindern, die Revolution mithilfe seiner Verbündeten in der Region niederzuwerfen und demokratische und sozialistische Ansätze zu unterdrücken.“
Der Titel des Beschlusses lautet „Nie wieder zu einem Völkermord schweigen“. Der Ausruf „Nie wieder“ ist mit den Lehren aus der nationalsozialistischen Judenvernichtung verbunden. Die Linksjugend behauptet unter dieser Überschrift eine „Vernichtung des palästinensischen Volkes durch den israelischen Staat“. Die Hamas und Antisemitismus werden nicht erwähnt.
Der Antrag war vom Berliner Landesverband der Linksjugend eingebracht worden; er wurde am Samstag mit einer Mehrheit von 69,8 Prozent der anwesenden 182 Mitglieder beschlossen. Laut Teilnehmern wurden Kritiker unter Druck gesetzt, zuzustimmen. Ein Änderungsantrag, in dem Solidarität mit „allen zivilen Opfern“ gefordert wird – „mit den Palästinenser:innen, die unter Bomben, Hunger und Vertreibung leiden, ebenso wie den israelischen Opfern des 7. Oktobers und den Geiseln, die zwei Jahre unter menschenverachtenden Bedingungen verbringen mussten“ – und der „Kampf gegen Antisemitismus“ erwähnt wird, wurde von 64,9 Prozent der anwesenden 188 Mitglieder abgelehnt.
„Das ist der Holocaust!“, sagt die Linksjugend-Sprecherin
Aus dem Bundesvorstand der Linkspartei wird der aktuelle Beschluss der Jugendorganisation kritisiert. „Die Position der Linken ist eine andere, und wir halten die der Linksjugend auch für falsch“, sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Sabine Ritter WELT. „Für die Partei Die Linke gibt es Frieden nur, wenn alle Frieden finden. Die Perspektive der Opfer vom 7. Oktober muss dabei immer mitgedacht werden.“
Ritter ist Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft. Sie sagte weiter: „Wenn die Linksjugend davon schreibt, revolutionäre Bewegungen in der Region unterstützen zu wollen, dann muss ich sagen, da fehlt mir eindeutig die Fantasie, diese Bewegung zu finden. Organisationen, die für Unterdrückung gegen die eigene Bevölkerung verantwortlich sind, lehnen wir ohne Wenn und Aber ab.“
Linksjugend habe „massives Antisemitismusproblem“
Die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) übt ebenfalls deutliche Kritik. „Die JSUD verurteilt den vom Bundesverband der Linksjugend verabschiedeten Antrag aufs Schärfste“, sagte Präsident Ron Dekel WELT. „In dem Beschluss werden antisemitische Positionen vertreten. Der Beschluss erweckt den Eindruck, dass selbst terroristische Akte der Hamas nicht nur toleriert, sondern indirekt legitimiert oder gar gefordert werden.“
Durch die Bezeichnung von Israel als „rassistisches Projekt“ werde „die Existenz des jüdischen Staates indirekt delegitimiert“, sagte Dekel weiter. „Die Linksjugend Solid zeigt damit erneut, dass sie kein sicherer Raum für jüdische Studierende ist und ein massives Antisemitismusproblem hat, das sie weder erkennt noch aufarbeitet, sondern gekonnt wegdefiniert.“
Beim Jugend-Bundeskongress wurde zudem ein neuer Bundesvorstand gewählt, der sich Bundessprecher:innenrat nennt und aus acht gleichberechtigten Bundessprechern sowie einem Schatzmeister besteht. Als Linksjugend-Bundessprecherin wurde auch die 30-jährige Martha Chiara Wüthrich gewählt.
In einem mittlerweile gelöschten und WELT vorliegenden Video spricht Wüthrich über den Krieg in Gaza. „Das ist ein Völkermord. Das ist ein fucking Holocaust. Das ist der Holocaust!“, sagt sie. Damit setzt sie Israels Krieg gegen die Hamas mit der vorsätzlichen, planvollen und industriellen Vernichtung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland gleich. Wüthrich ist Mitglied des Stadtvorstands der Erfurter Linkspartei.
Nach WELT-Informationen läuft innerhalb der Thüringer Linkspartei derzeit ein Parteiausschlussverfahren gegen die neue Bundessprecherin des Jugendverbands. Begründet wird der Antrag unter anderem mit der Äußerung zu einem vermeintlichen Holocaust in Gaza. Der Ausschluss-Antrag wurde nicht von einem Vorstand, sondern von einzelnen Mitgliedern des Landesverbands gestellt. Darin ist von „öffentlicher Holocaustrelativierung“ die Rede.
Ein Sprecher der Thüringer Linken wollte sich nicht zum laufenden Ausschlussverfahren äußern, teilte aber mit: „Die von Ihnen erwähnte Gleichsetzung ist eine Relativierung des Holocaust, die der Thüringer Landesverband der Linken strikt zurückweist. Für uns ist klar: Antisemitismus, in welcher Form auch immer, darf niemals hingenommen oder relativiert werden. Wer antisemitische Narrative bedient oder verharmlost, stellt sich außerhalb des antifaschistischen Grundkonsenses.“
Alle Mitglieder der Linksjugend Solid, die „zu Recht empört“ seien, „laden wir ein, in der Linken eine politische Heimat zu finden“, sagte der Sprecher weiter. Wüthrich ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Innerhalb der Linkspartei befindet sich derzeit die Bundesarbeitsgemeinschaft Shalom in Gründung. Deren Mitglieder wollen sich für die Bekämpfung von Antisemitismus und Antizionismus einsetzen. Der Gründungskreis übt auf WELT-Anfrage scharfe Kritik am Beschluss der Linksjugend: „Den Menschen in der Region hilft diese völkische Guerilla-Romantik sicher nicht. Dieser antisemitische Beschluss wurde mit autoritären Methoden durchgesetzt und eine differenzierte Debatte wurde verhindert.“
Dass 30 Prozent der Delegierten nicht dafür gestimmt haben, gebe Hoffnung. „Dieser Bundeskongress markiert einen absoluten Tiefpunkt und muss als solcher ein Weckruf sein“, teilte der Gründungskreis weiter mit. „Nichts davon hat etwas mit linkem Diskurs oder einer emanzipatorischen Debattenkultur zu tun.“
Noch im Jahr 2015 hatte der Bundesverband der Linksjugend einen Antrag beschlossen, in dem „antisemitische Denkmuster in der Linken“ kritisiert werden. „Für eine Linke, die für gesellschaftliche Emanzipation eintritt, sollte die Verteidigung des unbedingten Existenzrechts Israels, als dem Staat zum Schutz der Jüd:innen, ein wichtiger Ausgangspunkt politischen Handelns sein“, heißt es im damaligen Beschluss mit dem Titel „Gegen jeden Antisemitismus“. Die Mehrheitsverhältnisse zwischen einem israelsolidarischen und antiimperialistischen Lager haben sich in den vergangenen Jahren stark verschoben.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Im September erschien im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke.
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