Die Aufnahmen sind nicht zu empfehlen. Zu viel Blut, zu viel Brutalität zeigen sie, als dass man danach noch unbeschwert wäre. Sie stammen von einer versteckten Kamera, die auf einem Schlachthof im rheinischen Hürth installiert wurde. Bekannt gemacht hat sie die Tierrechtsorganisation Aninova. Sie sorgte dafür, dass nun in Köln ein Prozess wegen vieler Dutzend Fälle von Tierquälerei begann. Angeklagt sind vier Mitarbeiter des Schlachthofs „Mezbaha“ (Türkisch für „Schlachterei“). Laut Aninova-Sprechern handelt es sich um einen der größten Tierrechts-Prozesse in der Region seit vielen Jahren.

Unbestreitbar geht es zumindest um einen Prozess, der typische Konflikte rund um den Tierschutz in Schlachthöfen veranschaulicht – zum einen die Frage, wie man Schlachthöfe effektiv kontrolliert, zum anderen die Frage, inwieweit das islamische und jüdische Schlachten, das sogenannte Schächten, mit dem Tierschutz kollidiert oder harmoniert.

„Minutenlanger Todeskampf“ ohne Not

Um mit der ersten Frage zu beginnen: Die Aufnahmen, die innerhalb weniger Wochen Ende 2022 und Anfang 2023 entstanden, belegen, dass die vier angeklagten bulgarischen Staatsbürger bestehende Tierschutzstandards missachtet und so brutal wie unsauber gearbeitet haben – in dem Irrglauben, sie seien in der Schlachthalle unbeobachtet. So stachen sie Tieren ihre Mistgabeln teilweise mitten ins Gesicht, um sie zur Schlachtbox zu treiben. Und die Betäubung der Rinder mit dem Bolzenschuss erfolgte bei einigen Tieren „stümperhaft“, wie Aninova klagt. Gemäß der Staatsanwältin warteten die Schlachter nicht ab, bis die betäubende Wirkung einsetzte. „Viel zu schnell“ hätten sie „den Kehlschnitt vollzogen“ mit dem Ergebnis, dass die Tiere „erhebliche Schmerzen erleiden“ und „einen minutenlangen Todeskampf“ durchleben mussten.

Andere Tiere mussten in unmittelbarer Nähe mit ansehen, was ihnen bevorstand. Die Tiere in der von Schmerzensgeschrei und Blutgeruch erfüllten Halle gerieten in Panik, schrien und sprangen. Auch beim Einsatz der Elektro-Kopfzange schauten die Schlachter nicht nach, ob die Betäubung eingesetzt hatte.

Die Versuchung zur Brutalität riesengroß

Sie schnitten den Schafen die Kehle auf, begannen sie zu häuten oder zogen sie zum Ausbluten an Ketten hoch, während die Tiere noch wach waren und sich heftig bewegten. Damit fügten die „gefühllosen“ Mitarbeiter ihnen einen unnötig langen, qualvollen und schmerzhaften Todeskampf zu, sagt die Staatsanwältin. Auf den Zuschauerbänken im Gerichtssaal hört man währenddessen Zuhörer weinen und schluchzen.

Angetrieben wurden die Schlachter laut Anklage auch von Zeitdruck, wie er in jedem Beruf auftreten kann – wenn fristgerecht Kundenwünsche befriedigt und Vorgaben erfüllt werden müssen. Immerhin machte der Schlachthof nach Aninova-Recherchen gute Geschäfte und setzte bis zu zwei Millionen Euro pro Jahr um. Unter Zeitdruck, bei mangelhaft geschulten oder empathiearmen Mitarbeitern könne es in jeder Schlachterei, die nicht lückenlos überwacht wird, zu solcher Tierquälerei kommen, mahnen deshalb der Deutsche Tierschutzbund oder die Albert-Schweitzer-Stiftung seit Jahren. Schließlich sei die Versuchung zur Brutalität überall, wo getötet werde, riesengroß – ob auf dem Schlachtfeld oder dem Schlachthof.

Hilft nur noch die Pflicht-Überwachung per Kamera?

Tatsächlich wurden allein von Aninova und zwei anderen Tierschutzgruppen binnen acht Jahren gut 200 massive Tierrechtsverletzungen aufgedeckt. Dabei werden bisweilen allerdings Rechtsbrüche wie Hausfriedensbruch begangen, um – aus Tierschutzsicht – gravierendere Rechtsbrüche wie Tierquälerei zu belegen. Die Tieraktivisten verteidigen dies mit dem Hinweis, die Kontrollen der Schlachthöfe durch Veterinärämter könnten diese Verbrechen allzu oft ja nicht verhindern. Tatsächlich war auch der Hürther Hof regelmäßig kontrolliert worden – ohne dass dort Verstöße gegen das Tierschutzgesetz aufgefallen wären.

Deshalb fordern Tierschützer seit mindestens 15 Jahren eine verpflichtende Kameraüberwachung für alle Orte, an denen geschlachtet wird. Bislang stieß dieses Postulat, das für Betriebe hohe Kosten und für Datenschützer eine voluminöse Kröte bedeuten würde, aufseiten der Politik auf wenig Begeisterung. Das hat sich jüngst etwas geändert. Die neue Bundestierschutzbeauftragte Silvia Breher (CDU) plädiert für eine verpflichtende Videokontrolle, da der langjährige Appell an freiwillig verbesserte Selbstkontrolle nicht ausreichend Erfolge mit sich gebracht habe. Ob der Kölner Prozess ihr Rückenwind geben wird?

Ohne Betäubung auf Kundenwunsch?

Noch eine zweite, davon unabhängige Frage wird seit Jahren immer wieder rund um Schlachthöfe debattiert: Ist die traditionelle islamische und jüdische Form des Schlachtens, das Schächten, eine nennenswerte Gefahr für den Tierschutz hierzulande? Das Umstrittene dieser Methode besteht darin, dass die Schlachttiere nicht betäubt werden, bevor ihnen die Kehle aufgeschnitten wird und sie zum Ausbluten aufgehängt werden (der Kehlschnitt und das Aufhängen sind dagegen in allen Schlachtereien der Normalfall – ob muslimisch oder nicht).

Die Diskussion ums Schächten ist mit Blick auf den Hürther Hof relevant, weil dort auch mindestens einem Dutzend Tieren ohne Betäubung die Kehle aufgeschnitten wurde. Die Staatsanwaltschaft wirft den Tatverdächtigen vor, den Tieren dadurch „erheblichen Schmerz, Angst, Stress und einen langen Todeskampf“ zugemutet zu haben. Und die Tierschützer gehen davon aus, dass mit dem betäubungslosen Schlachten in Hürth illegal Kundenwünsche nach traditionell geschächtetem Fleisch erfüllt werden sollten. Fälle gesetzwidriger Schächtungen dieser Art werden selten bekannt. So wurden in NRW zwischen 2019 und 2023 laut Umweltministerium nur 18 illegale Schächtungen aufgedeckt. Über das Dunkelfeld lässt sich nur spekulieren. In Deutschland ist das betäubungslose Schlachten grundsätzlich verboten, es können in Einzelfällen aber Ausnahmen gestattet werden. Solch eine Ausnahmegenehmigung lag im Hürther „Mezbaha“-Hof aber nicht vor.  

Was praktizieren Muslime?

Einige Tierschützer legen nahe, es gebe ein Problem mit betäubungslosen Schächtungen, weil die Vertreter des Islams in Deutschland auf dieser Schlachttechnik beharrten – so, wie es auch in der islamischen Welt üblich sei. Aber ist dem so? In Ländern wie Saudi-Arabien oder Pakistan ist diese Form der Schlachtung in der Tat sehr verbreitet. Auch trifft es zu, dass einige muslimische Verbände in Deutschland, etwa die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) oder der Zentralrat der Muslime (ZMD), zumindest vor einigen Jahren noch betonten, allein betäubungsloses Schächten sei aus religiösen Gründen zu empfehlen. Sie argumentierten, ein präziser und professionell durchgeführter Schnitt führe schnell zur Bewusstlosigkeit und verursache weniger Leid als andere Methoden mit Betäubung, wenn er unter tierfreundlichen Umständen durchgeführt werde. Diese Argumentation löst bei Tierschützern und Tierärzten hierzulande überwiegend Widerspruch aus.

Unzutreffend ist jedoch die Behauptung, in der islamischen Welt gebe es einen Konsens, dass Tiere zwingend ohne vorherige Betäubung geschlachtet werden müssten. In Ländern wie Malaysia, Indonesien, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder der Türkei wird zum Teil auch mit Betäubung geschlachtet. Gleichwohl gelten diese Schlachtungen als „halal“, also islamgemäß, solange das betäubte Tier beim Ausbluten noch lebt.

Die Tierliebe des Gesandten Allahs

Falsch ist auch die Annahme, die muslimischen Gemeinschaften in Deutschland würden ausnahmslos auf betäubungslosem Schlachten bestehen. Der mit Abstand größte Moscheeverband der Republik, die deutsch-türkische DITIB, widerspricht dem. Auf WELT-Anfrage erläutert ein Sprecher des Bundesverbands, das Schlachten sei aus islamischer Perspektive sowohl mit als auch ohne Betäubung zulässig. „Mit der Absicht, das Leid des Tieres zu verringern, ist es erlaubt, das Tier bei der Schlachtung durch Elektroschock, Narkose oder ein ähnliches Verfahren zu betäuben, sofern sichergestellt ist, dass das Tier zum Zeitpunkt des Kehlschnitts noch lebt.“

Und als wollte DITIB gleich noch ein paar Klischees zertrümmern, setzt der Sprecher fort: „Der Islam gebietet, allen Lebewesen mit Güte und Barmherzigkeit zu begegnen. Der Gesandte Allahs hat ausdrücklich betont, dass Tieren beim Schlachten kein Leid zugefügt werden soll.“ In der Tat gibt es etliche Aussprüche des islamischen Propheten, die von Tierliebe zeugen und zu Rücksichtnahme und Wohlwollen gegenüber Mitgeschöpfen aufrufen (hier und hier). Dass die Täter von Hürth der dort verkündeten Gesinnung nicht entsprechen, ist offenkundig.

Neben DITIB gibt es noch weitere sunnitische und alevitische Vereinigungen, die das ähnlich sehen. Demgemäß kann eine Schlachtung mit vorheriger Betäubung durchaus als „halal“ gelten – sofern die anderen Voraussetzungen erfüllt sind (der Schlachter muss fachlich qualifiziert sein, das Tier darf keiner anderen Gottheit geweiht werden und nach Ansicht mancher Gläubiger sollte der Schlachter Muslim sein und zuvor eine religiöse Formel sprechen). 

Der gar nicht so entgegenkommende Staat

Nun wird in sozialen Medien immer wieder vermutet, die Zahl der Ausnahmegenehmigungen für betäubungsloses Schlachten müsse immens hoch sein. Dafür fehlen aber Nachweise. Zwar liegt dazu keine bundesweite Statistik vor, die einzelnen Bundesländer informieren darüber aber unregelmäßig. Für NRW teilte das Landesamt für Verbraucherschutz und Ernährung (LAVE) 2025 im Rückblick auf die vergangenen Jahre mit, „bislang“ sei „in Nordrhein-Westfalen keine Erlaubnis zum betäubungslosen Schlachten ausgesprochen worden“. Mit solchen Genehmigungen sind die meisten Bundesländer zurückhaltend. Eine Ausnahme bildet Niedersachsen, wo zumindest in einzelnen Jahren Genehmigungen für bis zu 200 Tiere erteilt wurden.

Diese bundesweit niedrigen Zahlen verwundern nicht, schaut man auf die ellenlange Liste von Voraussetzungen, die für eine Ausnahmegenehmigung erfüllt sein müssen. So bedarf es eines Nachweises, dass die Religionsgemeinschaft das betäubungslose Schächten zwingend vorschreibt, ein Tierarzt muss jede Schächtung beaufsichtigen, der Prozess muss dokumentiert und protokolliert werden und das Haftungsrisiko trägt der Schlachter. Entsprechend wurden in NRW innerhalb vieler Jahre nur drei Anträge auf Ausnahmegenehmigungen gestellt (und abgelehnt).

Stattdessen beschreiten hiesige Muslime mehrheitlich andere Wege: Entweder kaufen sie Importfleisch, das im Ausland überwiegend betäubungsfrei geschächtet wurde – oder sie greifen zum Fleisch von Tieren, die hierzulande unter Betäubung getötet wurden. Laut Fachleuten steigt übrigens seit einigen Jahren die Bereitschaft muslimischer Konsumenten, dieses Fleisch als „halal“ anzusehen.

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